Corona und die vierte Welle

Söder im Interview: "Eine allgemeine Impfpflicht sehe ich skeptisch"

13.11.2021, 05:58 Uhr
Der bayerische Ministerpräsident sieht die Versäumnisse beim Infektionsschutz nicht bei seiner Partei.

© Sven Hoppe, dpa Der bayerische Ministerpräsident sieht die Versäumnisse beim Infektionsschutz nicht bei seiner Partei.

Herr Söder, können Sie uns knapp die geltenden Corona-Regeln erklären? Wir fragen deshalb, weil viele nicht mehr durchblicken in all dem Wirrwarr – etwa in den Betrieben oder auch in den Schulen…

Markus Söder: Wir erleben leider, dass die Infektionen massiv steigen und die Überlastung der Krankenhäuser droht. Das liegt zum einen an der hohen Zahl der Ungeimpften – knapp 90 Prozent der Patienten auf den Intensivstationen sind Ungeimpfte. Zum anderen an der wachsenden Zahl von Impf-Durchbrüchen - auch wenn der Krankheitsverlauf bei diesen Patienten dank der Impfung viel milder ist. Leider hat auch die Bereitschaft, sich an Hygieneregeln zu halten, abgenommen. Hinzu kommt die stille Abwanderung von Pflegekräften – wegen Erschöpfung nach einer langen Pandemie und rapide sinkendem Verständnis für die Ungeimpften. Daher stehen wir in einer schwierigeren Situation als in den früheren Wellen. Die Regeln in Bayern sind dabei relativ klar: 2G bei allen Veranstaltungen und bald in der Gastronomie sowie 3G am Arbeitsplatz.

Ein Riesenproblem sind die Kontrollen – nach dem Impfnachweis wird gefragt, nach dem Ausweis nur sehr selten…

Söder: Sie haben völlig recht. Eigentlich hätte schon ein normales 3G erfolgreich sein müssen. Aber es sind gefälschte Impf-Ausweise unterwegs und nicht alle kontrollieren die Einhaltung der Regeln. Es gibt gute Beispiele in der Gastronomie, wo es funktioniert, aber man hört auch anderes. Da sind jetzt kommunale Ordnungsbehörden und Polizei gemeinsam gefordert. Wir setzen auf höhere Kontrolldichte, Bußgelder und bei wiederholten Verstößen auf Schließungen. Sonst droht ein stiller Rückzug von Geimpften aus der Gastronomie und bei Veranstaltungen, weil sie sich nicht ausreichend geschützt sehen.

Die vierte Welle war doch eigentlich erwartbar. Aber im Sommer war Wahlkampf, da setzten alle auf gute Laune – und nun stehen wir vor einem heftigen Winter… Wie sind diese Versäumnisse zu erklären?

Söder: Ich sehe das etwas anders: Es gibt viele, die Corona immer wieder verharmlost haben – Parteien wie die FDP haben noch vor kurzem einen Freedom Day gefordert. Es ist daher völlig absurd, dass die wohl künftige Bundesregierung nun das Ende der epidemischen Lage ausruft – wo wir die höchsten Corona-Zahlen aller Wellen haben. Die Ernsthaftigkeit der Gefahr wird da nicht vermittelt. Ähnlich verhält es sich mit den unzähligen Fake News über das Impfen. Ich bin froh, dass sich jetzt auch Hubert Aiwanger impfen hat lassen. Hoffentlich folgen auch prominente Fußballspieler. Denn für die Fans im Stadion gilt 2G, aber für die Spieler nur 3G? Das wäre schwer verständlich.

Wäre es nicht besser, doch eine Impfpflicht mindestens für bestimmte Berufsgruppen einzuführen?

