"Bemerkenswertes Paradox"

Neue Studie: AfD-Wähler schaden sich selbst, wenn sie AfD wählen

Stefan Besner

Online-Redaktion

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24.9.2023, 17:52 Uhr
Nicht wenige AfD-Wähler seien überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur Nicht wenige AfD-Wähler seien überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Wäre morgen Bundestagswahl, würde laut aktuellen Umfragen jeder fünfte die Alternative für Deutschland (AfD) wählen - und damit dem Sinnspruch wörtliche Geltung verleihen. Eine neue Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem Ergebnis: Wer AfD wählt, bekommt zwar, was er verdient, allerdings nicht, was er wollen kann. AfD-Wähler wären demnach die Hauptleidtragenden der AfD-Politik.

AfD-Wähler hätten unter AfD zu leiden

Die AfD hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2013 immer stärker radikalisiert. Angetreten als europakritische Partei verschob sich der Fokus sukzessive in Richtung migrations- und flüchtlingsfeindlicher Positionen. Trotz oder gerade wegen dieser immer extremeren Haltungen hat sich die Unterstützung für die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften Partei seit den letzten Bundestagswahlen vor zwei Jahren auf mehr als 20 Prozent verdoppelt. Paradoxerweise kommt die Studie des DIW zu dem Ergebnis, dass gerade AfD-Wähler im Falle einer Umsetzung der parteipolitischen Inhalte darunter zu leiden hätten.

Für die Studie wurden die die einzelnen Einstellungen der Partei verglichen mit den Anliegen ihrer Unterstützer. Dabei tritt "ein bemerkenswertes Paradox" auf: Menschen, die die AfD unterstützen, hätten am massivsten das Nachsehen - und zwar in Bezug auf fast jeden Politikbereich: Wirtschaft und Steuern ebenso wie Klimaschutz, soziale Absicherung, Demokratie und Globalisierung. "Dieses Paradox scheint mit einer falschen Selbsteinschätzung vieler AfD-Wähler und mit einer Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Realität zusammenzuhängen.", heißt es in der Studie.

Demnach ist die AfD-Wählerschaft überdurchschnittlich häufig männlich - aktuell würden sich 23 Prozent der Männer, aber lediglich 15 Prozent der Frauen für die AfD entscheiden - und zwischen 45 und 59 Jahren alt. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Einkommen ebenso wie Bildung eher gering bis mittelhoch ist. Arbeiter und Arbeitslose sind unter den Wählern überdurchschnittlich häufig vertreten. Die Unzufriedenheit über das eigene Leben und über den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft ist unter AfD-Wählern "deutlich höher als im Durchschnitt aller Wähler." Vor allem unter Wählern in Ostdeutschland ist die Zustimmung zur AfD überdurchschnittlich hoch, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen.

Extrem neoliberale Politik

Die Analyse zeigt jedoch, dass die AfD für eine "extrem neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik" steht. So setzt sie sich in fast allen Bereichen für Steuersenkungen, wie neuerdings bei der Erbschaftsteuer, und gegen Steuererhöhungen ein, wie die Besteuerung großer Vermögen. Den Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener will sie komplett abschaffen. Das Gleiche gilt für die Wirtschaftspolitik. Hier will die AfD generell die Rolle des Staates beschneiden und die Macht des Marktes vergrößern. Bei der Klimapolitik gibt es keine Partei, die Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima systematischer ablehnt als die AfD. Sie ist gegen den Kohleausstieg 2038, ein Verbot von Verbrennungsmotoren, die Förderung von ökologischer Landwirtschaft, den Ausbau von Windenergie sowie die Besteuerung des Flugverkehrs.

In Punkto Sozialpolitik wünscht sich keine Partei im Bundestag stärkere Einschnitte bei den Sozialleistungen als die AfD. So spricht sie sich beispielsweise gegen eine Stärkung der Rechte von Mietern aus. Auch lehnte sie 2021 die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro ab. Laut aktuellen Forderungen will die AfD das Bürgergeld kürzen, auf sechs Monate begrenzen und Langzeitarbeitslose zu Bürgerarbeit zwangsverpflichten.

Das AfD-Paradox

Die Widersprüche zwischen den Interessen der AfD-Wähler und den Positionen der Partei "könnten kaum größer sein." Steuersenkungen für Spitzenverdiener, niedrigere Löhne für Geringverdiener und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden AfD-Wähler laut der Studie viel härter treffen als die Wähler der meisten anderen Parteien. Das DIW konstatiert: "Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von AfD-Wähler*innen hin zu den Wähler*innen anderer Parteien." Dies würde ohnehin schon häufig am Rande der Gesellschaft stehende AfD-Wähler noch stärker marginalisieren und ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe beschneiden."

"Wie kann es sein, dass ein Fünftel der Bürger*innen die Politik einer Partei unterstützt, die stark dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen zuwiderläuft?", fragt Marcel Fratzscher; Autor der Studie, auf X (Twitter).

Eine plausible Antwort ist die individuelle und kollektive Fehleinschätzung. Kaum eine im Bundestag vertretene Partei in Deutschland hat in den letzten 70 Jahren so hart nach unten getreten und verletzliche Gruppen so stark ausgegrenzt und diffamiert wie die AfD. Durch Hetze und Diskriminierung gegen Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund – was ganz nebenbei auf fast jeden vierten Deutschen zutrifft – gelingt es der AfD, "den eigenen Unterstützern einzureden, sie würden wirtschaftlich, sozial und politisch gewinnen, wenn soziale Leistungen oder Grundrechte für diese Gruppen eingeschränkt würden."

So würden viele AfD-Wähler nicht realisieren, dass eine Politik der Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde, weil sie häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung gehören, ergo seltener Privilegien genießen, insgesamt weniger Chancen als andere haben und stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen sind. Vor allem AfD-Wähler wären demnach von Arbeitsplatzverlusten, einer schlechteren Infrastruktur, weniger Leistungen, einer Schwächung der Europäischen Union oder Steuersenkungen für Spitzenverdiener stark negativ betroffen, heißt es in der Studie.

Nicht wenige AfD-Wähler seien überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren.