Forderung des Innenministers

Überwachung: Kommt die Live-Gesichtserkennung via Kameras in Bayern?

Erik Thieme

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25.8.2024, 16:19 Uhr
Innenminister Herrmann möchte bei der Überwachung von öffentlichen Plätzen auf Künstliche Intelligenz setzen.

© IMAGO / Schöning / ZUMA Press Wire Innenminister Herrmann möchte bei der Überwachung von öffentlichen Plätzen auf Künstliche Intelligenz setzen.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert eine Live-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Die dafür notwendige Künstliche Intelligenz soll Gesichter automatisch zuordnen. Dem "Bayerischen Rundfunk" zufolge sollen dafür bereits vorhandene Kameras, beispielsweise an Bahnhöfen oder größeren Plätzen, genutzt werden.

Laut Herrmann müssen die von der KI erkannten Übereinstimmungen zunächst von Polizeibeamten überprüft werden, schließlich mache auch die Software Fehler. Er gehe trotzdem davon aus, Fahndungserfolge mit dieser Technik wesentlich zu steigern.

Ist KI-Überwachung überhaupt vereinbar mit EU-Recht?

Erst im Mai hat der Rat der 27 EU-Mitgliedsstaaten dem laut eigener Aussage "ersten KI-Gesetz weltweit" zugestimmt, dem "AI Act". Er soll in der EU klare Regeln für die Verwendung immer verbreiteter KI-Technologie schaffen - sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich.

Das Gesetz beinhaltet allerlei Verbote, unter anderem für die Emotionserkennung am Arbeitsplatz (zum Beispiel Stimmenanalyse von Callcenter Mitarbeitern) oder das Social Scoring. Beim Social Scoring, das in China bereits Anwendung findet, erhalten die Menschen Plus- und Minuspunkte für erwünschtes beziehungsweise unerwünschtes soziales Verhalten.

Auch die von Herrmann geforderte biometrische Fernidentifizierung in Echtzeit verstößt grundsätzlich gegen den AI-Act. Für Sicherheitsbehörden gelten jedoch Ausnahmen: Der Einsatz ist nur bei besonders schweren Straftaten nach richterlicher Anordnung legal. Darunter zählen unter anderem Vergewaltigung, Entführung, Menschenhandel, bewaffneter Raub und Drogenhandel.

Der AI-Act tritt zwar erst 2026 vollständig in Kraft, allerdings gelten einige Vorschriften schon früher. Die Verbote sind bereits Ende 2024 gültig.

Amnesty International übt Kritik am AI-Act

Doch so sehr sich die Europäische Union auch für ihr KI-Gesetz feiert, gibt es ebenso Kritik. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden die Prioritäten falsch gesetzt. Aus Sicht des Advocay Advisor für Künstliche Intelligenz, Mher Hakobyan, stellt der AI-Act Industrieinteressen sowie die Strafverfolgung über den Schutz der Bürger und deren Rechte. Ihm zufolge sei die EU daran gescheitert, grundlegende Menschenrechtsprinzipien mit einzubeziehen. Vor allem Flüchtlinge, Immigranten und Asylsuchende sieht er in den neuen Regelungen anderen EU-Bürgern nicht gleichgestellt. Außerdem sorge das Gesetz nicht für genügend Transparenz.

Deutschland plant Gesetzesänderungen

Für die deutsche Bundesregierung ist Künstliche Intelligenz "ein Schlüssel zur Welt von morgen". Der KI-Strategie der Bundesregierung zufolge wolle man Deutschland zu einem "führenden Standort für Künstliche Intelligenz machen". Dafür wurden Förderprogramme, Kooperationen und Initiativen gestartet. Doch vor allem im Bereich der Strafverfolgung muss die Regierung deutsches Recht dem AI-Act anpassen.

Auch laut Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist der Einsatz von Echtzeit-Identifizierungssystemen nur sehr eingeschränkt möglich. Die Ampelregierung lehnt im Koalitionsvertrag sowohl flächendeckende Videoüberwachung als auch den Einsatz biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken ab.

Trotzdem sollen mehrere Polizeigesetze geändert werden. Das geht aus einem Gesetzesentwurf hervor, der unter anderem dem "Spiegel" und dem "Deutschlandfunk" vorliegt. Die von Herrmann geforderte Live-Gesichtserkennung soll es nicht geben, dafür soll die Polizei andere Befugnisse erhalten.

Gesichtserkennung über das Internet soll legal werden

"Für eine zeitgemäße Aufgabenwahrnehmung ist es unerlässlich, dass Polizeibehörden über moderne Befugnisse verfügen", so die Begründung im Gesetzesentwurf. Deswegen plant die Innenministerin, dem Bundeskriminalamt sowie der Bundespolizei einen eingeschränkten Einsatz von Gesichtserkennung zu gestatten. Die Beamten sollen so Verdächtige durch einen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet deutlich schneller ausfindig machen können. Darunter zählen Fotos genauso wie Videos oder Stimmaufnahmen.

Außerdem soll es die Identifikation unbekannter Straftäter vereinfachen, beispielsweise Terroristen des Islamischen Staats. Diese sind häufig in Hinrichtungs- und Foltervideos zu sehen und könnten sich unerkannt in Europa aufhalten.

Journalist findet RAF-Terroristin über Gesichtserkennung

Durch einen solchen KI-Abgleich über das Internet hat der Kanadier Michael Colborne die seit über 30 Jahren gesuchte RAF-Terroristin Daniela Klette gefunden - in weniger als einer halben Stunde. Das geschah noch vor der Festnahme der Terroristin. Eine derartige Suche über das Internet ist der Polizei in Deutschland aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage nicht möglich gewesen. Bisher konnten die Fahnder Bilder lediglich mit den eigenen Polizeidatenbanken abgleichen. Auch deshalb soll nachgebessert werden.

Was bedeutet das für Bayern?

Zwar ist die Live-Gesichtserkennung nach wie vor explizit nicht geplant, doch es kommt auf die Details an. Denn während die Überwachung in Echtzeit enormen Einschränkungen unterliegt, ist die nachträgliche Datenauswertung deutlich umfangreicher möglich. Es bleibt abzuwarten, wie das Gesetz eine nachträgliche Analyse definiert. Wäre ein zeitversetzter Datenabgleich bereits nach wenigen Minuten möglich, käme das fast der von Herrmann geforderten Echtzeit-Erkennung gleich.

Probleme mit dem Datenschutz sieht der bayerische Innenminister derweil nicht. "Es ist klar, dass Fotos, die keinen Treffer ergeben, sofort wieder gelöscht werden", sagte Herrmann dem "BR".

Deutliche Kritik der Koalitionspartner

Ob der Gesetzesentwurf genauso umgesetzt wird, ist noch unklar. Während der Bund Deutscher Kriminalbeamter den Entwurf begrüßt, gibt es vor allem von den Grünen Kritik. Deren Vize-Fraktionschef Konstantin von Notz sprach sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland klar gegen die biometrische Erfassung zu Überwachungszwecken im öffentlichen Raum aus. Der Plan werfe "verfassungsrechtlich tiefgreifende Fragen auf".

Dem digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Maximilian Funke-Kaiser, sei außerdem unklar, wie diese Pläne mit den Vorgaben des Koalitionsvertrags vereinbar sein sollen.

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