Söder: Ich bin dafür. Das wäre auch ein wichtiges Signal für die Bereiche Pflege und Senioren, also unsere gefährdetsten Gruppen. Das muss die Ampel rasch beschließen. Ebenso eine Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber, ob man geimpft ist oder nicht. Ich bin skeptisch, ob eine allgemeine Impfpflicht durchsetzbar wäre. Sie würde zu schwersten gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Für den Normalbürger bleibt das Impfen eine individuelle Entscheidung – aber man muss auch die Konsequenzen tragen: Zugang mit 2G oder eben nicht. Impfen ist nicht nur Schutz für sich, sondern auch für alle anderen.

Sie drängen seit Wochen auf eine rasche Ministerpräsidentenkonferenz. Warum?

Söder: Weil wir zum besseren Schutz der Menschen einheitliche Regeln benötigen. Corona ist auf dem Vormarsch – überall. Die Pandemie kennt keine Landesgrenzen. Wir brauchen einheitliche Regeln fürs Boostern oder eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen. Es wäre besser gewesen, wenn die neue Bundesregierung vor ihrem Gesetzesvorhaben eine Runde mit den Ländern veranstaltet hätte - und nicht erst danach, wie es nun nächste Woche passiert. Da beschließt am Vormittag der Bundestag das Gesetz – und am Nachmittag tagt die Regierung mit den Länderchefs. Das auffälligste an dem neuen Gesetz: Es gibt keinen finanziellen Ausgleich für die Krankenhäuser und die Pflegekräfte, den diese dringend brauchen. Auch die Nürnberger und Fürther Kliniken laufen voll. Dies geht zu Lasten von Geimpften, die zum Beispiel wegen Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen dringend ein Intensivbett brauchen.

Viele schauen besorgt auf die hohe Zahl der Impfdurchbrüche. Verstehen Sie, dass da viele abwarten und zögern, sich impfen zu lassen?

Söder: Nein, im Gegenteil. Denn bei einem Impfdurchbruch ist der Verlauf in der Regel sehr milde – Edmund Stoiber hat ihn etwa gut überstanden. Impfen schützt nicht automatisch vor Ansteckung, aber es schützt vor den schweren Folgen einer Erkrankung und senkt die Ansteckungsgefahr für andere. Auch die Drittimpfung macht jetzt Sinn. Die Ständige Impfkommission Stiko hält uns da mit ihren Bedenken bei der raschen Auffrischung für alle leider auf. Statt nach sechs Monaten und nur für über 70-Jährige, sollte wie in Israel nach fünf Monaten jeder einen Booster erhalten.

Wie stehen Sie zu Großveranstaltungen in diesen Tagen, da Inzidenzen sogar die 1000er-Marke überschreiten? Ist es angesagt, den Nürnberger Christkindlesmarkt durchzuziehen?

Söder: Rein rechtlich haben wir als Länder nach dem neuen Bundesgesetz der künftigen Ampel-Regierung keine Möglichkeit mehr, selbst zu entscheiden. Nach dem alten Gesetz hätte Bayern sagen können: absagen oder durchführen. Das geht nun nicht mehr. Also müssen die Städte selbst entscheiden. Wir sollten aber die Kommunen nicht allein lassen: Bund und Länder sollten sich auf einheitliche Regeln verständigen. Wenn Weihnachtsmärkte stattfinden, sind Sonderregeln klug – größere Flächen, mehr Abstände und wir empfehlen die Maske. Zudem gibt es Überlegungen, Gastro-Inseln mit 2G-Regeln auszuweisen. Das sollten die Verantwortlichen in den Kommunen vorsichtig abwägen. Was die Lage aktuell so schwer im Vergleich von vor einem Jahr macht: Wir haben nun viele Geimpfte – für die es verfassungsrechtlich zurecht keinen Lockdown mehr geben kann.

Sie stehen seit den Bundestagswahlen auch innerparteilich unter Druck. Viele Ihrer Parteifreunde zeigen sich unzufrieden mit dem Wahlergebnis, Nicht alle folgen Ihrer Interpretation, dass es am Kanzlerkandidaten lag. Was erwidern Sie den Kritikern?

