Putin zeigt Muskeln, doch die Furcht ist übertrieben
15.9.2017, 14:05 UhrGewiss, Wladimir Putin liebt Muskelspiele. Ob er einem betäubten Tiger einen GPS-Sender verpasst, mächtige Hechte aus dem Wasser fischt, oberkörperfrei zu Pferde reitet oder ob er politisch den Macho gibt, der Mann inszeniert sich gern. Dazu passt auch das jüngste Militärmanöver der russischen und der weißrussischen Streitkräfte, das provozierend nah an den Grenzen zum Baltikum und zu Polen aufgeführt wird – und damit direkt vor der Ostgrenze der Nato.
Die Aufregung darüber in der westlichen Allianz ist freilich nicht frei von Heuchelei. Vor zwei Jahren hatte die Nato ein noch viel größeres Manöver unter dem Namen "Trident Juncture" inszeniert, das Militärexperten als klare Warnung nicht nur, aber auch an Russland verstanden. Von der Küste Spaniens bis nach Sizilien wurden mit mehr als 36.000 Soldaten Landungs- und Kampfeinsätze geprobt. Interessanterweise spielte das Szenario nicht auf Bündnisgebiet, sondern an den Rändern außerhalb der Nato.
Erfahrungen der Balten
Natürlich ist mehr als verständlich, dass die Menschen in Estland, Lettland, Litauen und Polen das Manöver nicht entspannt betrachten können. Sie haben historisch schlechte Erfahrungen mit dem großen Nachbarn gemacht. Doch in den Brüsseler Nato-Stäben rechnet niemand mit irgendwelchen Übergriffen. Es wäre ein Vabanque-Spiel für Putin – und dafür ist er viel zu klug und vorsichtig.
Dass an dem russisch-weißrussischen Manöver nicht mehr als 12.700 Soldaten beteiligt sind, ist fraglich. Die Zahl liegt sehr knapp unter der Schwelle von 13.000 Soldaten, ab der nach internationalen Vereinbarungen ein umfassender Zugang von Beobachtern gewährt werden muss. Doch die Überwachungsmöglichkeiten der Nato sind auch ohne offizielle Beobachter gut genug, um zu merken, ob mit Geheimdienstmitarbeitern, Nationalgardisten und Rettungskräften tatsächlich 80.000 bis 100.000 Kräfte im Einsatz sind. Es würde auch nicht unregistriert bleiben, sollten Teile der Truppen und ihrer Ausrüstung nach dem Manöver nicht wieder abgezogen werden.
Die zur Schau getragene Empörung mancher westlichen Politiker ist auch deswegen nicht ganz ehrlich, weil die Nato oder die Weltmacht USA in ganz vielen Weltgegenden Militärmanöver abhalten, ohne sich groß um die Kritik anderer Staaten zu scheren. Vor wenigen Wochen erst marschierten 17.500 US-Soldaten in Südkorea auf, um ein drohendes Zeichen zum kommunistischen Nachbarn im Norden zu senden. Die Kritik der Chinesen an diesem Seemanöver wurde souverän ignoriert.
Krasses Ungleichgewicht
Vielleicht darf man auch darauf hinweisen, dass Russlands außerhalb seines Territoriums rund 20 Militärbasen unterhält (fast alle in den ehemaligen Sowjetrepubliken), die USA aber an die 1000. Auch die Militäretats sind krass unterschiedlich. Die Rüstungsausgaben der USA lagen 2016 bei über 600 Milliarden Dollar, die Russlands bei rund 70 Milliarden Dollar.
Um das angespannte Verhältnis wieder zu normalisieren, wäre es vielleicht hilfreich, wieder mehr miteinander zu reden, als übereinander zu schimpfen. Sehr wahrscheinlich ist das dieser Tage nicht.
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