Viktor Juschtschenko auf dem Leidensweg seines Vaters
10.2.2007, 00:00 UhrMan kann Viktor Juschtschenko deutlich anmerken, welch emotionaler Moment dieser Rundgang für ihn war. Der ukrainische Staatspräsident ist auf dem Gelände der oberpfälzischen KZ-Gedenkstätte Flossenbürg dem «Ort der Qualen meines Vaters» begegnet. Er erlebt das, sagt er, als würde er einen schon einmal gesehenen Schwarz-Weiß-Film «physisch abschreiten». Die Bilder im Kopf stammen von den Erzählungen seines Vaters. Andrej Juschtschenko war Häftling Nummer 38034 im KZ Flossenbürg.
Der Oberleutnant der Sowjet-Armee war im Juni 1941 in der Nähe des weißrussischen Slonim in deutsche Kriegsgefangenschaft gekommen und hatte danach einen leidvollen Weg durch sieben Lager antreten müssen. Vorletzte Station war das KZ Auschwitz, in das er wegen politischer Agitation kommt. Im Oktober 1944 wird er von dort in einem Bahntransport gemeinsam mit 1500 anderen Häftlingen nach Flossenbürg verlegt.
Misslungene Flucht
Er flieht unterwegs, wird von der Gestapo aufgegriffen und landet schließlich doch in dem wegen seiner lebensvernichtenden Fron im Granitabbau berüchtigten Lager Flossenbürg.
62 Jahre später steht sein Sohn Viktor im eisigen Wind des Oberpfälzer Waldes und erinnert sich an Szenen, mit denen der Vater die Geschichte seines Überlebens und seiner Befreiung immer wieder geschildert hat. Als in den letzten chaotischen Kriegswochen das Lager allmählich geräumt wird und die einigermaßen gesunden Häftlinge zu den berüchtigten Todesmärschen aufbrechen müssen, versteckt sich Andrej Juschtschenko in einer Baracke unter den Dielen des Bretterbodens. Am 23. April, die SS-Leute haben sich längst abgesetzt, steht plötzlich eine amerikanische Motorrad-Patrouille am Lagertor. Kurz darauf rollt ein US-Panzer auf den Appell-Platz. Als er wieder abzieht, springen Andrej Juschtschenko und einige andere Häftlinge einfach auf.
Im nahe gelegenen Lager der US-Soldaten werden die abgemagerten und verwahrlosten KZ-Häftlinge ungläubig bestaunt. Als sie in einen Waschraum geschickt werden, reagiert Andrej Juschtschenko voller Angst. «Er fürchtete, sie würden erschossen», erzählt sein Sohn. «Er hatte den Glauben an die Menschen verloren.» Und er mag sich in diesem Moment an das Häftlingsbad im Keller der KZ-Wäscherei Flossenbürg erinnert haben. Den Ort, an dem allen neu eintreffenden Häftlingen der letzte Rest Menschenwürde geraubt worden war. Kahl geschoren, in Häftlingsanzüge gesteckt, nummeriert und geprügelt wurden sie hier.
Der Raum, der ab Juli endlich Teil einer dauerhaften Ausstellung sein soll, ist bis heute nahezu unverändert geblieben. Viktor Juschtschenko, der vom Leiter der KZ-Gedenkstätte, Jörg Skriebeleit, auch hierher geführt wird, berührt die gelben Wandfliesen und betrachtet eine Zeichnung des italienischen Häftlings Vittore Bocchetta, in der dieser das «Wüten im Duschraum» festgehalten hat.
Danach zieht die kleine Delegation hinunter ins «Tal des Todes», wo einst die Asche der rund 30 000 Todesopfer des Lagers ausgestreut worden war. Am vom Schnee befreiten Gedenkstein, der an die ukrainischen Opfer erinnert, legt der Staatspräsident einen Kranz nieder.
Erst im Jahr 2004 hatte Juschtschenko nach jenem Flossenbürg forschen lassen, von dem sein verstorbener Vater gelegentlich erzählt hatte. Und dessen markante Burgruine eine Häftlingszeichnung zeigte, die in der Wohnung der Familie an der Wand hing. Immer wieder war sie von den Söhnen abgezeichnet und zum Symbol für die Häftlingsgeschichte des Vaters geworden.
Misstrauen der Stalin-Ära
Eine Geschichte, über die in der Nachkriegs-Sowjetunion besser nur im Kreis der Familie gesprochen wurde. Lange mussten Offiziere, die die Schrecken der Nazi-Lager überlebt hatten, nämlich mit dem Generalverdacht leben, Kollaborateure Hitler-Deutschlands gewesen zu sein. Auch für Andrej Juschtschenko war nach seiner Befreiung in Flossenbürg die Häftlingszeit noch nicht vorbei. In einem «Filtrationslager» bekam er in der Heimat die Paranoia des Stalin-Regimes zu spüren. Dass mit Hilfe der deutschen Gedenkstätten-Historiker die Lagerstationen des Häftlings lückenlos recherchiert werden konnten, bedeutet deshalb sechs Jahrzehnte später auch so etwas wie eine restlose Rehabilitation des Offiziers.
«Jede Familie hat ihre Geschichte, die wie ein Fundament für nachkommende Generationen ist», sagt Viktor Juschtschenko, der Held der «Orangenen Revolution» in der Ukraine, am Ende seines Besuchs. «Ein Andenken, aus dem man auch seine Lehren ziehen sollte.» Im Juli will er wieder nach Flossenbürg kommen zur Eröffnung der Ausstellungsräume. «Mit meinen Kindern.»