Gegen angebliche "Diktatur der Parteien"
Volksbegehren startet: Querdenker wollen bayerischen Landtag auflösen
9.10.2021, 08:45 UhrDas hat es noch nie gegeben in der Geschichte des Freistaates: Am 14. Oktober startet ein Volksbegehren, an dessen Ende sich der Landtag auflösen soll. Die Hürden auf dem Weg dorthin sind allerdings hoch. Und der politische Widerstand dagegen ist es ebenfalls.
Denn hinter der Initiative "Bündnis Landtag abberufen" stehen vor allem so genannte Querdenker wie der pensionierte Polizeibeamte Karl Hilz, den der bayerische Verfassungsschutz beobachtet. Hilz, so lautete die Begründung, versuche "mit einem Aktivismus eine systematische Störung der Funktionsfähigkeit des Staates herbeizuführen". Die Behörde rechnet ihn deshalb dem neuen Sammelbeobachtungsobjekt "Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen" zu.
Wüste Wortwahl
Auf ihrer Internetseite machen die Organisatoren kein Geheimnis aus ihrer Position. Sie schreiben vom "Kadavergehorsam", der in den Landtagsfraktionen herrsche. Von einer "Diktatur der Parteien" ist dort die Rede und davon, Lügen seien "die Grundlage der Politik". Die Initiatoren wollen "den Landtag aufräumen und in Zukunft regelmäßig putzen".
Der Weg vom Volksbegehren zum Volksentscheid ist allerdings weit. Zwar hat das Bündnis zunächst tatsächlich die notwendigen 25.000 Unterschriften zusammenbekommen, die für ein Volksbegehren notwendig sind. Allerdings muss sich jetzt mindestens eine Million der wahlberechtigten Bayern in die Listen eintragen, damit aus dem Begehren ein Entscheid werden kann. Bei dem reicht dann die einfache Mehrheit für ein Ergebnis. Ab dem 14. Oktober liegen die Unterschriftenlisten zwei Wochen lang in den Rathäusern aus.
Verfassungsrecht
Unterstellt, die Initiatoren bekommen die Million tatsächlich voll, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, der Landtag löst sich von sich aus auf, Oder er lässt die Bürger in einem Volksentscheid darüber abstimmen. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist in der bayerischen Verfassung begründet. Sie gibt mit Artikel 18 den Menschen im Freistaat ausdrücklich das Recht, dass sie ihren Landtag abberufen können.
Juristen im Landtag bezweifeln allerdings, dass dies im aktuellen Fall rechtmäßig sein könnte. Das Volksbegehren sei zwar zugelassen, weil es formal die Voraussetzungen erfüllt, sagen sie. Im Erfolgsfall sei aber eine Verfassungsklage dagegen denkbar und wohl auch aussichtsreich.
Relativ gelassen
Unabhängig davon sehen die Politiker im Landtag den Vorgang relativ gelassen, weil sie an einen Erfolg der Initiative nicht glauben. "Eine Million Unterschriften, das ist eine sehr hohe Hürde", sagt der Fürther SPD-Abgeordnete Horst Arnold. Ein "indiskutables Begehren" sei das, sagt Arnold, der nicht mehr von Querdenkern reden will, sondern von "quer Blockierten, die keinem Argument mehr zugänglich sind."
Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen, sieht das ähnlich. Sie werde sich "mit einem derart destruktiven Volksbegehren gar nicht groß beschäftigen", sagt sie. Wer unterschreiben wolle, müsse allerdings wissen, "mit wem er sich da gemein macht. Diese Gruppe ist nicht ohne; die Querdenker stehen für Angriffe, Gewalt, für Coronaleugnen." Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, geht weiter. "Höchst rechtsmissbräuchlich" sei das Volksbegehren, sagt er. "Ich sehe darin einen Angriff auf unsere Demokratie und unseren Freistaat durch die Querdenkerszene."
Kein Widerspruch
In diesem Punkt widerspricht ihm niemand. Karl Freller, CSU-Abgeordneter des Stimmkreises Nürnberg-Süd, pflichtet seinem Koalitionspartner ausdrücklich bei. Das Begehren sei "total verfehlt", der Föderalismus mit seinen starken Landesparlamenten überlebenswichtig, weil er Deutschland nach dem Krieg erst stabilisiert habe.
Dass selbst im Erfolgsfall das Volksbegehren viel ändern könnte, glauben die Abgeordneten ohnehin nicht. Martin Hagen sieht zwar für seine FDP durchaus bessere Chancen bei Neuwahlen, weil sie im Moment in den Umfragen deutlich zugelegt hat. "Aber die Mehrheitsverhältnisse würden sich allenfalls leicht verschieben." Ohnehin sieht er aus staatspolitischer Sicht überhaupt keine Argumente für das Begehren." Schon deshalb habe er bisher nicht unterschrieben und werde es auch weiterhin nicht tun.
Mehr Macht
In einem Punkt allerdings sind sich die Parlamentarier über alle Fraktionen hinweg einig: Der Landtag muss sich wieder stärker in den Vordergrund bringen. "Er hatte früher eine weitaus stärkere Bedeutung", sagt etwa der CSU-Politiker Karl Freller. "Hier brauchen wir eine gewisse Renaissance." Immerhin sei "der Landtag das Herz der Demokratie". Das, glaubt die Grüne Katharina Schulze, habe auch während der Pandemie "kräftigst geschlagen. Unser Parlament war und ist handlungsfähig", sagt sie. "Und das konterkariert die Erzählung seiner Gegner."