Sea-Watch: Forchheimer Crewmitglied verteidigt Kapitänin

Martin Damerow

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1.7.2019, 05:48 Uhr
Sea-Watch: Forchheimer Crewmitglied verteidigt Kapitänin

© Till M. Egen/Seawatch

Herr Schramm, Sie lagen erst länger vor Lampedusa, bis sich ihre Kapitänin Carola Rackete letztlich doch dazu entschieden hat, den Hafen anzulaufen und die Menschen an Land zu bringen. Hat sie diesen Schritt mit dem Rest der Mannschaft abgesprochen oder still für sich entschieden?

Lorenz Schramm: So ein schwieriger Schritt ist letztlich immer eine Kapitänsentscheidung, aber man kann schon sagen, dass wir alle ein bisschen daran beteiligt waren. Als Kapitän ist man verantwortlich für die Menschen, die man rettet, das ist im Seerecht so festgeschrieben. Während eines Einsatzes hat Carola aber alle Hände voll zu tun mit Organisation und Kommunikation mit den Behörden. Also spricht sie sich schon ab mit dem Rest der Crew, nicht nur mit mir als Guest Coordinator, sondern auch mit dem Ärzteteam und unserem Cultural Mediator. Da spielen viele Faktoren eine Rolle – wie ist die emotionale Situation an Bord, wie die medizinische Lage, wie steht es mit den Versorgungsgütern et cetera.

Wie sieht es damit aus, sind Ihnen Arznei, Nahrung und Wasser knapp geworden? Hat das eine Rolle gespielt?

Schramm: Am ehesten knapp wurde das Trinkwasser, da wir ab dem Moment, wo wir in jemandes Hoheitsgewässer einfahren, selber kein Wasser mehr produzieren können. Das war aber nicht der entscheidende Faktor. Ausschlaggebend für Carolas Entscheidung, den Hafen anzulaufen, war die emotionale Situation unserer Gäste. Wir hier an Bord werden konfrontiert mit schlimmsten Geschichten, die den Menschen in Libyen oder sonstwo auf der Fluchtroute widerfahren sind. Wir hören täglich von Folter, Kidnapping, Gefängnissen und von Sklaverei. Solche Erlebnisse an Bord zu verarbeiten und gleichzeitig auch wieder gleichsam eingesperrt zu sein, das ist eine große Belastung für unsere Gäste. Und damit auch für uns.

Die Sea-Watch 3 traf ihre Entscheidung, in den Hafen zu fahren, im vollen Bewusstsein dessen, was Sie dort erwarten würde...

Schramm: Natürlich. Es ist uns aber wichtig zu betonen, dass dieser Schritt von unserer Warte aus keinen Rechtsbruch darstellt, sondern dass wir uns an internationales Seerecht halten, welches besagt: Eine Rettung ist erst dann vorbei, wenn die Menschen sicher an Land sind.

Und wie ist die Stimmung an Bord unter der Crew – jetzt, da ihre Kapitänin unter Hausarrest steht?

Schramm:  Wir machen uns große Sorgen, wie es mit Carola weitergeht, ganz klar. Unseren Gästen geht es übrigens genauso, die haben beobachtet, als unsere Kapitänin festgenommen wurde und haben uns mit Fragen bestürmt, was ihr denn nun widerfahre. In den 18 Tagen, wo wir auf dem Schiff zusammengelebt haben, sind wir uns alle menschlich nähergekommen, das geschieht zwangsläufig. Wir sorgen uns ebenso sehr um unsere Gäste, die ja jetzt an Land sind. Auf sie kommt eine sehr ungewisse Zeit in Europa zu. Das belastet uns alle hier an Bord.

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