Prozesse
Rettende Entscheidung kam zu spät: Justizkrimi um Linksextremisten-Auslieferung
28.6.2024, 17:08 UhrDas Bundesverfassungsgericht hat die Auslieferung einer Person aus der linken Szene für einen Prozess in Ungarn untersagt - allerdings kam die Entscheidung zu spät. Die betroffene Person sei knapp eine Stunde zuvor an die ungarischen Behörden übergeben worden, teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft dem Bundesgericht mit, wie es in einer Mitteilung aus Karlsruhe hieß. Der Vorgang sorgte für heftige Kritik vor allem bei linken Politikern.
In dem Verfahren geht es um eine 23-jährige in Jena geborene Person, die sich selbst als non-binär identifiziert und in der linken Szene als "Maja" bekannt ist. Laut Bundesverfassungsgericht werfen die ungarischen Behörden "Maja" vor, seit 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren Ziel es gewesen sein soll, Sympathisanten der extremen Rechten anzugreifen. Parallel ermittele in Deutschland die Bundesanwaltschaft wegen desselben Vorwurfs, sagte Verteidiger Sven Richwin der Deutschen Presse-Agentur.
"Maja" wurde im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und saß nach Angaben des Verteidigers Richwin in Sachsen in der Haftanstalt Dresden ein. Hintergrund sind gewaltsame Angriffe auf vermutete Rechtsextremisten. In der Zeit vom 9. bis zum 11. Februar 2023 soll seine Mandatsperson gemeinsam mit Mittätern Sympathisanten der rechtsextremen Szene oder von ihnen hierfür gehaltene Personen in Budapest angegriffen und verletzt haben.
Aufgrund des Auslieferungsersuchens aus Ungarn habe der Generalbundesanwalt sein Verfahren zurückgestellt. Weil "Maja" in Berlin festgenommen wurde, sei die Generalstaatsanwaltschaft der Hauptstadt für das Auslieferungsverfahren zuständig, so Richwin.
"Rücküberstellung zugesichert"
Das Kammergericht Berlin stimmte am späten Donnerstagnachmittag der Auslieferung zu, die die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hatte. Das entsprechende Verfahren entspreche den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit. Nach Ausführungen des Gerichts stehe "die deutsche Staatsangehörigkeit der Auslieferung nicht entgegen, da vorliegend eine Rücküberstellung zur Vollstreckung der Strafe ins Bundesgebiet ausdrücklich seitens der Republik Ungarn zugesichert worden sei".
Mit einem Eilantrag in Karlsruhe versuchte der Anwalt von Maja" die Auslieferung zu stoppen. Dieser sei um 7.38 Uhr beim Gericht eingegangen, hieß es in der Gerichtsmitteilung, die ungewöhnlich detailliert den zeitlichen Ablauf darstellte. Demnach untersagten Deutschlands höchste Richter um 10.50 Uhr die Auslieferung. Da war "Maja" laut Generalstaatsanwaltschaft aber bereits an die ungarischen Behörden übergeben.
Das Gericht sei per E-Mail um 11.47 Uhr darüber informiert worden, dass der Antragsteller bereits um 10.00 Uhr übergeben worden sei, hieß es in Karlsruhe. Mit der Auslieferung wurde laut Bundesverfassungsgericht in der Nacht begonnen. "Maja" sei um 6.50 Uhr "zwecks Durchlieferung nach Ungarn an die österreichischen Behörden übergeben worden", hieß es in der Mitteilung des Gerichts.
Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt mit seinem Beschluss die Berliner Generalstaatsanwaltschaft angewiesen, "eine Übergabe des Antragsstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik zu erwirken". Für Anwalt Richwin ist das ein "theoretischer Sieg". Er habe wenig Hoffnung, dass die beschuldigte Person nach Deutschland zurückgeholt werden könne. "Aber natürlich werden wir die Generalstaatsanwaltschaft fragen, wie es nun weitergeht", so Richwin. Außerdem werde er das Deutsche Konsulat einschalten.
Heftige Kritik
An der Berliner Justiz gab es in linken Kreisen heftige Kritik. Der Linksparteivorsitzende Martin Schirdewan sprach von einer "Schande für Deutschland". "Viktor Orban ist kein Demokrat und Ungarn wird kein rechtsstaatliches Verfahren garantieren. Es ist unerträglich, dass Deutschland Menschen an Autokraten ausliefert, statt ein rechtsstaatliches Verfahren vor eigenen Gerichten sicherzustellen." Die sächsische Linken-Politikerin Julia Nagel bezeichnete den Vorgang als "Skandal".
Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten bezweifelte, dass Maja" in Ungarn ein fairer Prozess und menschenrechtskonforme Haftbedingungen erwarteten.