Kampf gegen den Klimawandel

Nürnberger Experte erklärt: Wie wird Deutschland klimaneutral?

Erik Stecher

Redaktion Politik und Wirtschaft

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9.6.2021, 06:00 Uhr
Steigende Benzinpreise sind politisch gewollt, um zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder Elektro-Autos zu motivieren. Es soll aber Entlastungen geben - für einkommensschwache Haushalte und für Arbeitnehmer, die auf das Auto angewiesen sind. 

© Tobias Hase, NZ Steigende Benzinpreise sind politisch gewollt, um zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder Elektro-Autos zu motivieren. Es soll aber Entlastungen geben - für einkommensschwache Haushalte und für Arbeitnehmer, die auf das Auto angewiesen sind. 

Die Politik hat gerade hitzig über steigende Benzinpreise gestritten. Warum soll Deutschland sich beim Klimaschutz stärker abmühen als andere Länder?

Unser Gutachten verdeutlicht, dass wir dabei sind, unsere eigenen Existenzgrundlagen zu vernichten und die Vielfalt des Lebens auf diesem Planeten. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, noch eine Kurskorrektur herbeizuführen. Das Pariser Klimaabkommen besagt, dass die Welt bis 2050 klimaneutral werden muss. Nach dem Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung dieses Ziel nun auf 2045 gesetzt, und das sehen wir auch als nötig an. Unsere Ziele sind engagierter als die der Europäischen Union, weil wir eben die führende Industrienation sind - die auch schon entscheidend zur Anfüllung der Treibhausgase in der Atmosphäre beigetragen hat.

Wie soll es jetzt weitergehen?

In der kommenden Legislaturperiode müssen die entscheidenden Weichen gestellt werden, sonst haben wir schon in neun Jahren das restliche Budget an Treibhausgas-Emissionen verbraucht – dann ist es nicht mehr möglich, den Temperaturanstieg auf etwas mehr als 1,5 Grad zu begrenzen. Wir haben irreversible Kipppunkte, zum Beispiel das Auftauen der Permafrostböden oder das Schmelzen der arktischen und antarktischen Eisschilde: Wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird, ist die Entwicklung nicht mehr zu bremsen. Wir brauchen eine wirkungsvolle Bepreisung von CO2, sie müsste noch höher werden.

Wie hoch soll der Preis denn sein?

Wir haben ja jetzt mit 25 Euro gestartet und der Preis soll auf 55 Euro steigen bis 2025. Das sollte aber wesentlich früher sein. Aber, das ist ganz entscheidend: mit sozialem Ausgleich. Wir dürfen ja nicht diejenigen bestrafen, die einen weit entfernten Arbeitsplatz haben und in einer Region mit schwach ausgebautem öffentlichen Nahverkehr leben. Da braucht es eine Kompensation. Es ist wichtig, dass eine gesellschaftliche Akzeptanz für die nötigen Schritte zur Klimaneutralität geschaffen wird. Im Moment führen wir ja gerade wieder diese Debatte, in der es nur um den Preis geht und alle sich sofort dagegen wehren – statt zu überlegen, wie sich der Wandel sozial gerecht gestalten lässt. Die notwendige Autofahrt zur Arbeit soll möglich sein, zugleich muss das Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden, gerade im ländlichen Raum.

Nicht nur Privathaushalte sind in Sorge, auch die deutsche Wirtschaft.

