„Kann man nicht klug finden“
SPD warnt vor Normalisierung der AfD im Bundestag – Spahn weist Kritik zurück
16.04.2025, 21:11 Uhr
Die neue Wahlperiode begann für die AfD ernüchternd. „Auf den Kandidaten Gerold Otten von der AfD-Fraktion entfielen Ja-Stimmen 185, Nein-Stimmen 411, Enthaltungen 10 und ungültige Stimmen 7“, verkündete Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages Ende März. Während die Vizepräsidentenkandidaten von CSU, SPD, Grünen und Linker glatt gewählt wurden, fiel der Bewerber der AfD durch - so wie vor ihm zig andere AfD-Bewerber seit dem Einzug der Partei in den Bundestag 2017.
Umgang mit der AfD im Bundestag umstritten
Nirgendwo zeigt sich die Abgrenzung von der AfD im Bundestag deutlicher als bei der Besetzung des Vizepräsidentenpostens. Die Frage des Umgangs mit den Rechtspopulisten ist heute brisanter denn je. Denn bei der Bundestagswahl am 23. Februar wurde die AfD mit großem Abstand zweitstärkste Kraft. Sie stellt jetzt 152 der 630 Abgeordneten. Zum Vergleich: Die CDU/CSU kommt auf 208 Mandate, die SPD liegt mit 120 Sitzen auf Platz 3.
Jens Spahn, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, befeuerte die Debatte in der „Bild“-Zeitung. Er plädierte dafür, die AfD bei Abläufen im Parlament, Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen und der Berücksichtigung von Minderheits- und Mehrheitsrechten zu behandeln wie jede andere Oppositionspartei.
Dem Portal „The Pioneer“ sagte der CDU-Mann soeben: „Wollen wir die Regeln der Demokratie mit Mehrheits- und Minderheitsrechten außer Kraft setzen, mit Blick auf bestimmte Oppositionsparteien?“ Spahns Antwort lautete: „Das kann man nicht klug finden.“
Vize-Parteichefin Karin Prien sekundierte: „Alle demokratischen Parteien der Mitte haben Grund, ihre bisherige Strategie zu überdenken, weil sie offensichtlich nicht erfolgreich ist.“ Die CDU-Politikerin sprach sich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ für eine „zivilisierte Verachtung“ der AfD aus.
Nur bei der Vizepräsidentenfrage war Spahn in der „Bild“ zurückhaltend. Es gehe dabei um ein Staatsamt und ein Repräsentationsamt. „Und da sollte man schon die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages hinter sich haben, um das vertreten zu können.“
Widerspruch vom möglichen Koalitionspartner SPD
Nicht gerade klug fand der mögliche künftige Koalitionspartner SPD diese Überlegungen Spahns. „Die AfD ist keine Partei wie jede andere“, sagte Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, dem „Tagesspiegel“. „Wir werden unsere demokratischen Institutionen – allen voran unser Parlament – mit aller Entschlossenheit schützen.“ Die AfD versuche, „unsere Institutionen zu untergraben“, sagte Mast. „Dieser Extremismus stößt auf unseren entschiedenen Widerstand.“
In ihrem Koalitionsvertrag betonen Union und SPD: „Die Koalitionspartner schließen auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien aus. Dies betrifft im Parlament unter anderem gemeinsame Anträge, Wahlabsprachen oder sonstige Formen der Zusammenarbeit.“
Der stellvertretende AfD-Fraktionschef Sebastian Münzenmaier erklärte zu den Gedankenspielen in der Union für einen anderen Umgang mit der AfD: „Wenn es Spahn und Co. ernst meinen, müssen sie sich vom Gängelband der SPD lösen und die Anti-AfD-Klausel aus dem Koalitionsvertrag streichen. Denn diese verhindert jegliche Normalisierung des parlamentarischen Umgangs.“
Bislang alle AfD-Kandidaten für Vizepräsidentenamt gescheitert
Bei ihrer Forderung nach Gleichberechtigung in der Vizepräsidentenfrage beruft sich die AfD auf die Geschäftsordnung des Parlaments, in der steht: „Jede Fraktion des Deutschen Bundestags ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.“
Doch schon der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) betonte: „Es gibt keinen Rechtsanspruch.“ Es gebe nur eine „Verabredung“, dass jede Fraktion einen Kandidaten vorschlagen könne. Dann gelte: „Es wird immer nur Vizepräsident, wer in geheimer Wahl die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält.“ Auch das steht in der Geschäftsordnung.
Während es aber guter parlamentarischer Brauch ist, die Kandidatinnen und Kandidaten der anderen Fraktionen mitzuwählen, gilt dies für Bewerber der AfD-Fraktion nicht.
AfD-Vizepräsident hätte sogar herausgehobene Stellung
Das Amt des Bundestagspräsidenten ist protokollarisch das zweithöchste nach dem des Bundespräsidenten. Das bezieht gewissermaßen die Stellvertreter ein, die den Bundestag ebenfalls regelmäßig im In- und Ausland repräsentieren. Ein so wichtiges Amt könne man nicht einer Partei überlassen, die in Teilen als gesichert rechtsextremistisch gilt und vom Verfassungsschutz insgesamt als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist, so die Argumentation in den anderen Fraktionen.
Dieses Argument dürfte heute in den Augen vieler Abgeordneten noch mehr ziehen als bisher. Denn die Geschäftsordnung des Bundestages legt auch fest: „Ist der Präsident verhindert, vertritt ihn einer seiner Stellvertreter aus der zweitstärksten Fraktion.“ Damit hätte ein AfD-Vizepräsident sogar noch eine herausgehobene Stellung im Kreis der Klöckner-Stellvertreter.
Schon jetzt ist absehbar, dass nach der Konstituierung der Ausschüsse im neuen Bundestag auch deren Vorsitze zum Streitfall werden. Als stärkste Oppositionsfraktion kann die AfD beispielsweise den Vorsitz im mächtigen Haushaltsausschuss für sich beanspruchen.
In der vergangenen Wahlperiode ging die AfD bei allen Ausschussvorsitzen leer aus. Früher akzeptierten alle Ausschussmitglieder den von einer Fraktion für diese Funktion benannten Abgeordneten. Zuletzt wurde aber dort, wo die AfD den Vorsitzenden oder die Vorsitzende gestellt hätte, über die Besetzung abgestimmt. Mit dem Ergebnis, dass die AfD-Abgeordneten nicht gewählt wurden.
Die AfD machte aber schon deutlich, dass sie jetzt auf dem Vorsitz im Haushaltsausschuss besteht - den sie auch schon von 2017 bis 2021 innehatte. „Ich gehe davon aus, dass sich auch diesmal die Fraktionen an diese Regelung halten“, sagte die AfD-Haushälterin Ulrike Schielke-Ziesing dem „Spiegel“.
Im Parlamentarischen Kontrollgremium, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste verantwortlich ist, wollen die anderen Fraktionen die AfD ebenfalls nicht sehen. Auch dabei dürfte es bleiben. Aus ihrer Sicht wäre es dann doch absurd, wenn die AfD dort unter anderem erfahren würde, welche Erkenntnisse mit Hilfe welcher Informanten der Verfassungsschutz gerade über sie sammelt.
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