Krieg in Nahost
Sorge vor Angriff auf Israel wächst
13.4.2024, 03:47 UhrIsrael und die USA bereiten sich auf einen möglicherweise bevorstehenden Vergeltungsangriff des Iran gegen Israel vor. Israel erhöhte die Alarmbereitschaft: Die Armee gab neue Schutzanweisungen für die Zivilbevölkerung heraus, die zunächst von Samstagabend bis Montagabend gelten sollten. US-Präsident Joe Biden wollte noch heute im Weißen Haus mit seinem Sicherheitsteam über die extrem angespannte Lage im Nahen Osten beraten. Zuvor hatte die Marine der iranischen Revolutionsgarden ein Containerschiff im Golf von Oman mit angeblicher Verbindung zu Israel festgesetzt.
Die militärischen Spannungen im Nahen Osten sind so groß wie seit Jahren nicht mehr. Nach dem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in Syrien Anfang April, bei dem zwei Brigadegeneräle getötet wurden, haben sie noch mal deutlich zugenommen: Die Staatsführung in Teheran droht dem Erzfeind Israel mit Vergeltung. Beobachter sehen die verfeindeten Länder am Rande einer kriegerischen Eskalation.
USA sichern Israel volle Unterstützung zu
Wie angespannt die Lage war, machten am Samstag der rege Austausch zwischen Regierungsvertretern der USA und Israel und die Mitteilungen dazu deutlich, die auch als Botschaften an den Iran verstanden werden können. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sicherte seinem israelischen Kollegen Joav Galant die volle Unterstützung der USA bei der Verteidigung gegen jegliche Angriffe des Iran und seiner Stellvertreter zu. In einem Telefonat hätten die beiden über "akute regionale Bedrohungen" gesprochen, teilte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, mit.
Auch der Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan, sprach mit seinem israelischen Counterpart Zachi Hanegbi über die Ereignisse im Nahen Osten. Dabei bekräftigte er nach eigenen Angaben die "eiserne Verpflichtung" der USA für die Sicherheit Israels.
Neue Schutzanweisungen für Israels Bevölkerung
Angesichts der Sorge vor einem möglichen iranischen Vergeltungsangriff veröffentlichte die israelische Armee am Samstagabend neue Schutzanweisungen für die Zivilbevölkerung. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte vor Journalisten, es solle von Sonntag an keinen Schulunterricht oder andere Bildungsaktivitäten, keine Ferienlager und keine organisierten Ausflüge geben. An Versammlungen dürfen von Samstagabend an nur noch maximal 1000 Menschen teilnehmen. In sogenannten Konfliktzonen in der Nähe des Gazastreifens oder des Libanons dürfen sich draußen nur noch bis zu 30 und drinnen bis zu 300 Menschen versammeln. Am Arbeitsplatz sollen die Bürger besonders in diesen Gebieten darauf achten, dass sie notfalls rasch einen Schutzraum erreichen können.
Für den internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv galten keine besonderen Anweisungen. Wegen der Ferien wird mit einem hohen Reiseaufkommen gerechnet.
Iran konfisziert Containerschiff
Die Regierungen der USA und Großbritanniens verurteilten unterdessen das Vorgehen des Irans im Golf von Oman. Die iranische staatliche Nachrichtenagentur Irna hatte am Samstag berichtet, dass die Marine der iranischen Revolutionsgarden ein Schiff mit Verbindungen zu Israel festgesetzt habe und dass es sich auf dem Weg in iranische Gewässer befinde. Videos der Agentur zeigten den Einsatz von Kommandosoldaten, die sich von einem Militärhubschrauber auf das Deck des Schiffes abseilten. Nähere Informationen waren zunächst nicht bekannt.
Die zur britischen Marine gehörende Behörde UKMTO berichtete ebenfalls über den Fall und verortete ihn im Golf von Oman, etwa 50 Seemeilen nordöstlich der Hafenstadt Fudschaira in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nahe der Straße von Hormus hatte Irans Marine in der Vergangenheit bereits Öltanker und Containerschiffe beschlagnahmt.