Söder: Es war ein enttäuschendes Ergebnis für die gesamte Union – aber eines mit Ansage und am Ende nicht überraschend. Natürlich haben wir Ermüdungserscheinungen nach 16 Jahren an der Regierung gespürt. Auch die Kandidaten-Findung hat an der Basis und der Bevölkerung Fragen ausgelöst. Und der Wahlkampf ist nicht rund gelaufen, da haben alle Fehler gemacht. Wir müssen aus dem Ergebnis die richtigen Lehren ziehen. Eine davon ist: Wir brauchen zwischen CDU und CSU wieder mehr Miteinander. Wir müssen uns als Union unterhaken – gerade vor wichtigen Landtagswahlen 2022. Zum CSU-Ergebnis: Ein Teil der Verluste ist sicher auch auf Corona zurückzuführen. Corona spaltet die Gesellschaft in Zwei-Drittel und Ein-Drittel – das ist bei uns auch spürbar. Da wanderten manche ab. Aber der Schutz des Lebens stand an erster Stelle, weit vor aller Parteitaktik.

Bei der Landtagswahl 2023 müssen Sie liefern. Die CSU kann grausam sein, wenn es um das Absägen des Spitzenpersonals nach verlorenen Wahlen geht. Wollen Sie jetzt zwei Jahre Daueropposition gegen die Ampel machen?

Söder: Gut regieren mit gesundem Menschenverstand – das ist die Grundregel für Bayern wie Berlin. Alle taktischen Spielchen stoßen die Bürgerinnen und Bürger ab. Wir wollen in Berlin konstruktiv zusammenarbeiten, aber auch auf Unterschiede hinweisen. Wir sind gegen eine ungebremste Zuwanderung und eine massive Neuverschuldung. Wir lehnen das Wahlalter mit 16, die Drogen-Legalisierung oder Gender-Gesetze ab. Und beim Klimaschutz wollen wir einen gerechten Ausgleich für die sozial Schwächeren.

Heute geht der Klimagipfel zu Ende. Sie forderten, die Steuer auf Benzin und Diesel zu senken – ist das wirklich das richtige Signal: billiger Sprit in Zeiten der Klimakrise?

Söder: Ich bin sehr für den Klimaschutz. Aber wir müssen aufpassen, dass aus der ökologischen keine soziale Frage wird. Wir setzen als CSU ja klare Signale: schnellerer Ausstieg aus der Kohle und aus dem fossilen Verbrenner. Wir setzen zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien wie Sonne und Wasser. Für einen erhöhten CO2-Preis muss es einen Ausgleich geben. Entweder eine höhere Pendlerpauschale – denn im ländlichen Raum ist die Lage anders als zwischen Nürnberg und Fürth, wo man bequem die U-Bahn nehmen kann. Es braucht eine deutliche Entlastung für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind. Wir müssen auch mit Heizkostenzuschüssen arbeiten, um extreme Preisschübe auszugleichen. Und wir wollen einen vernünftigen Industriestrompreis für die Wirtschaft. Und ich würde dringend dazu raten, dass man Nord Stream 2 jetzt endlich auch nutzt, um Gas als Übergangstechnologie zu gewährleisten.

Wenn Sie 2023 ein passables Ergebnis liefern, handeln viele Sie bereits als nächsten Kanzlerkandidaten der Union….

Söder: Ich halte es für völlig absurd, über Kandidaturen von 2025 zu reden. Wenn die Ampel erfolgreich regiert, dann wird es für die Union ohnehin sehr schwer. Wobei ich nicht an den Erfolg der Ampel glaube. Denn eine Ampel, die gleichzeitig rot, grün und gelb leuchtet, verursacht immer einen Unfall (lacht). Zudem wäre es ein bisher nie geglückter Ausnahmefall, dass ein CSU-Kandidat am Ende auch noch wirklich Kanzler wird. Ich sage das aus tiefer Überzeugung: Ich bin ganz froh, dass ich daheim bleiben kann.

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