Der FDP reicht es
Streit im Bundestag: Keiner will neben der AfD sitzen
21.10.2021, 15:28 UhrDie erste Plenarsitzung eines neu gewählten Bundestages ähnelt in mancher Hinsicht dem ersten Schultag nach den Ferien. So wird es auch beim Start in die 20. Legislaturperiode am kommenden Dienstag (26. Oktober) sein. Manche Abgeordnete sind nicht mehr dabei, manche sind neu hinzugekommen. Alle sind reichlich aufgeregt. Und es geht vor allem um die Frage: Wer sitzt neben wem?
Lange Zeit war die Sitzordnung im Reichstagsgebäude etwas gewesen, worüber man nicht lange diskutieren musste. Von links nach rechts nahmen - vom Präsidenten aus gesehen - die Linkspartei, die SPD, die Grünen, die Union und die FDP Platz. Doch dann kam 2017 die AfD hinzu. Neben der wollte niemand sitzen.
In den vergangenen vier Jahren fiel diese Rolle der FDP zu. Einfach deswegen, weil sie auf ihrem angestammten Platz blieb, während neben ihr am rechten Rand die neue Fraktion untergebracht wurde. Doch nun reicht des den Liberalen. Sie wollen weiter in die Mitte des Plenarsaals rücken. Einerseits, weil sie nach ihrer eigenen Einschätzung weltanschaulich besser dorthin passen. Andererseits, weil sie die bisherigen Nachbarn nicht mehr ertragen wollen.
"Schön war das nicht"
Der Hallenser FDP-Abgeordnete Frank Sitta beschrieb, warum ihm und seinen Kolleg(inn)en die Nähe zur AfD so unangenehm ist: "Eine schöne Zeit war das nicht. Ich weiß, dass sie in vielen Fällen sehr deutlich sind in ihrer Ablehnung - zum Beispiel in Menschen, die zu uns kommen - Flüchtlinge. Oder wenn es um Dinge wie Impfen oder Gendern ging. Dann zeigt sich auch in den Zwischenrufen und in der Atmosphäre innerhalb der Fraktion, was für ein Menschenbild da vorhanden ist."
Doch die Liberalen finden niemanden, der freiwillig mit ihnen tauscht. Wenn sie den Platz neben der AfD aufgeben dürften, dann müsste ja eine andere Fraktion auf ihren Platz rücken. Vermutlich die Union. Die ist aber nicht im geringsten bereit dazu. Eine Veränderung der Sitzordnung halte er "nicht für erforderlich", sagte der CDU-Abgeordnete Patrick Schnieder. Seine Begründung: Dann nehme ja die gesamte Ampel-Koalition (SPD, Grüne, FDP) in der Mitte Platz und verdränge die Opposition an die Ränder. Das müsse man "ganz deutlich" ablehnen.
Auch Stefan Müller, Abgeordneter aus Erlangen und Fraktionsgeschäftsführer der CSU-Landesgruppe, hielte einen Wechsel für falsch. "Die Sitzordnung des Deutschen Bundestages ist kein Spielball politischer Launen und Mehrheiten", sagt er, "es gibt gute historische Gründe für diese Sitzordnung, aber keinen schlüssigen Grund die bekannte Sitzordnung zu verändern."
Gibt es eine Abstimmung?
Wenn sich die Fraktionen nicht einigen können, dürfte es am Ende darauf hinauslaufen, dass das Bundestagsplenum über die Frage abstimmen muss. SPD und Grüne würden vermutlich im Sinne ihres neuen Partners FDP entscheiden, um die Stimmung in der Koalition nicht schon vor deren Start zu belasten. Die Linke hat auch ein gewisses Verständnis dafür geäußert, dass es den Liberalen nach vier Jahren AfD-Nachbarschaft reicht. Damit wäre auf jeden Fall eine Mehrheit sicher und die Union müsste in den sauren Apfel beißen.
Es wäre eine der vielen Enttäuschungen, mit denen die erfolgsverwöhnten Parteien CDU und CSU nach dem schlechten Wahlergebnis leben müssen. Das Amt des Parlamentspräsidenten geht ihnen demnächst verloren, die Redezeiten in den Debatten werden sich deutlich verringern und nun wäre auch noch der mittige Platz im Plenarsaal weg.
Letztlich geht es um deutlich mehr als nur um eine Frage der Optik. Wer in der Mitte sitzt, der hat das Rednerpult unmittelbar vor sich - und auch den gleich daneben sitzenden designierten Kanzler Olaf Scholz auf der Regierungsbank. Dadurch wird man mit seinen Zwischenrufen besser wahrgenommen und taucht möglicherweise in den Fernsehübertragungen etwas öfter auf.
3G gilt auch im Plenarsaal
Der neue Bundestag wird in die Nachkriegsgeschichte eingehen. Es handelt sich mit 735 Abgeordneten um das bisher größte Parlament. Zwar sind die schlimmsten Befürchtungen von 800 und mehr Abgeordneten nicht eingetroffen, aber trotzdem ist die Zahl noch einmal um 26 Politikerinnen und Politiker gestiegen. Entsprechend eng wird es unter der Reichstagskuppel zugehen.
Auch etwas anderes dürfte spannend werden: Welche Abgeordneten dürfen den Plenarsaal überhaupt betreten? Dort gilt nämlich, wie an so vielen anderen Orten in Deutschland, die 3G-Regel. Es darf also nur hinein, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Was aber, wenn gewählte Parlamentarier sich weigern, den Nachweis für eines der 3G zu erbringen? Am Ausüben ihres Mandats darf man sie trotzdem nicht hindern.
Deswegen hat sich die Bundestagsverwaltung eine ganz besondere Lösung für diese Personen einfallen lassen: Sie müssen im geforderten Mindestabstand auf der Besuchertribüne Platz nehmen, können aber von dort aus alle Abgeordnetenrechte in Anspruch nehmen - vom Wählen des Präsidiums bis zum Abgeben von Redebeiträgen.
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