Tausende Daten von Diabetes-Patienten auf Abwegen?
28.08.2008, 00:00 Uhr
Es beginnt mit einem Arztbesuch des Diabetikers. Dabei wird ihm ein neues Blutzuckermessgerät ausgehändigt. «Den Empfang sollte ich quittieren«, sagt Mohn. Was er nicht weiß: Sein Arzt lässt ihn eine Karte der Bayer Vital GmbH, einer Tochter des Bayer-Konzerns, unterschreiben. Mit der vollen Adresse von Mohn und detaillierten Angaben zu Diagnose und Therapie schickt der Mediziner sie an das Pharma-Unternehmen. Wochen später wundert sich Mohn über einen Brief von Bayer.
Ersatzbatterien für ausgefüllten Fragebogen
Darin wird er beim «Bayer Diabetes Service« willkommen geheißen und gebeten, einen Fragebogen zu seiner Krankheit auszufüllen. Im Gegenzug werden zum Beispiel Gratis-Ersatzbatterien für sein Messgerät in Aussicht gestellt. Als er beim Arzt nachfragt, räumt dieser laut Mohn die Weitergabe seiner Daten freimütig ein. «Der hat nur gesagt: Sie sind der erste, der sich beschwert«. Der Vorgang sei «ganz normal«.
Doch damit nicht genug: Mohn verlangt von Bayer Auskunft darüber, welche Daten von ihm gespeichert sind. Zehn Tage später bekommt er eine Antwort und einen Computerausdruck. Darin finden sich sein Name, Adresse, Typ des Blutzuckermessgeräts, Messfrequenz, Therapie: «Das Ausfüllen der Empfangsbestätigungskarten und die Speicherung der Daten wird aus Qualitätssicherungsgründen bei jeder Geräteabgabe vorgenommen«.
«Unheimlicher« Passus
Man bietet Mohn an, seine Adresse in eine «Kontakt-Sperrliste« aufzunehmen, damit seine Adresse nicht mehr «zufällig im Rahmen von Adressanmietungen erneut« auftaucht. Vor allem diesen Passus findet Mohn «unheimlich«. Sein Verdacht: Nicht nur seine, sondern die Daten Tausender Diabetes-Patienten werden dank der Mithilfe der behandelnden Ärzten von dem Konzern gespeichert, verwendet und vielleicht auch gehandelt.
Das bestreitet die Bayer Vital GmbH. «Die Daten verlassen nicht unser Haus«, so Sprecherin Katrin Jost. Allerdings räumt sie ein, das «zu Marketingzwecken« weitere Daten von der Firma Schober Information Group - nach eigenen Angaben mit 142 Millionen Euro Jahresumsatz Europas führendes Datenhandels-Unternehmen - angemietet hat. Im vorliegenden Fall habe Bayer davon ausgehen müssen, dass der Patient die Angaben freiwillig gemacht hat. «Alles andere ist natürlich nicht in unserem Sinne«. Auf die Frage, was überhaupt mit den Daten passiert, weicht Jost aus. Angaben über Diagnose und Therapie seien nötig, «um den Service für die Benutzer unserer Geräte so individuell wie möglich zu gestalten«.
Befremdliches Vorgehen
Auskunft über die Zahl der Diabetes-Patienten, deren Daten bei Bayer gespeichert sind, will die Sprecherin nicht geben. «Das sind interne Informationen, die auch aus Wettbewerbsgründen nicht preisgegeben werden«. Alles geschehe jedoch «im gesetzlichen Rahmen«. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) stuft man den gesamten Fall als «sehr befremdlich« ein. «So etwas ist mir bisher noch nicht untergekommen«, so der KVB-Datenschutzbeauftragte Sigurd Duschek. Härter formuliert es die Expertin vom Verbraucherschutz: «Das ist der Hammer«, so Julia Nill. «Die Daten von Patienten haben bei Pharmakonzernen nichts verloren«, so die Expertin für Patientenrechte.
Nill glaubt aber, dass die Realität anders aussieht und die Pharma-Industrie bereits über unzählige Datensätze von Patienten verfügt. «Die verwenden das, was sie für eigene Studien und Marketing-Maßnahmen brauchen können und der Rest wird verkauft«, sagt Nill.
Versuche, das Werbeverbot aufzuweichen
Einen weiteren Hintergrund für das Interesse der Pharmabranche an der Datenspeicherung erklärt der Mediziner Eckhard Schreiber-Weber von der bundesweiten «Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte« (Mezis). Die Pharma-Industrie habe in der Vergangenheit immer wieder Versuche gestartet, das europäische Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel aufzuweichen. «Sollte dieses Verbot in ein paar Jahren fallen, wären Daten von Patienten sehr nützlich, um sie gezielt mit Produktwerbung zu beliefern«.
Die Bayer-Sprecherin bestreitet das. Auch erhielten die Ärzte für ihre Mithilfe bei der Datensammlung «keine Form der Vergütung«. Das aber glauben weder Weber-Schreiber noch Nill. Die Methoden der Pharma-Branche seien äußerst subtil, so Schreiber-Weber. «Da tun viele viele Kleinigkeiten wie Kugelschreiber, Stethoskope oder eine Flasche Wein zu Weihnachten ihre Wirkung und erzeugen beim Arzt eine positive Grundstimmung gegenüber der Firma«.
Nill fordert, «dass jeder Arzt offenlegt, zu welchen Pharmaunternehmen er welche Art der Verbindung unterhält«. Das würde auch Mohn interessieren. Sein Arzt ist jedoch im Urlaub. Trotz diverser Versuche der Redaktion gelang es bislang nicht, ihn zu kontaktieren.