Nach Angaben der US-Regierung handelt es sich um das Containerschiff "MSC Aries", das unter portugiesischer Flagge fährt und in britischem Besitz ist. Der israelische Armeesender hatte zuvor berichtet, vermutlich habe der Frachter unter anderem israelische Eigner. Das nach Angaben des Schiffsortungsdienstes Vessel Finder 366 Meter lange Schiff befand sich auf der Fahrt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Indien. Die letzte Position sei demnach am Freitagnachmittag empfangen worden, als der Containerriese vor Dubai war.
Israelische Außenminister spricht von "Piratenaktion"
Als Reaktion auf die Festsetzung sprach der israelische Außenminister Israel Katz von einer "Piratenaktion" unter Verletzung des Völkerrechts. Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps und die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, Adrienne Watson, äußerten sich ähnlich und forderten die Freigabe des Schiffs und die Freilassung der Besatzung.
Die Straße von Hormus, eine etwa 55 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran und Oman, gilt als eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den weltweiten Ölexport. Die USA werfen der iranischen Marine regelmäßig vor, den zivilen Schiffsverkehr in der Straße von Hormus und im angrenzenden Golf von Oman zu behindern.
Erst am Dienstag hatte der Kommandeur der Marine der Revolutionsgarden in einem Interview vor Militäroperationen an der Straße von Hormus gewarnt. "Wenn wir wollen, können wir die Straße sogar schließen", sagte Kommandeur Aliresa Tangsiri im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Isna.
Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs Anfang Oktober haben Konflikte in der Region auch auf den Seerouten deutlich zugenommen. Insbesondere die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen haben regelmäßig Tanker auf dem Weg nach Israel angegriffen. Große Reedereien meiden zunehmend die Route im Roten Meer, der kürzesten Verbindung auf dem Seeweg zwischen Asien und Europa.
US-Präsident Joe Biden sagte am Freitag, seiner Erwartung nach stehe ein Angriff eher "früher als später" bevor. Er wolle sich aber nicht zu Geheimdienstinformationen äußern. Zudem warnte er den Iran. Auf die Frage einer Journalistin, was seine Botschaft an Teheran sei, sagte Biden in Washington: "Lasst es." Die Führung in Teheran warnte wiederum einem Medienbericht zufolge Washington davor, sich in die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran einzumischen. Die Sorge vor einer Ausweitung der Eskalation zu einem regionalen Flächenbrand wächst.
Mittlerweile verstärken die USA ihre Militärpräsenz in der Region. "Wir verlegen zusätzliche Mittel in die Region, um die regionalen Abschreckungsbemühungen zu verstärken und den Truppenschutz für US-Streitkräfte zu erhöhen", sagte ein US-Verteidigungsbeamter der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Washington.
Am 1. April waren bei einem mutmaßlich israelischen Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen iranischen Revolutionsgarden (IRGC) getötet worden. Die iranische Führung hat seitdem mehrfach mit Vergeltung gedroht. Israel müsse bestraft werden, hatte Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei am Mittwoch bekräftigt. Derweil verlängerte die deutsche Lufthansa die Aussetzung geplanter Flüge in und aus der iranischen Hauptstadt Teheran bis Donnerstag.
Israel und USA: Schulter und Schulter
Vor dem Hintergrund der iranischen Bedrohung rücken Israel und die USA enger zusammen. Der Oberbefehlshaber des US-Regionalkommandos Centcom, General Michael Erik Kurilla, war bereits am Donnerstag zu einem Besuch in Israel eingetroffen. "Unsere Feinde glauben, sie können Israel und die USA auseinanderdividieren", sagte Israels Verteidigungsminister Joav Galant am Freitag nach einem Treffen mit Kurilla. "Aber das Gegenteil ist wahr", sagte er. "Sie bringen uns einander näher und stärken unsere Bande. Wir stehen Schulter an Schulter." US-Präsident Biden hatte Israel bereits am Donnerstag Israel die "eiserne Unterstützung" der USA zugesagt, sollte der Iran seine Angriffsdrohungen wahr machen. "Wir haben uns der Verteidigung Israels verschrieben", sagte er am Freitag. "Wir werden helfen, Israel zu verteidigen, und der Iran wird keinen Erfolg haben."
