Kein Durchhaltevermögen
Pädagoge: Kinder werden zu unselbstständigen "Prinzen und Prinzessinnen" erzogen
7.5.2024, 11:49 Uhr"Heute sitzen in einer ersten Klasse viele Prinzen und Prinzessinnen, die alle meinen, sie seien der Nabel der Welt", sagt der Pädagoge Albert Wunsch in einem Interview mit dem Spiegel. Seiner Meinung nach machen die Eltern heutzutage entscheidende Fehler in der Erziehung ihrer Kinder, was "schlimme Folgen" hat. So seien die Kinder heutzutage kaum noch belastbar und würden schnell aufgeben. Gleichzeitig "bilden sie sich ein, sie könnten unwahrscheinlich viel, was aber nicht stimmt".
Laut Wunsch liegt das daran, dass Eltern ihre Sprösslinge zu viel loben und ihnen zu viel abnehmen. Das sei nachvollziehbar, für das Kind aber negativ. Von den Eltern sei das im Endeffekt nur egoistisch. "So entwickelt sich beim Kind kein echtes, stabiles Selbstbewusstsein", das würde nur durch Eigenständigkeit entstehen. Kinder müssten früh lernen, mit Herausforderungen klar zu kommen. "Das ist ihnen aber kaum möglich, wenn die Eltern zu viel für sie handeln und sie vor Konflikten schützen."
Die Eltern heute würden oft versuchen, sich über ihre Kinder zu verwirklichen oder diese als "ihr großes Projekt" zu betrachten. Das Maß an Aufmerksamkeit, das den Kleinen dadurch zukommt, würde ihnen aber nicht gut tun. Denn es führe dazu, dass sie ein überzogenes "Ich" entwickeln und das "Wir" dadurch in den Hintergrund rückt.
Das Thema ist für Wunsch nicht neu. Gegenüber der Zeit bezeichnete er schlecht erzogene Kinder bereits vor über zwanzig Jahren als "aufgeweichte Jammergestalten" ohne Mut, Ideen und Kraft. Auch damals ging es ihm um eine Maßlosigkeit bei Geschenken und der Erfüllung der Kinderwünsche, um Konflikte, die Eltern ihren Kindern abnehmen, sowie um ein In-Watte-Packen, wenn das Kind sich unwohl fühlt.
Kindern nicht alles abnehmen
Seine Ansichten führt Wunsch gegenüber dem Spiegel unter anderem auf die steigende Zahl der Menschen zurück, die ihre Ausbildung oder ihr Studium abbrechen. Doch auch andere Fähigkeiten würden nachlassen. "Beispielsweise können heute nur noch 30 bis 40 Prozent der Zehnjährigen sicher schwimmen - in den Neunzigerjahren waren es rund 90 Prozent. Die Lese- und Schreibkompetenz der Grundschüler hat laut Lehrerverband dramatisch abgenommen."
Wunsch plädiert daher für eine Erziehung ganz nach dem Motto "Machen lassen innerhalb klarer Grenzen". Denn natürlich müssten Eltern Regeln vorgeben und diese auch durchsetzen. Aber Kinder bräuchten auch Übung im Umgang mit Konflikten und Problemen. "Um sie zu trainieren, reicht es schon, ihnen nicht ständig alles abzunehmen, sondern sie stattdessen umfangreich an den alltäglichen Abläufen des Lebens teilhaben lassen."
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