Proteste in Franken: Das steckt hinter der Bauern-Bewegung
20.11.2019, 17:38 UhrTraktoren, wohin das Auge reicht: Rund 3500 Nutzfahrzeuge legten am vergangenen Donnerstag den Verkehr in Hamburg lahm. Ende Oktober gab es bereits ähnliche Bilder aus München, Bayreuth und Würzburg. Und nächste Woche trifft es Berlin. Woher kommt die hohe Beteiligung und warum sind die Landwirte so wütend?
Was die Landwirte bewegt
"Im Moment kommt für uns einfach vieles gleichzeitig", erklärt der unterfränkische Landwirt Dominik Herrmann im NZ-Gespräch. "Die Regelungen für das Düngen und den Insektenschutz werden verschärft, zugleich wird der Markt durch das Mercosur-Abkommen mit Südamerika geöffnet."
Die Befürchtung: Während neue Auflagen die Produktionskosten erhöhen, wird der Preisdruck durch billige Importe erhöht. "Wir sollen Mehrwert schaffen, können aber nicht höherpreisig verkaufen", sagt Herrmann, der in Wolkshausen bei Würzburg Milchvieh hält sowie Weizen, Dinkel, Zuckerrüben und Mais anbaut.
"Die Auflagenflut ist nicht immer gerechtfertigt", meint er. "Zum Beispiel wurden für die neue Verschärfung der Düngeregeln großflächig gefährdete Gebiete ausgewiesen. Das gilt auch für den Bereich meines Brunnens." Dabei habe das amtliche Labor dort 2013 einen Wert von 9,8 Mikrogramm Nitrat pro Liter gemessen, der bis 2018 auf 3,6 Mikrogramm gesunken ist: "Das ist weit weg von den 50 Mikrogramm Grenzwert."
Viele Landwirte haben die Nitratmenge beim Düngen bereits erfolgreich gesenkt, betont Herrmann: "Fachlich begründete Maßnahmen tragen wir gerne mit. Warum jetzt wieder eine Verschärfung kommt, verstehen wir nicht."
Richard Mergner, Vorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern, kann viele Sorgen der Bauern nachvollziehen: "Ich habe durchaus Verständnis für Proteste gegen die vielen Auflagen. Es geht bei den aktuellen Demonstrationen nicht um eine mangelnde Einsicht in ökologischen Fragen, sondern um die wirtschaftliche Lage."
Er sieht die Ursache in einer Landwirtschaftspolitik, die zu stark auf Masse statt auf Klasse setzt. Um bei dieser Entwicklung mithalten zu können, haben Mergner zufolge viele Bauern die Bestände in den Ställen aufgestockt und verstärkt Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat eingesetzt, damit sie immer mehr produzieren können: "Durch den ökonomischen Druck befinden sie sich in einem Hamsterrad."
Wer die Bauern mobilisiert
Weil die Lage der Bauern so angespannt ist, hat Herrmann sich der Initiative "Land schafft Verbindung" angeschlossen. So wie zehntausende weitere Bauern innerhalb kurzer Zeit. Die Bewegung wurde am 1. Oktober von der norddeutschen Landwirtin Maike Schulz-Broers als Facebook-Gruppe ins Leben gerufen, nachdem an diesem Tag in den Niederlanden unzählige Traktoren Den Haag lahmgelegt hatten.
Die Strukturen der über soziale Medien wie Facebook und WhatsApp kommunizierenden Bewegung sind im Fluss. Namen von Organisatoren tauchen auf und verschwinden, kurzzeitig sah es auch nach einer Spaltung in zwei Gruppierungen aus. Doch die Akteure haben sich wieder zusammengerauft.
Die etablierten Bauernverbände sind an der Organisation der Proteste nicht beteiligt. "Es gibt mehrere Verbände für Menschen in der Landwirtschaft, vom Winzer bis zum Obstbauer. Wir nehmen alle mit", erklärt Herrmann. "Alle haben die gleichen Probleme, auch die Bio-Betriebe." Zum bayerischen Team von "Land schafft Verbindung" gehören ihm zufolge sogar überdurchschnittlich viele Bio-Bauern.
Viele Aktivisten wehren sich nicht nur gegen Auflagen, sondern auch gegen Anfeindungen. "Beim Insektensterben und bei den Nitratwerten werden wir oft als alleinige Verursacher hingestellt", moniert Herrmann. "Wir wissen, dass wir unseren Teil zum Umweltschutz beitragen müssen. Da sind wir dabei", betont er. "Wir sind nicht gegen Umweltschutz! Wir arbeiten täglich in und mit der Natur." Bei der Produktion von Rindfleisch in Südamerika entsteht ihm zufolge dreimal so viel CO2 wie in Deutschland, dazu kommt noch der Transport.
Wie es weitergeht
Im kommenden Jahr werden die Düngeregeln strenger gefasst – dabei liegt die letzte Verschärfung erst zwei Jahre zurück. Das hohe Tempo hat seine Ursache darin, dass die Bundesregierung jahrelang die Warnungen aus Brüssel ausgesessen hat. Jetzt macht die EU-Kommission umso mehr Druck.
Kommentar: Bauern müssen für Klimaschutz gewonnen werden
Auch beim Insektenschutz fühlen sich die Landwirte überrollt. "Wir wissen beim Bienenschutz-Gesetz noch nicht, was genau kommt. Der Raps muss gesät werden, bevor die neuen Abstandsregeln bekannt sind. Das ist alles zu kurzfristig, wir brauchen mehr Vorlauf." Jede neue Auflage führt laut Herrmann dazu, dass Landwirte aufgeben. "Es trifft vor allem die kleinen Betriebe."
Mergner plädiert für eine Wende in der Agrarpolitik, die weg von der Massenproduktion führt: "Wir brauchen mehr ökologischen Landbau und grundsätzlich eine stärkere Ausrichtung an Qualitätskriterien, die der Verbraucher nachvollziehen und damit höhere Preise akzeptieren kann." Dieses Prinzip funktioniere auch bei gekennzeichneten regionalen Produkten.
Problematisch ist Mergner zufolge die Preispolitik der Discounter. "Der Handel muss eine faire Partnerschaft mit den Kunden und den Bauern pflegen", fordert er und nennt als positive Beispiele die Andechser Molkerei und Neumarkter Lammsbräu. Um die Landwirte auf neuen Wegen zu unterstützen, sind Mergners Meinung nach keine zusätzlichen Finanzmittel nötig: "Genug Geld ist da, es muss nur richtig eingesetzt werden. Viele Fördergelder fließen so, dass sie das Prinzip der Massenproduktion stützen."
Angesichts der nachvollziehbaren Sorgen der Bauern wünscht sich Mergner, dass der Protest sich nicht gegen einzelne Umweltauflagen richtet, sondern gegen die seiner Ansicht nach fehlgeleitete Agrarpolitik: "Es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag mir den Landwirten."
Herrmann kritisiert, dass er seit Beginn der Proteste schon schöne Worte von Politikern gehört habe, aber noch nichts Konkretes herausgekommen sei. Am 26. November wollen die Landwirte nun mit tausenden Traktoren nach Berlin fahren, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
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