Vergiftung von Alexej Nawalny: Merkel allein in der EU
3.9.2020, 12:37 UhrDie Kanzlerin hat nie zu denen gehört, die sich am Putin-Bashing, an der Verteufelung des Kremlchefs, beteiligt haben. Gewiss hat sie immer wieder Kritik geübt, nicht zuletzt im Konflikt in der Ostukraine, in dem sich Moskau auch die Krim einverleibt hat. Gleichwohl hat Angela Merkel stets darauf geachtet, dass die Gesprächskanäle offen blieben und dass – trotz der verhängten Sanktionen – Geschäfte möglich waren. Die zweifelsfrei erwiesene Vergiftung von Alexej Nawalny, des prominentesten Oppositionellen in Russland, stellt diesen Kurs nun sehr grundsätzlich in Frage.
Der Kanzlerin ist das offenbar sehr bewusst. Sie hätte die offizielle Feststellung, dass Nawalny mit einem Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde, auch ihrem Regierungssprecher überlassen können. Sie hat es selbst verkündet, in sehr deutlichen Worten und mit der Erwartung, dass Moskau sich aktiv an der Aufklärung beteiligt. Sie weiß aber selbst, dass nichts dergleichen geschehen wird.
Das aber führt unweigerlich zur Frage: Wie reagieren, wenn der Kreml sich taub stellt. Sollen dann neue Sanktionen verhängt werden? Wenn ja, welche? Wenig überraschend sind sofort Stimmen laut geworden, dass die umstrittene Erdgas-Leitung Nord Stream 2 auf den Prüfstand müsse, obwohl diese trotz amerikanischer Sanktionen fast fertiggebaut ist. Wenig verwunderlich, sucht die Kanzlerin jetzt europäische Rückendeckung. Die EU müsste eine Antwort auf den Fall Nawalny finden.
Doch genau hier wird die Bundesregierung von dem Umstand eingeholt, dass das Nord-Stream-Projekt eben nicht europäisch abgestimmt wurde. Im Gegenteil, es wurde gegen den heftigen Widerstand einiger EU-Partner durchgesetzt. Nicht nur Polen oder die Balten lehnen die Gaspipeline geschlossen ab. Auch Frankreich, der engste Partner in der EU, stellte sich im Frühjahr 2019 zur Überraschung mancher in Berlin gegen das Vorhaben.
Hier rächt sich, dass die Kanzlerin in ihrer langen Regierungszeit nie wirklich eine europäische Politik betrieben hat. Europa war ihr nie ein Herzensanliegen. Sie hat immer nur für Minimalkonsense gesorgt. Das sogar mit großem Geschick. Doch es war nie so, dass da der europäische Gedanke gefördert worden wäre. Und eins wurde zumindest in den anderen EU- Staaten stets registriert, auch wenn man das hierzulande nicht wahrhaben wollte: Für Deutschland waren die Gipfelergebnisse meist viel vorteilhafter als für andere. Das wird auch nicht dadurch wettgemacht, dass Berlin weiter der größte Nettozahler ist.
Aussitzen ist in der Causa Nawalny eigentlich keine Option. Es ist allerdings zu befürchten, dass genau das am Ende herauskommt. Weil die Bundesregierung keine wirkliche Handlungsmöglichkeit hat. Kein schöner Befund für den Zustand des europäischen Projekts. Aber so ist es.
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