Merkel versichert: "Ich verstehe, dass dieses Leben unter Corona-Bedingungen allen schon sehr, sehr lange vorkommt." Niemand höre es gerne, aber es sei die Wahrheit: "Wir leben nicht in der Endphase der Pandemie, sondern immer noch an ihrem Anfang. Wir werden noch lange mit diesem Virus leben müssen." Die Frage, wie man verhindere, dass das Virus das Gesundheitssystem überwältige und unzähligen Menschen das Leben koste, werde noch lange die zentrale Frage für die Politik in Deutschland und Europa sein.
Ihr sei bewusst, wie schwer die Einschränkungen alle individuell, aber auch die Gesellschaft belasteten. "Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung, denn sie schränkt genau das ein, was unsere existenziellen Rechte und Bedürfnisse sind", sagte die Kanzlerin. Eine solche Situation sei nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen transparent und nachvollziehbar seien und wenn Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert und angehört würden - wechselseitig.
Die Zahlen der Neuerkrankungen und Genesungen seien ein Zwischenerfolg, das Gesundheitssystem halte der Bewährungsprobe bisher Stand, sagte Merkel. "Aber gerade weil die Zahlen Hoffnungen auslösen, sehe ich mich verpflichtet zu sagen: Dieses Zwischenergebnis ist zerbrechlich. Wir bewegen uns auf dünnem Eis, man kann auch sagen: auf dünnstem Eis." Heutige Zahlen sagten nichts darüber aus, wie es in einer oder zwei Wochen aussehe, wenn man zwischendurch deutlich mehr Kontakte zulasse.
Diese Corona-Hilfen plant die Koalition
Nichts sei ihr bisher schwerer gefallen als die Beschränkung freiheitlicher Grundrechte, betonte Merkel. Ganz besonders belaste sie, wie die Menschen in Pflege- oder Altenheimen weitgehend isoliert leben müssten, wo Einsamkeit ohnehin ständig zugegen sei. Es sei "grausam", wenn außer der Pflegekraft niemand da sein könne. "Vergessen wir nie diese Menschen." Gerade die 80- bis 90-Jährigen hätten den Wohlstand des Landes begründet und aufgebaut.
Der Weltgesundheitsorganisation WHO sicherte Merkel volle Unterstützung zu. "Die WHO ist ein unverzichtbarer Partner, und wir unterstützen sie in ihrem Mandat", sagte sie. US-Präsident Donald Trump hatte das Agieren der WHO in der Corona-Krise scharf kritisiert und die Streichung der finanziellen Mittel angekündigt. Dafür ist er international scharf kritisiert worden.
Kommentar: Maßnahmen des Staates müssen kritisch hinterfragt werden
Vor dem EU-Gipfel zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen am Nachmittag sprach sich Merkel erneut gegen die Aufnahme von Schulden mit gemeinschaftlicher Haftung in der EU zur Bewältigung der Krise aus. Für einen solchen Schritt müssten alle Parlamente der Mitgliedstaaten entscheiden, dass ein Teil der Budgethoheit an die EU übertragen werde. Dies sei zeitraubend. "Es geht jetzt darum, schnell zu helfen und schnell Instrumente in der Hand zu haben, die die Folgen der Krise lindern können."
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