Es braucht einen fairen Wettbewerb, und das bedeutet auch einen Schutz unserer Produktion in Deutschland vor Wettbewerbern, die weiterhin massiv fossile Energie billigst einsetzen. Es gibt auch in Frankreich schon Überlegungen, dass ein wirkungsvoller CO2-Außenschutz der EU nötig ist. Es muss zu neuen Allianzen und Klimapartnerschaften kommen. Der CO2-Preis muss in der gesamten EU gelten – und letztendlich ist eine weltweite Bepreisung nötig. Jetzt ist es zunächst wichtig, die Akzeptanz für die notwenigen Maßnahmen zu schaffen und gleichzeitig das Engagement der Bürger zu fördern. Daher müssen aktuelle EU-Richtlinien zur Förderung der erneuerbaren Energien unverzüglich in deutsches Recht umgesetzt werden, damit tatsächlich Bürgerenergie-Gemeinschaften selbst Strom erzeugen, speichern, verbrauchen und damit handeln können. Ein Drittel der 2019 installierten Leistung aus erneuerbaren Energien kam aus Anlagen, die im Besitz von Privatpersonen waren. Und zusätzlich noch mal zehn Prozent von Landwirten. Das wird immer unterschätzt, wieviel das in der Summe bringt, das hat ein riesiges Potenzial.

Aber das allein wird nicht reichen...

Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, Klimaschutz als Aufgabe der Kommunen ähnlich zu verankern wie etwa die kommunale Wasserversorgung. Dazu brauchen die Kommunen auch finanzielle Mittel, um etwa Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Dächern zu installieren oder Bürgerenergie-Gemeinschaften zu fördern. Sie können kommunale Klimaschutzfonds auflegen. Es geht darum, aktiv auf die Bürger zuzugehen, sie zu Investitionen zu motivieren und so auch privates Kapital nutzbar zu machen. Wir müssen die kommunalen Stadtwerke zu Vorreitern beim Klimaschutz machen. Die Versorger in Nürnberg, Fürth und Erlangen sind da schon auf dem richtigen Weg, aber das braucht alles noch einen viel größeren Schub. Und zum Beispiel nicht nur eine Photovoltaik-Pflicht auf Neubauten, auch auf vorhandenen Wohnhäusern und Gewerbe-Immobilien.

Klimaneutralität lässt sich aber nicht allein durch den Ausbau erneuerbarer Energien erreichen.

Es braucht einen Strukturwandel in zentralen Bereichen der Wirtschaft, und der muss sozial gestaltet werden. In den betroffenen Regionen sind Alternativkonzepte nötig. Der Strukturwandel in der Automobilindustrie hin zum Elektroauto etwa betrifft Bayern stark. Gerade in Franken gibt es viele Zulieferbetriebe, die vor allem Teile für Autos mit Verbrennungsmotor produzieren. In den betroffenen Regionen sind Alternativkonzepte nötig.

Wie soll das alles finanziert werden?

Wir brauchen neben den öffentlichen Mitteln mit Sicherheit zusätzliches Geld, über innovative Finanzstrategien und die Mobilisierung privater Finanzmittel. Wichtig ist vor allem die Umstrukturierung der Industrie: Das Ziel der Klimaneutralität soll natürlich nicht dazu führen, dass Deutschland deindustrialisiert wird. Sondern es geht darum, neue Wege zu gehen – und dazu braucht es auch neue Finanzmittel, das lässt sich nicht über höhere Steuern machen. Mit dem Abbau von Subventionen für umweltschädliche Produkte wäre schon viel gewonnen, die betragen in Deutschland jährlich 50 Milliarden Euro. Wenn man diese Subventionen einspart, wird damit auch klimaverträgliches Verhalten ökonomisch honoriert. Wenn es in Europa noch möglich ist, für unter 30 Euro zu fliegen, hat die Bahn keine fairen Chancen im Wettbewerb.

Auch wenn man einige alte Subventionen streicht, kommen doch immense neue Kosten hinzu.

In der Tat, es wird uns kosten. Aber die ökonomischen Folgekosten des Nichthandelns sind wesentlich dramatischer und größer. Sie würden möglicherweise noch vor dem ökologischen Kollaps zum ökonomischen Kollaps führen. Man denke nur mal an die Folgeschäden der jüngsten Niederschlags-Ereignisse. Oder auf der anderen Seite an die Milliardenverluste der Waldbesitzer infolge der Trockenheit in Deutschland in den letzten Jahren. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die sich weltweit dokumentieren lassen. Das Ziel der Klimaneutralität ist also auch ein Gebot ökonomischer Vernunft.

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