Labor Thüringen: Land wird nur mit Experimenten regierbar bleiben
27.10.2019, 18:41 UhrPuuuh, das wird anstrengend! Wie in Thüringen eine Regierung gebildet werden kann, das stellt die Parteien vor eine Herausforderung, die es so noch nicht gab in Deutschland. Denn ohne die Linke oder ohne die AfD ist vermutlich keine Koalitionsbildung möglich. Bündnisse mit der AfD haben die anderen Parteien ausgeschlossen, völlig zu Recht. Also bleiben wahrscheinlich nur Experimente, bei denen etliche Beteiligte über sehr viele Schatten springen müssten - was dauern wird.
Linke und CDU haben Koalition ausgeschlossen
Die Linke ist erstmals stärkste Partei in einem Bundesland. Sie hat das vor allem ihrem Zugpferd Bodo Ramelow zu verdanken. Er regiert das Land in der Mitte der Republik souverän und unaufgeregt. Kürzlich bekam er sogar Lob von einem Urgestein der CDU, der den Osten kennt wie kaum ein anderer: Kurt Biedenkopf, lange Ministerpräsident in Sachsen. "Er kommt mir vernünftig vor", sagte der Schwarze über den Linken - und ergänzte, dass auch dessen Partei sich verändert habe.
Sowohl die Linke als auch die CDU haben allerdings vor der Wahl eine Koalition ausgeschlossen. Möglich, dass gar keine andere Möglichkeit bleibt für eine Mehrheit. Dabei ginge es auch ohne: Ramelow könnte sich auf das Experiment einer Minderheitsregierung einlassen und sich für jedes Vorhaben Mehrheiten im Landtag suchen. Ein interessanter Versuch.
Krachend gescheitert sind in Thüringen die Parteien der GroKo: Die CDU auf einem historischen Tief und wohl nur auf Platz drei, die SPD weit unter zehn Prozent - das ergibt um die 30 Prozent. Das ist auch das Ergebnis einer gefühlt viel zu sehr auf Personen und Personalien statt auf Politik konzentrierten Arbeit der GroKo-Partner: Die Union demontiert eifrig ihre neue, unglücklich bis fehlerhaft agierende Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die Sozialdemokraten beschäftigen sich monatelang mit sich selbst. Dass das Regierungsbündnis dabei gar nicht mal so unsolide arbeitet - das übersehen viele.
Grüne am Rand der Fünf-Prozent-Hürde
Grüne und FDP tun sich im Osten traditionell schwerer als im Westen der Republik. Nun wurden sie offenbar beide an den Rand der Fünf-Prozent-Hürde gedrückt. Ein Rückschlag für die lange so erfolgsverwöhnten Grünen, ein weiterer Dämpfer für Christian Lindner, der nicht wirklich vorankommt mit seinen Liberalen.
Und die AfD? Fast ein Viertel der Wähler entschied sich für eine Partei, deren Landesvorsitzenden man selbst laut Gerichtsurteil einen Faschisten nennen darf. Die rechtsextremen Ausfälle von Björn Höcke scheinen viele derer aber nicht zu stören, die dieser Partei ihre Stimme gaben. Manche trotz Höcke, etliche aber auch wegen Höcke. Er wird nun Aufwind spüren. Bald stehen Neuwahlen an der AfD-Bundesspitze an. Alle drei Landtagswahlen im Osten geben dem rechtsradikalen "Flügel" Rückendeckung. Eine Partei steuert immer unverhohlener ins Radikale - und das bremst ihren Aufstieg nicht. Ein Alarmzeichen.
Labor für Parteiendemokratie
Das muss alle Demokraten zum Nachdenken, zum intensiveren Ringen um Zusammenarbeit bringen. Und auch zu ungewohnten Experimenten. Thüringen wird zum Labor für eine Parteiendemokratie im dramatischen Wandel. Es geht nicht zuletzt darum, wie freiheitlich, offen, bunt und pluralistisch dieses Land sein und bleiben will. Drei Viertel der Wähler wollen, dass dies so bleibt. Fast ein Viertel aber lehnt eine rechtsradikale Wende zurück zu Nationalismus und Abschottung nicht ab.
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