Organspende: Ein Schweigen bedeutet nicht Zustimmung

16.1.2020, 15:05 Uhr
Ein Organspendeausweis, aufgenommen beim Tag der Organspende

© Daniel Maurer Ein Organspendeausweis, aufgenommen beim Tag der Organspende

Soll jeder Bürger Organspender sein? Ja! Wer nicht will, kann ja widersprechen. Denken wir mal nicht an die Leber, das Herz, die Nieren. Denken wir mal an das Sparbuch und das Elternhaus. Jeder Bürger, der stirbt, vererbt künftig alles, was er hat – Haus, Sparbuch und Auto – der Welthungerhilfe. Künftig ist jeder Deutsche Spender gegen die Not. Wollen wir das? Tritt die Widerspruchslösung, die Minister Jens Spahn erdacht hat, tatsächlich in Kraft, ist künftig jeder Deutsche Organspender – sofern er zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Viele Menschen, so ein Argument, setzen sich guten Gewissens ein Leben lang nicht mit der Organspende auseinander – und entscheiden sich deshalb nie, ob sie spenden wollen. Ist das ein Argument, um Organspenden staatlich zu befehlen?

Schweigen ist nicht Zustimmung

Viele Menschen denken guten Gewissens auch nicht über den Hunger in der Welt und die ungleichen Verteilung von Vermögen nach. Darf der Staat sie deshalb nach ihrem Tod quasi enteignen? Ach ja – wer nicht will, kann ja widersprechen. Vorher. Nein. Schweigen ist nicht Zustimmung. Schweigen meint das Recht, die eigene Meinung zu einem Thema später oder gar nicht zu äußern. Oder wann haben Sie das letzte Mal Ihrem Chef die Meinung gesagt?


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Wann das Kind einer Freundin geschimpft, als es Manieren vermissen ließ? Schweigen bedeutet weder automatisch Lob noch Ablehnung – im Rechtswesen bedeutet Schweigen weder "Ja" noch "Nein", weder Zustimmung noch Ablehnung zum Rechtsgeschäft, sondern gar nichts. Schweigen ist grundsätzlich keine Willenserklärung. Wir wissen schlicht nicht, ob Menschen ohne Organspendeausweis nie über das Thema nachgedacht haben oder sich nicht mit dem Gedanken anfreunden können, nach ihrem Tod als Ersatzteillager zu dienen. Wie wäre es, jedem Bürger bei der Wahlbenachrichtigung oder dem Steuerbescheid einen Organspendeausweis anzubieten? Wie wäre es, zu kommunizieren, statt Schweigen zu interpretieren und zur Zustimmung zu verdrehen? Übrigens: Wer mir nicht schreibt, ist meiner Meinung.


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