"Gift für das soziale Miteinander"

Wohnungsnot in Nürnberg eskaliert: Der Neubau stockt, Experten schlagen Alarm

Erik Thieme

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22.8.2024, 04:55 Uhr
Obwohl es an Wohnraum mangelt, wird in Nürnberg dieses Jahr weniger gebaut als im vergangenen Jahr.

© IMAGO/Ardan Fuessmann Obwohl es an Wohnraum mangelt, wird in Nürnberg dieses Jahr weniger gebaut als im vergangenen Jahr.

Wie vielen anderen deutschen Städten fehlt es auch in Nürnberg an Wohnraum. Das Pestel-Institut, das sich unter anderem auf Wohnungsmarktanalysen spezialisiert hat, kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. In einer im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher-Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführten Analyse wird deutlich, dass in Nürnberg in den nächsten vier Jahren rund 2420 neue Wohnungen gebaut werden müssen – pro Jahr.

Dem Institut zufolge fehlen bereits jetzt 3100 Wohnungen in der Stadt, doch der Neubau und die Sanierungen stocken. In 2024 hat es bis inklusive Mai gerade einmal 1028 Baugenehmigungen für neue Wohnungen gegeben. Das sind 18 Prozent weniger als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Dabei steht außer Frage, dass mehr Wohnraum benötigt wird. Doch wieso kommt der Neubau nicht in Gang?

Über 9.000 Wohnungen stehen leer - viele seit mehr als einem Jahr

Aktuelle Zahlen zeigen, dass ungefähr 9060 Wohnungen in Nürnberg leer stehen, etwa 3,2 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Fast 40 Prozent dieser Wohnungen sind bereits seit einem Jahr oder sogar länger ungenutzt. Die knapp 3510 leeren Immobilien sind jedoch zum Teil in einem unbewohnbaren Zustand. Sie müssten erst aufwändig saniert werden – und das ist teuer.

Wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, sind nicht nur viele Baustoffe, sondern auch die Preise für viele Ausbauarbeiten wie Heizungsanlagen oder Elektroanlagen in den letzten Jahren deutlich angestiegen.

Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, blickt vor allem auf viele alte Gebäude kritisch: "Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt."

Wohnungsleerstand ist grundsätzlich notwendig

Dabei ist ein gewisser Wohnungsleerstand laut Günther sogar notwendig. "Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können."

Dennoch schätzt der Wissenschaftler die Aussichten, bereits seit Längerem leerstehende Wohnungen wieder zu reaktivieren, als eher gering ein.

Nicht nur hohe Kosten schrecken vor Sanierungen ab

Doch hohe Kosten sind nicht der einzige Grund, wieso Eigentümer von einer Sanierung absehen. Viele von ihnen seien verunsichert über bevorstehende neue Vorschriften, beispielsweise Klimaschutz-Auflagen, und wann diese eingeführt werden, so Günther. Es fehle die politische Verlässlichkeit. "Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben".

Zudem komme bei Erbstreitigkeiten häufig kein Mietvertrag zustande. Auch scheuten sich viele Eigentümer davor, einen Mieter ins Haus zu holen, aus Angst, sich mit diesem nicht zu verstehen. Für den Wissenschaftler führt deswegen an Neubauten kein Weg vorbei.

1,7 Millionen Wohnungen stehen leer - meist auf dem Land

Dabei stehen der Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) zufolge viele Wohnungen in Deutschland leer. Die meisten dieser Immobilien sind jedoch nicht in der Stadt, sondern in ländlicheren Gegenden. Anfang 2023 forderte sie, das Leben auf dem Land attraktiver zu machen. Unter anderem brauche es mehr Digitalisierung und eine stärkere Verbreitung von Homeoffice. Gerade für Familien mit Kindern sieht sie auf dem Land eine höhere Lebensqualität, "weg vom Lärm der Großstadt". Zum damaligen Zeitpunkt standen schätzungsweise 1,7 Millionen Wohnungen leer, die meisten davon auf dem Land.

Deutliche Kritik an der Bundesregierung

Für die Verbandschefin des Baustoff-Fachhandels, Katharina Metzger, ist das Augenwischerei. "Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht."

Sie fordert deswegen, einfacher und günstiger zu bauen. Das soll auch möglich sein, ohne dass der Wohnkomfort darunter leide. Dafür sei allerdings eine Reduzierung von Auflagen und "überzogenen Förderkriterien" notwendig. Als Beispiele nennt Metzger für Förderungen notwendige Klimaschutzmaßnahmen oder Stellplätze, ohne die nicht gebaut werden darf.

Die Ampel-Regierung hat den Bau von 400.000 Wohnungen pro Jahr mit in den Koalitionsvertrag aufgenommen, 100.000 davon sollen öffentlich gefördert werden. Diese Ziele wurden deutlich verfehlt. Im vergangenen Jahr wurden nur 295.000 neue Wohnungen gebaut – trotz eines deutlich höheren Bedarfs.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Pestel-Instituts fordert Katharina Metzger deshalb wesentlich mehr Fördermittel. Laut dem Bundeshaushalt für 2025 werden 3,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt. Zu wenig für das Pestel-Institut. Laut deren Berechnungen bräuchte es mindestens 12 Milliarden Euro.

"Wohnungsnot trifft Nicht-Wohnungsbau"

Durch den stockenden Wohnungsneubau entstehen laut Metzger soziale Spannungen. Durch die Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studien kamen zu dem Ergebnis, dass im vergangenen Jahr 700.000 bis mehrere Millionen Sozialwohnungen fehlten. So groß sei der Bedarf zuletzt vor 20 Jahren gewesen. Vor allem Singles mit geringem Einkommen und Familien mit fünf und mehr Personen hätten große Probleme, eine erschwingliche Wohnung zu finden.

Für Katharina Metzger eine fatale Situation. "Wohnungsnot trifft Nicht-Wohnungsbau". Sie bezeichnete die für viele Mieter oft wochen- und monatelange Wohnungssuche als "Gift für das soziale Miteinander".

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