Warum die Bahn bei Problemen ihre Kunden stehen lässt
12.10.2018, 05:50 Uhr"Bei der Bahn und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand", sagt Angelika Promberger nach einem Abenteuer auf der Schiene, das es zum Glück nur ganz selten gibt. Von ihrem Wohnort Plech im Landkreis Bayreuth pendelt sie täglich zu ihrer Arbeitsstelle nach Fürth über Nürnberg und nutzt dazu die S-Bahn-Linie 1 (Hartmannshof-Forchheim).
An einem Abend im vergangenen Herbst, als es draußen bereits dunkel und kalt war, erlebte sie auf dem Rückweg ihr grünes Wunder: Angelika Promberger war in Fürth nichtsahnend wie immer in die S1 gestiegen, die an diesem Tag Verspätung hatte. Kurz darauf in Nürnberg drängten weitere Menschen in den Zug. "Wohlige Zufriedenheit" habe sich unter den Reisenden ausgebreitet, als die Bahn wieder anfuhr, schreibt die Pendlerin.
S-Bahn auf Abwegen
Doch schon nach ein paar Minuten wurde sie stutzig: Am Fenster zog die grüne Neonschrift einer Versicherung vorüber - deren Hauptverwaltung jedoch am Dutzendteich liegt! Sie war folglich auf der Route der S 3 nach Altdorf unterwegs und nicht auf der Linie der S 1 nach Hartmannshof.
Unruhe sei plötzlich zu spüren gewesen, beschreibt Angelika Promberger. Und dann die Durchsage: "Diese S-Bahn wurde fehlgeleitet!" Am Bahnhof Nürnberg-Frankenstadion wurde sofort ein außerplanmäßiger Halt eingelegt, alle Fahrgäste mussten aussteigen. Eine S-Bahn, die nun alle Passagiere wieder zurück zum Hauptbahnhof Nürnberg bringen sollte, ließ dann aber statt der per Lautsprecher angekündigten fünf Minuten ganze 35 Minuten auf sich warten. Angelika Promberger entschied sich auf der Rückfahrt zum Hauptbahn "für ein letztes Abenteuer": Sie stieg bereits im Bahnhof Dürrenhof aus und hatte dort zehn Minuten später Anschluss an die "richtige" S-Bahn nach Hartmannshof. Eineinhalb Stunden später als üblich war sie endlich daheim.
Ein seltenes Phänomen
Frage an die Bahn: Wie kann eine S-Bahn "fehlgeleitet" werden? Ein Sprecher der Pressestelle in München betont, dies sei durch eine falsche Weichenstellung eines Bahnbeamten auf dem Stellwerk geschehen. Man habe den Fehler aber sofort bemerkt und deswegen noch in Nürnberg den außerplanmäßigen Halt eingelegt. Der Zug sei zu keinem Moment gefährdet gewesen, er habe den regulären "Laufweg" der S 3 eingeschlagen. Und: Es handele sich um einen äußerst seltenen Fehler. In den vergangenen fünf Jahren seien nur zwei fehlgeleitete Züge in Bayern registriert, einer davon war die S 1.
Ein besonderes Ärgernis ist für viele Reisende jedoch der plötzliche Umstieg auf den sogenannten Schienenersatzverkehr, also auf Busse, wenn Züge wegen Bauarbeiten entlang der Strecke, technischer Störungen, umgestürzten Bäumen oder Unfällen nicht mehr weiterfahren können. Leser klagen jetzt, dass sie auf ihren täglichen Routen auf Schienenersatzverkehr angewiesen sind, die Busse aber nicht einmal zwei Minuten Verspätung einer S-Bahn abwarten würden.
Wenn der Busunternehmer patzt
Beispiel 1: Irene Nowack und Ehemann Ulrich aus Rednitzhembach wollten am 22. März 2018 abends um 22.01 Uhr mit der S 2 von Nürnberg nach Rednitzhembach fahren. In Schwabach stoppte die Bahn: Sie sollten nun auf den Bus umsteigen. Doch der war weg, weil die S 2 wenige Minuten Verspätung eingefahren hatte.
