Tschechien plant Atommüll-Endlager an Bayerns Grenze
3.9.2020, 10:34 UhrDie Nachricht kam vor kurzem per E-Mail. "Und das bei einer so wichtigen Angelegenheit", wundert sich Bürgermeister Petr Klasek. Der Inhalt: Auf dem Gebiet seiner Gemeinde Chanovice im Südwesten Tschechiens könnte ein Atommüll-Endlager gebaut werden. Der "Birkenbach" getaufte Standort, nur knapp 125 Kilometer von Regensburg entfernt, ist neben drei weiteren in der engeren Auswahl.
Klasek ist ein viel beschäftigter Mann. Ständig klingelt bei ihm das Telefon. Er organisiert ein Frauenfußball-Turnier, kümmert sich um das Altpapier-Recycling, lässt den defekten Schulbus reparieren, wie er erzählt. Und am Abend oder am Wochenende liest sich der Familienvater auch noch Fachwissen über Nukleartechnik und die Lagerung von Atommüll an. "Ich will im Bilde sein", sagt der 57-Jährige mit langem Vollbart.
Über vier Milliarden Euro für 100.000 Jahre Betrieb
In Chanovice gibt es ein barockes Schloss, ein Freilichtmuseum, einen Kindergarten, eine Grundschule und als wichtiger Arbeitgeber ein Sägewerk. Was die Gegend im Böhmerwald so besonders für die Endlagerbehörde Surao mit Sitz in Prag macht, liegt indes im Untergrund. Seit Jahrhunderten wird hier Granit abgebaut. Nur wenige Kilometer weiter ist ein Steinbruch noch aktiv in Betrieb.
Tief im Gestein, mehr als 500 Meter unter der Erde, so die Überlegungen, könnten die hoch radioaktiven Abfälle aus den Atomkraftwerken Dukovany und Temelin für immer in Beton-Containern abgelegt werden. Die Baukosten für die unterirdische Anlage werden auf mehr als vier Milliarden Euro geschätzt. Die endgültige Standortwahl soll bis 2025 erfolgen.
Klasek ist skeptisch: "Man redet davon, dass das Endlager für 100.000 Jahre betrieben werden soll - das ist im Rahmen der Menschheitsgeschichte eine unendlich lange Zeit", kritisiert der Bürgermeister. Doch am meisten stört ihn, dass die betroffenen Gemeinden kein Mitspracherecht hätten. Man habe ihm von Anfang an gesagt: "Ihr werdet uns da nicht hineinreden."
Dass Chanovice in der engeren Auswahl ist, hat sich herumgesprochen. Wer ein Haus bauen oder eine Datsche kaufen will, kommt zu Klasek und fragt: "Wie ist das mit dem Endlager?" Auf gut gemeinte Ratschläge, er werde die Inbetriebnahme im Jahr 2065 doch ohnehin nicht mehr erleben, reagiert der Bürgermeister allergisch. "Ich bin ein Mensch vom Land", sagt er. "Wenn wir im Wald einen Baum pflanzen, dann tun wir es für unsere Kinder."
Insgesamt vier Standorte in der engeren Auswahl
Neben dem Standort im Böhmerwald sind noch drei weitere im Rennen: Janoch befindet sich beim umstrittenen Atomkraftwerk Temelin in Südböhmen. Horka bei Trebic sowie Hradek bei Jihlava (Iglau) sind jeweils rund 200 Kilometer von Passau entfernt, aber umso näher an Österreich. Ob wegen der Grenznähe eine internationale Prüfung der Umweltverträglichkeit stattfinden wird, ist indes völlig offen.
Es sei in dieser Phase verfrüht, über die weiteren Schritte zu sprechen, teilte Surao-Abteilungsleiter Lukas Vondrovic auf Anfrage mit. Nach Darstellung des Geologen schneidet der Standort "Birkenbach", zu dem auch das Dorf Chanovice zählt, in allen Bewertungskriterien ausgewogen ab. Zum einen gebe es dort eine potenziell geeignete Gesteinsformation großen Ausmaßes, zum anderen fließe das Grundwasser hier mit geringer Geschwindigkeit.
Vorwürfe, man gehe nicht auf die Sorgen der Menschen in den betroffenen Regionen ein, wies Vondrovic zurück. Gemeindevertreter könnten den Expertensitzungen beiwohnen. Man gebe mehrmals im Jahr ein Informationsblatt für die Anwohner heraus. "Wir haben Internetseiten, Facebook, Youtube, und wir beantworten selbstverständlich Fragen", betont Vondrovic.
Auf den Seiten der Behörde heißt es unter anderem, das Tiefenlager sei die sicherste Lösung. Demnach produzieren die tschechischen Atommeiler jährlich 80 bis 100 Tonnen an abgebrannten Brennelementen. Derzeit werden die Abfallprodukte in den Zwischenlagern an den Kernkraftwerken gelagert. Bis zur Wende im Ostblock vor 30 Jahren hatte sich Tschechien keine Sorgen über die Endlagerung machen müssen. Bis dahin wurde der Strahlenmüll in die Sowjetunion verbracht.
Söder schließt Atommüllendlager in Bayern aus
Den Bürgermeistern und Gemeindevertretern bietet die Endlagerbehörde Exkursionen zum Beispiel nach Finnland an, wo an der Ostseeküste das weltweit erste Endlager für hoch radioaktiven Atommüll gebaut wird. Ein Angebot, dass Petr Klasek aus Chanovice indes nicht annehmen will. Er sagt: "Warum soll ich für Staatsgelder auf einen Ausflug fahren?"
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