Werbeverbot für Abtreibungen - Kompromiss zu Paragraph 219a

dpa

12.12.2018, 21:52 Uhr
Mit einem Transparent fordern Demonstrantinnen die Abschaffung des Paragrafen 219a.

© Boris Roessler (dpa) Mit einem Transparent fordern Demonstrantinnen die Abschaffung des Paragrafen 219a.

Es ist eine eher kleine Sachfrage, die die fragile große Koalition auf eine nächste Belastungsprobe stellt. Eine Ärztin, die eine Datei mit Infos über einen Schwangerschaftsabbruch zum Herunterladen angeboten hat, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Nach monatelangen Überlegungen hat die Bundesregierung nun einen Kompromiss für mehr Rechtssicherheit vorgelegt - doch ob der gerade die SPD-Abgeordneten überzeugt, muss sich erst noch zeigen.

Um was geht es im umstrittenen Paragrafen 219a?

Er verbietet im Strafgesetzbuch Werbung für Schwangerschaftsabbrüche - dabei fasst er den Begriff Werbung weiter als im Sprachgebrauch üblich. So macht man sich schon strafbar, wenn man etwa "seines Vermögensvorteils wegen" öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Dafür wurde auch die Ärztin aus Gießen verurteilt. Zuvor fristete der Paragraf 219a lange Zeit ein Schattendasein. 

Nun gibt es einen Kompromiss, wie sieht der aus?

Fünf Punkte umfasst die Lösung. "Frauen, die ungewollt schwanger werden, brauchen Hilfe und Unterstützung", heißt es darin - aber Kanzleramtsminister Helge Braun betont für CDU/CSU: "Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch darf es jedoch auch in Zukunft nicht geben." Aber man will die Information für betroffene Frauen rasch verbessern. "Deshalb werden wir rechtlich ausformulieren, dass und wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und (...) auf Informationen (...) hinweisen dürfen", heißt es im Kompromisspapier, an dem auch Innenminister Horst Seehofer (CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) mitgewirkt haben.

Also "Werbung" nein, dafür bessere Information?

Das ist der Leitgedanke. Frauen, die eine Abtreibung wollen, sollen schnell einen Arzt oder eine medizinische Einrichtung finden, in der sie den Eingriff vornehmen lassen können. "Deshalb wollen wir die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit der Aufgabe betrauen, für Betroffene entsprechende Kontaktinformationen zur Verfügung zu stellen." Dieser Informationsauftrag soll bis Januar gesetzlich verankern werden. Zudem sollen Abtreibungsärzte besser qualifiziert werden und eine Studie soll seelische Folgen von Abtreibungen analysieren. Der Paragraf 219a soll ergänzt und Paragraf 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert werden. Im Januar soll ein Gesetzentwurf vorliegen.

Sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland generell legal?

Nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches sind Abtreibungen meist rechtswidrig - sie werden aber unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft. Die Schwangere muss selbst den Abbruch verlangen und sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Außerdem dürfen seit der Befruchtung nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein. Im ersten Halbjahr 2018 gab es rund 52 000 Abtreibungen in Deutschland.

Wird die Lösung den Streit befrieden?

Das muss sich noch zeigen. Die SPD hat schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Werbeverbots vorgelegt, auch Grüne, Linke und FDP wollen den Paragrafen am liebsten abschaffen. Ärzte müssten objektiv über einen in Deutschland straffreien Eingriff informieren dürfen, argumentieren sie. Die SPD hat ihren Antrag im März allerdings aus Rücksicht auf die Union zurückgezogen. Denn die Union will das Werbeverbot auf keinen Fall einschränken. SPD-Chefin Andrea Nahles versprach eine Lösung bis zum Herbst, der endet im Kalender am 21. Dezember. Entschieden werden soll nun im Januar - die Fraktionen von Union und SPD müssen dann im Bundestag Farbe bekennen.

Was passiert, wenn der Kompromiss durchfällt?

In der SPD rumort es heftig, der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, ist wie Genossen in Niedersachsen für eine Freigabe der Entscheidung, als Frage des Gewissens. Das würde dann mit Linken, Grünen und FDP auf eine Abschaffung des 219a hinauslaufen. Aber es ist auch eine Machtfrage, Nahles wird intern kritisiert, ihr wird ein zu softer Kurs gegenüber der Union vorgeworfen. Sie will verhindern, dass die SPD nicht zusammen mit der CDU/CSU abstimmt - denn das könnte die Koalition an den Abgrund führen. Aber beide Seiten könnten bei einer getrennten Abstimmung auch ihr jeweiliges Profil schärfen, statt windelweiche Kompromisse einzugehen. So wie die SPD mit der Opposition in der vergangenen Wahlperiode die "Ehe für alle", die Öffnung der Ehe für Homosexuelle, ermöglichte. Aber wie damals droht der Union auch jetzt eine Pleite - nur die AfD ist an ihrer Seite. 

Was sagt die katholische Kirche? 

Sie lehnt eine Änderung oder Streichung des Paragrafen 219a ab. Der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat Karl Jüsten, sagt: "Eine staatliche kontrollierte und finanzierte Beratung einerseits und eine weitgehend unkontrollierte, private Werbung andererseits sind miteinander schlicht nicht vereinbar."

Wie reagiert die Opposition auf den Streit?

FDP-Chef Christian Lindner will gerade die SPD vorführen, am Donnerstag stellt die FDP die Abschaffung des "Werbeverbots" im Bundestag zur Abstimmung. Die Koalitionsmehrheit kann den Antrag aber zunächst in die Ausschüsse verweisen. Zum Schwur kommt es wohl eher im Januar - nach dem Weihnachtsfrieden. Das Thema betrifft zwar viele Bürger nicht und spielt in den meisten Wahlkreisen keine Rolle, aber es geht hier gerade auch um das eigene Profil. So will die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer das konservative Profil der Union schärfen - und bei der SPD möchten viele einen kleinen Triumph über die Union, um mal wieder etwas Mut zu schöpfen. Daher ist das 219a-Thema so heikel.


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