Mehr sexualisierte Gewalt
Vorbild Tokio? Grünen-Politikerin fordert U-Bahn-Waggons nur für Frauen
14.11.2024, 11:58 UhrQuetschende Menschenmenge, andauernder Körperkontakt mit Unbekannten, pöbelnde Fußballfans und lüstern-betrunkene Männer: Das Fahren im Zug oder in der U-Bahn ist für viele Frauen ein nicht nur unangenehmes Szenario, sondern mitunter regelrecht ein Umfeld der Angst. Die Polizeistatistiken bestätigen den subjektiven Eindruck zahlreicher weiblicher Fahrgäste: Die Bundespolizei erfasste im vergangenen Jahr 2023 insgesamt über 25.000 Gewaltdelikte an Bahnhöfen und Zügen in Deutschland. In Berlin etwa stieg die Anzahl sexueller Straftaten im öffentlichen Nahverkehr zwischen 2017 und 2023 von 295 auf 391 Fälle an – die Opfer sind dabei laut der Polizeistatistik zu 89 Prozent weiblich. Auch in Umfragen geben Frauen die Bahn an unsicherstes Verkehrsmittel an. Zuletzt, so gab es die Grünen-Sprecherin im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek an, "gab es sehr schreckliche Übergriffe auf Frauen, bis hin zu einer Vergewaltigung in der U-Bahn-Linie 3". Entsprechend fordert sie: "Wir brauchen mehr Schutz von Frauen, damit sich alle sicher im Nahverkehr fühlen." Die "Bild-Zeitung" berichtete zuerst über den Vorschlag.
Abhilfe schaffen soll ein Konzept, das unter anderem in Tokio oder Mexiko-Stadt Anwendung findet: Konkret sollen zu den Stoßzeiten einzelne Waggons in der Berliner U-Bahn ausschließlich für Frauen reserviert werden, da diese laut Kapek einen "übergeordneten Schutzbedarf" haben. Konkret könnte beispielsweise stets jener Waggon, der sich direkt hinter dem Fahrer befindet, als separater Frauen-Waggon genutzt werden.
In den Frauen vorbehaltenen Wagen sollen Kapek zufolge weibliche Fahrgäste vor männlichen Übergriffen insbesondere in den Hauptverkehrszeiten besser geschützt sein. "Hier haben sie einen Schutzraum, der es ihnen ermöglicht, auch in der Rushhour, auch bei großem Gedränge ohne Antatschen oder Übergriffe mit der U-Bahn zu fahren", betonte Kapek. Insbesondere in den Abendstunden, wenn es besonders eng sei, sei es für Frauen oft unangenehm. Auch zu Nachtzeiten nehme die Zahl der Übergriffe zu.
Dieses Konzept hat sich beispielsweise in Japan bereits etabliert: In den Bahnen Tokios sind morgens bis 10 Uhr und abends zwischen 17 Uhr und 21 Uhr bestimmte Waggons nur Frauen, Rollstuhlfahrern und maximal zwölfjährigen Kindern vorbehalten. Außerdem fährt in den entsprechenden Waggons stets eine aufpassende Person mit. In Tokio, aber auch in Mexiko-Stadt oder Rio de Janeiro hat sich das Konzept etabliert - in Deutschland indes handelt es sich bei dem Vorschlag zunächst lediglich um eine Idee des Grünen-Landesverbands.
Außerdem fordert die Grünen-Sprecherin Kapek die Einrichtung explizit markierter Zonen an Bahnhöfen, an denen eine Videoüberwachung und Notrufsäulen die Sicherheit für Frauen erhöhen sollen. Die 48-Jährige argumentierte: "Im Zug habe ich keine Angst, aber manchmal auf Bahnhöfen – und eher schon auf dem Weg zur Haltestelle."
Berliner Verkehrsbetriebe reagieren skeptisch auf den Vorschlag
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sehen den Vorschlag der Abgeordneten skeptisch und halten die bisherigen Sicherheitsvorkehrungen in ihren Fahrzeugen für ausreichend. "Wir arbeiten mit vollem Einsatz daran, dass alle Fahrgäste jederzeit sicher und mit einem guten Gefühl ans Ziel kommen. Das ist unser Anspruch", teilte das Unternehmen auf Anfrage mit.
"Wer sich unwohl fühlt oder Hilfe benötigt hat auf jedem Bahnhof zu jeder Tages- und Nachtzeit die Möglichkeit, über die Notruf- und Informationssäulen direkten Kontakt zu unseren Mitarbeitenden und der Sicherheitsleitstelle aufzunehmen", hieß es. Die BVG verwies zudem auf rund 250 Sicherheitsbeschäftigte, die rund um die Uhr im Einsatz seien. "Schwerpunktbahnhöfe werden dauerhaft Tag und Nacht besetzt, zusätzlich alle Endbahnhöfe zwischen 20 und 5 Uhr."
Konkrete Umsetzung bleibt offen
Tatsächlich ergeben sich aus dem Vorschlag von Kapek einige ungeklärte Fragen. Wie soll die Trennung in Zügen umgesetzt werden, die keine Abgrenzungen zwischen den einzelnen Wagenteilen haben? Gibt es genügend Kapazitäten für zusätzliches Sicherheitspersonal, das in den Waggons mitfahren soll? Für Antworten setzt die Grünen-Abgeordnete auf eine politische Debatte.
Aus Sicht des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen ist das aber kein spezifisches Thema des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). "Wir müssen in allen Lebensbereichen gegen sexualisierte Gewalt vorgehen. Präventiv und restriktiv", teilte VDV-Geschäftsführer Alexander Möller auf Anfrage mit. "Die Verkehrsunternehmen leisten mit Sicherheitspersonal, Videoüberwachung und anderem heute schon einen wichtigen Beitrag." Zusätzliche Anstrengungen müssten mit der Politik vereinbart werden.