Bescheid kurz vor Weihnachten

Trotz vorbildlicher Integration in Nürnberg: 18-Jähriger soll in den Iran abgeschoben werden

Erik Thieme

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6.12.2024, 05:00 Uhr
Mohammad mit seiner Mutter. Bis Ende Januar soll die Familie das Land verlassen.

© privat Mohammad mit seiner Mutter. Bis Ende Januar soll die Familie das Land verlassen.

Am vergangenen Freitag erhielt der in Nürnberg lebende Mohammad den Brief von der Ausländerbehörde, seine Mutter ihren erst am darauffolgenden Dienstag. Anfang Januar müssen Mohammad und seine Familie Deutschland verlassen, andernfalls droht ihnen eine Abschiebung. Für Mohammad, seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister gleicht das einer Katastrophe.

Die Familie kam erst vor sechs Jahren nach Deutschland. Seitdem leben sie zu viert in einem kleinen Zimmer in Nürnberg im Stadtteil Gostenhof, ohne Privatsphäre. Sie flohen aus dem Iran, weil Mohammads Mutter laut eigenen Angaben den Bahá'í angehört, der größten, nicht anerkannten religiösen Minderheit im Iran.

Die Bahá'í werden seit Jahrzehnten verfolgt und unterdrückt

Die Ausländerbehörde begründet die Abschiebung damit, dass bei der Familie "keine Duldungsgründe ersichtlich waren oder vorgetragen wurden". Das bedeutet, dass die Behörde davon ausgeht, dass der Familie im Iran keine Gefahr mehr drohe.

Dabei wies die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) erst im April dieses Jahres auf die Zustände hin, die die Bahá'í dort ertragen müssen. "Die Behörden halten Bahá'í willkürlich fest und verhaften sie, beschlagnahmen ihre Besitztümer, schränken ihren Zugang zu Schulen und Jobs ein und verweigern ihnen sogar ein würdiges Begräbnis", erklärt HRW. In der Vergangenheit ließ die Regierung zahlreiche Bahá'í hinrichten oder gewaltsam verschwinden.

Trotzdem sollen Mohammad und seine Familie nun genau dorthin zurückkehren. Zwar gehören er und seine Geschwister nicht zu der religiösen Minderheit, doch vor allem seine Mutter und seine 16-jährige Schwester müssten im Iran massive Einschnitte in ihre Rechte hinnehmen. Frauen müssen sich dort verschleiern, andernfalls drohen harte Strafen. Außerdem wird im Iran immer noch die Todesstrafe vollstreckt, erst im Oktober erregte die Hinrichtung eines Deutsch-Iraners großes Aufsehen .

Bereits ab dem Kindergartenalter musste auch Mohammads Schwester ihre Haare bedecken. Seine Mutter ist zudem an Rheuma erkrankt. Wegen des Stresses, sagt Mohammad. Er erzählt, dass die deutschen Behörden es nicht für glaubwürdig hielten, dass seine Mutter den Bahá'í angehört. Trotz Teilnehmerkarte und schriftlicher Bestätigung der Gemeinde, dort in den vergangenen Jahren aktiv gewesen zu sein.

Abschiebung trotz vorbildlicher Integration

Seit seiner Ankunft vor rund sechs Jahren hat sich der heute 18-Jährige in Deutschland gut integriert. Er schreibt gute Noten, war in der Realschule und hat die letzten drei Schuljahre als Jahrgangsbester abgeschlossen. Der Wahl-Nürnberger war in Sportvereinen aktiv und arbeitete als ehrenamtlicher Helfer auf dem Nürnberger Südstadtfest. Er erhielt sogar einen mittelfränkischen Realschulpreis für seine besondere Lebensgeschichte. Doch das reicht dem jungen Iraner offenbar noch nicht, Mohammad hat große Pläne.

An einer Fachoberschule arbeitet er auf sein Abitur hin, gerade absolviert er sein Elektropraktikum. Mohammad hat ein Talent für naturwissenschaftliche Fächer, nach seinem Abschluss möchte er Luft- und Raumfahrttechnik studieren.

Bundesamt für Migration hält sich bedeckt

Doch all das nutzt Mohammad nicht viel. Wie das Bundesamt für Migration (Bamf) auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, spielen Integrationsleistungen bei der Bewertung von Asylanträgen gar keine Rolle. Auf die Frage, wieso Menschen in den Iran abgeschoben werden dürfen, erklärt das Bamf zwar, dass ein Entscheider die möglichen Gefahren einer Rückkehr prüfe. Wieso ausgerechnet der Iran, in dem alleine im vergangenen Jahr 853 Hinrichtungen vollstreckt worden sind, für Mohammad und seine Familie als sicher genug eingestuft wurden, geht aus der Antwort des Amtes nicht hervor.

Das Auswärtige Amt warnt jedenfalls vor einem Besuch im Iran. Die Lage dort sei "volatil und angespannt", nach Aussagen des Informationsministeriums befindet sich der Iran im "Kriegszustand". Die Rede ist von willkürlichen Strafverfolgungen und Festnahmen.

Mohammads Schule wurde nicht informiert

Mohammads Schule weiß indes noch nichts von den Plänen des Ausländeramtes. Überhaupt wäre es der erste derartige Fall an der FOS 2 in Nürnberg, erklärt Schulleiter Rainer Mittermeier gegenüber unserer Redaktion. Eine solche Situation sei hochdramatisch für einzelne Menschen, auch für den Klassenverband wäre es nicht einfach. Seinen Freunden hat Mohammad noch nichts von der drohenden Abschiebung erzählt.

Bruder besucht die Förderschule

Seine 16-jährige Schwester hat ihren Abschluss derweil schon gemacht, sie will im kommenden Jahr eine Ausbildung beginnen. Sein 6-jähriger Bruder ist erst in diesem Jahr eingeschult worden. Nach mehreren Jahren in logopädischer Behandlung hat er es in eine Förderklasse geschafft, obwohl sein Deutsch noch ausbaufähig ist.

Sein Persisch, die Landessprache im Iran, ist aber deutlich schlechter. Für Mohammad ist die Abschiebung auch deshalb nur schwer nachzuvollziehen. "Wie sollte er dann an einer iranischen Schule zurechtkommen?" Dass sein Bruder es im Iran überhaupt in die Schule schafft, glaubt Mohammad nicht.

Einmonatige Frist zur Ausreise

Die Familie hat nun bis zum 10. Januar Zeit, das Land zu verlassen. Am 7. Januar haben sie einen Termin bei der Behörde, der sie Beweise für die geplante Ausreise vorlegen müssen, beispielsweise Flugtickets. Wer diese Termine nicht einhält, kann zwangsweise abgeschoben werden.

Viel Zeit bleibt der Familie nicht mehr. Am Freitag hat Mohammad einen Termin bei seinem Anwalt, "vielleicht kann er noch etwas tun".