Das Verhältnis Bidens zu Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war zuletzt schwer belastet. Der US-Präsident stieß sich an Netanjahus Weigerung, seine Politik in Hinblick auf den Gaza-Krieg zu ändern. Die israelische Führung macht aus US-Sicht zu wenig, um der Not leidenden palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen ausreichend humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Washington bemängelt zudem, dass Netanjahu keine Bereitschaft zeigt, eine schlüssige Konzeption für die - möglichst von Palästinensern getragene - Verwaltung des Gazastreifens nach Beendigung des Gaza-Kriegs vorzulegen.
Teheran droht auch den USA
Die Führung in Teheran sieht wiederum in Washingtons Engagement für Israel Potenzial für eine zusätzliche Eskalation. "Der Iran hat der Biden-Administration über Vermittlung mehrerer arabischer Länder Anfang der Woche eine Botschaft zukommen lassen", schrieb der gewöhnlich gut informierte israelische Journalist Barak Ravid am Freitagabend auf der Nachrichtenseite axios.com unter Berufung auf drei US-Beamte. Die Botschaft habe gelautet: "Wenn die USA in die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran eingreifen, dann werden US-Streitkräfte in der Region zum Zielpunkt von Angriffen."
Die USA unterhalten unter anderem Stützpunkte in Syrien, im Irak und in Jordanien, die im Zuge des Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) eingerichtet worden waren. Nach Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober griffen mit dem Iran verbündete Milizen aus Syrien und dem Irak immer wieder diese Stützpunkte an. Der Iran selbst trat aber dabei nie in Erscheinung. Größere US-Militärbasen befinden sich seit vielen Jahren in den Golfstaaten Bahrain und Katar. Bahrains Hauptstadt Manama ist der Heimathafen der 5. US-Flotte.
Israels Armee: "Jederzeit und für jedes Szenario gerüstet"
Israel gibt sich angesichts der Aussicht auf einen iranischen Angriff selbstsicher. "Die israelischen Streitkräfte sind bestens vorbereitet, sowohl in Hinblick auf ihre offensiven als auch ihre defensiven Fähigkeiten", sagte Militärchef Herzi Halevi am Freitag nach einer Lagebesprechung des Generalstabs. Die Armee beobachte permanent die Vorgänge im Iran und an anderen Schauplätzen und bereite sich in Abstimmung mit den USA darauf vor, "existierende und potenzielle Bedrohungen zu bewältigen". "Unsere Streitkräfte sind jederzeit und für jedes Szenario gerüstet", betonte Halevi.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich indes besorgt über einen möglicherweise bevorstehenden Vergeltungsangriff des Irans auf Israel. Man nehme die Situation "sehr ernst", sagte Scholz am Freitag in Berlin. Sowohl er als auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hätten alles unternommen, um dem Iran klarzumachen, "dass es hier nicht (...) zu einer militärischen Aktivität kommen darf".
Iranischer Top-Militär auf Botschaftsgelände in Syrien bei Angriff getötet
Die Konfrontation Israels mit dem Iran ist eine indirekte Folge des Gaza-Kriegs. Die mit dem Iran verbündete Schiiten-Miliz Hisbollah greift seit Kriegsbeginn aus dem Libanon heraus den Norden Israels an. Bei dem Israel zugeschriebenen Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April wurden der iranische Brigadegeneral Mohammad Resa Sahedi, ein hochrangiges Mitglied der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), sowie weitere hohe iranische Militärs getötet. Sahedi war laut der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim als Kommandeur der IRGC-Auslandseinheit für Operationen in Syrien und im Libanon verantwortlich.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen Lage im Gazastreifen steht Israel international immer stärker in der Kritik.