Beispiel 2: Lydia Brunner und ihre Tochter aus Altdorf waren im August an einem Samstagabend mit dem letzten Zug von Nürnberg nach Feucht gefahren. Dort sollte der Schienenersatzverkehr nach Altdorf warten, es war die letzte öffentliche Fahrgelegenheit in dieser Nacht. Der Bus war aber schon weg. Mutter, Tochter und eine Handvoll Mitreisender mussten also im Finsteren in die Ortsmitte laufen, um dort wenigstens noch den Nightliner um 1.25 Uhr nach Altdorf zu bekommen.
Wie sich jetzt herausstellte: Die Bahn kann für den missglückten Umstieg gar nichts. Es sei der Busunternehmer gewesen, der falsch disponiert hatte, teilte die Bahn mit.
Runder Tisch soll‘s richten
Beispiel 3: Die S1 von Hartmannshof nach Bamberg ist - wegen der Baustellen - oft verspätet. Bahnreisende, die nach Happurg oder Pommelsbrunn möchten, haben mehrfach erlebt, dass eine mehr als 20-minütig verspätete S-Bahn gar nicht mehr bis Hartmannshof, sondern nur bis Hersbruck und von dort die Strecke zurück nach Bamberg fährt, um letztlich wieder in den Takt zu kommen.
Doch wie kommen dann die Reisenden von Hersbruck weiter bis Pommelsbrunn oder Happurg?, fragt Leser Siegfried Jäger aus Pommelsbrunn. Auskunft am Bahnhof in Hersbruck: "Auf den nächsten Zug warten". Der fährt aber erst eine Stunde später.
Ein Runder Tisch
Wegen der Probleme auf der Strecke von und nach Bamberg hat die Bahn jetzt einem Vorschlag des SPD-Bundestagsabgeordneten Andreas Schwarz aus dem Wahlkreis Bamberg-Forchheim zugestimmt und einen runden Tisch ins Leben gerufen.
In regelmäßigen Abständen sollen sich nun Vertreter der betroffenen Kommunen entlang der Strecke, Bahnverantwortliche und Politiker zusammensetzen. "Jeder Kilometer entlang der Ausbaustrecke" solle dabei aufgearbeitet und die örtlichen Anliegen sollen berücksichtigt werden, verspricht Schwarz. Ebenso wolle man die Bürger mit einbeziehen.
Beispiel 4: Auf der Strecke von Uffenheim über Ansbach nach Nürnberg ereignete sich im Juli ein "Personenschaden". Wegen des Notarzteinsatzes konnte der Zug nicht weiterfahren. Nach längerer Wartezeit sei den Bahnkunden mitgeteilt worden, der Zug fahre zurück zum nächsten Ort, von dort würde man mit dem Bus nach Ansbach gebracht, schildert Claudia Leuser aus Nürnberg.
Inzwischen wurde es Nacht
Im kleinen Ort Oberdachstetten hätten dann alle Reisenden den Zug verlassen müssen, darunter Frauen mit kleinen Kindern, eine Hochschwangere und mehrere ältere Leute. Vor Ort gab es nach ihrer Schilderung keinerlei Infrastruktur: Keine Sitzgelegenheiten, keine Toiletten, keine Möglichkeit, Getränke zu erwerben. Und: Es gab keinen Bus. Nach einer Stunde Wartezeit habe ein Bahnmitarbeiter mitgeteilt, es sei nicht gelungen, einen Bus oder ein Taxi zu organisieren. "Mit diesen Worten ließ er uns einfach im Niemandsland stehen, ohne danach noch einmal in Erscheinung zu treten", berichtet Claudia Leuser. Inzwischen sei es Nacht geworden, man habe selbst den Nachhauseweg organisieren müssen.
Beispiel 5 ist etwas anders gelagert, doch auch hier geht es um eine unterbrochene Fahrt: Michaela Scheuering wollte an einem Juli-Sonntag mit ihrem sechsjährigen Sohn von Kronach nach Nürnberg reisen. Aber der Zug hatte einen technischen Defekt. Mutter und Sohn fuhren also mit einem Folgezug bis Bamberg, mussten dort auf Anschluss warten und kamen erst 90 Minuten später in Nürnberg an. Auf dem Weg von Bamberg nach Nürnberg erfuhr die Frau vom Schaffner, dass sie bereits früher und ausnahmsweise aufgrund des schadhaften Zuges mit einem ICE hätten weiterfahren dürfen. Sie hat den Vorfall sofort im Nürnberger Reisezentrum gemeldet und wartet immer noch auf eine Entschädigung.
Komplexes Räderwerk
Die Bahn teilte unserer Redaktion zu den hier geschilderten Fällen mit: "Wir wollen, dass jeder einzelne Kunde gut und sicher mit der Deutschen Bahn an sein Ziel kommt. Wir wissen, dass es dabei menschelt, dass kleine - und häufig auch externe - Ursachen große Wirkungen im komplexen Räderwerk des Systems Schiene haben können. Wenn das zu Verspätungen und Ärger führt, sind wir selbst auch nicht zufrieden mit unserer Leistung."
Die genannten Fälle könne man nicht mehr einzeln nachrecherchieren: "Jeder Kunde, der ein Problem, eine Frage zu seiner Zugverbindung hat, kann über den Kundendialog unserer Verkehrsunternehmen per Mail, per Telefon oder an Bahnhöfen mit Reisezentren sein Anliegen loswerden oder Fahrgastrechte geltend machen. In den allermeisten Fällen finden wir eine Lösung oder zumindest eine Antwort."
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir sagen ganz herzlichen Dank für Ihre vielfältigen Reaktionen auf unsere neue Serie "Bahn frei". In einer Fülle an E-Mails, Briefen und Anrufen haben Sie uns ausführlich ihre Freude, aber auch Ihr Leid mit der Bahn geschildert. Eine ganze Reihe von Beschwerden und Unzulänglichkeiten haben wir aufgegriffen und die Bahn um Stellungnahme gebeten. Dies hat ein wenig gedauert, galt es doch, das Material zu sichten und auszuwerten. Die Bahn hat in einigen Fällen jedoch nur pauschal auf Vorfälle und Fragen geantwortet.
Dafür tauschen sich in unseren Facebook-Gruppen, die wir für fünf Strecken in der Region eingerichtet haben, die User eifrig über das tägliche Geschehen auf der Schiene aus.
Wenn Sie Richtung Bamberg über Erlangen und Forchheim fahren oder die Bahn Richtung Ansbach oder Richtung Schwabach, Roth und Treuchtlingen nutzen oder nach Neumarkt/Regensburg sowie in Richtung Allersberg, nach Würzburg oder nach Pegnitz/Bayreuth pendeln oder die Gräfenbergbahn besteigen, sind sie online gefragt.
Sie haben auch Geschichten rund um ihre Zugfahrten zu erzählen? Treten Sie der jeweiligen Facebook-Gruppe bei:
1. Da sind zunächst die Regional- und S-Bahnen in Richtung Bamberg über Erlangen und Forchheim sowie die verbunden Nebenstrecken. Hier können Sie der Facebook-Gruppe beitreten!
2. Die Facebook-Gruppe für Bahnfahrer von und in Richtung Würzburg plus alle Nebenstrecken findet sich unter diesem Link.
3. Wer die Strecke Richtung Ansbach Schwabach, Roth und Treuchtlingen nutzt, ist hier genau richtig. Unter diesem Link können Sie der Gruppe beitreten.
4. Alle, die in Richtung Neumarkt, Regensburg, Allersberg oder München unterwegs sind, sollten sich in dieser Facebook-Gruppe beteiligen.
5. Zu guter Letzt gibt es noch eine Seite für die Reisenden in Richtung Pegnitz und Bayreuth und die Nutzer der Gräfenbergbahn. Hier können Sie der Gruppe beitreten. Die fünf Facebook-Gruppen werden von unserer Redaktion betreut und moderiert.
Uns geht es nicht darum, den Zug der Zeit ins negative Licht zu rücken, sondern zu dokumentieren, wie das Leben in und mit der Bahn aktuell funktioniert. Was ist gut, was läuft verkehrt? Die Ergebnisse fassen wir zusammen und liefern Hintergrundberichte.
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