Risiko für Gesundheit

Wie der Corona-Stress krank macht

4.1.2022, 05:55 Uhr
Eine Studie zeigt: Die Lockdowns treiben den Blutdruck hoch

© imago images/Susanne Hübner Eine Studie zeigt: Die Lockdowns treiben den Blutdruck hoch

Die Corona-Krise lässt offenbar, so das Ergebnis einer aktuellen US-Studie auch unseren Blutdruck steigen. Die Präventionsforscher und Kardiologen der Cleveland Clinic haben an 465.000 Männern und Frauen beobachtet, dass deren Blutdruckwerte jeweils zu den Lockdowns deutlich anzogen: Beim Herbst-Lockdown 2020 um durchschnittlich 2,5 mmHg in der Systole und 0,53 mmHg in der Diastole. Als potenzielle Ursache wird eine Mischung aus Bewegungsmangel, vermehrtem Alkoholkonsum, Stress und Schlafmangel diskutiert. Wir sprachen darüber mit dem Wirtschafts- und Organisationspsychologen Bertolt Meyer von der TU Chemnitz.

Herr Prof. Meyer. Die US-Studie bestätigt andere Untersuchungen, wonach die Blutdruckwerte während der Lock-Downs deutlich ansteigen. Woran liegt das?

Meine Vermutung wäre, dass dies mit dem Stress-Level in der Bevölkerung zusammenhängt. Dies würde auch den Beobachtungen entsprechen, die wir in einer Studie gemacht haben.

Auf welche Weise kann sich denn Stress überhaupt auf den Blutdruck auswirken? Gibt es da eine konkrete physiologische Erklärung?

Ja. Stress erzeugt eine Hormonantwort im Körper. Wie etwa eine vermehrte Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol aus der Nebennierenrinde, mit einem entsprechenden Anstieg des Blutdrucks. Was prinzipiell zwar nichts Schlimmes ist und im Gegenteil sogar sehr sinnvoll sein kann, um den Körper auf eine Flucht- oder Gegenwehrreaktion vorzubereiten. Doch wenn das, wie es in der Corona-Krise ja der Fall ist, nicht sofort wieder herunterreguliert wird, kann es zu einer permanenten Erhöhung des Blutdrucks kommen, und das wiederum erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Worin besteht denn der Stress in erster Linie? Der Angst vor Infektionen? Der Angst vor dem Job- und Einkommensverlust?

Ja, all das trägt sicherlich dazu bei. Aber man darf nicht vergessen, dass Stress nicht nur durch Belastungen, sondern auch fehlende Entspannungsphasen entsteht. Im Lockdown entfällt vieles von dem, was wir sonst zum Herunterkommen und Auftanken unternommen haben: Der Kinobesuch, der Sport, das Treffen mit Freunden. Auch das treibt unseren Stress-Level nach oben.

Könnte nicht auch Übergewicht zu der Bluthochdruckwelle beigetragen haben? Denn im Lock-Down gibt es keinen Vereinssport mehr, um Kalorien zu verbrennen. Und vielleicht essen die Leute in Krisenzeiten auch mehr Süßes?

Im Einzelfall können solche Dinge schon eine Rolle gespielt haben. Aber es gibt keine wirklichen Belege dazu. Die Leute scheinen während der Lockdowns nicht sonderlich dicker geworden zu sein als sonst.

Und wie sieht es mit deren Alkoholkonsum aus? Nach dem Muster: Harte Zeiten brauchen harte Getränke als Antwort…

Wir haben im März dieses Jahres abgeklopft, was die Leute zur Entspannung machen. Dabei haben wir auch nach den Trinkgewohnheiten gefragt. Mit dem Ergebnis, dass man offenbar 2016, als Corona noch in weiter Ferne war, deutlich mehr trank als im Lockdown vom Frühjahr 2021.

Okay, dazu passt ja auch, dass die Forscher aus Cleveland die stärksten Blutdruckerhöhungen bei Frauen und älteren Menschen gefunden haben, die bekanntermaßen beim Frustsaufen nicht gerade vorneweg gehen. Aber welche Erklärung gibt es dann für diesen Trend?

Bei den älteren liegt dies auch daran, dass sich bei ihnen Stress besonders schnell in einer Erhöhung des Blutdrucks niederschlägt. Beide Bevölkerungsgruppen werden aber auch durch die Corona-Krise in besonders starkem Maße unter Stress gesetzt. Bei den Älteren beispielsweise dadurch, weil sie immer wieder als Hochrisikogruppe genannt werden. Und bei den Frauen, weil sie in den Familien meistens diejenigen sind, die die Mehrbelastungen infolge der Lockdowns tragen müssen.

Inwiefern?

Wenn beispielsweise die Kinderbetreuung wegfällt, liegt es meistens bei ihnen, mehr Zeit dafür aufzuwenden - zusätzlich zur Zeit für den Haushalt, Besorgungen, für die Pflege von Familienangehörigen usw. Deswegen reduzieren die berufstätigen Frauen zu Corona-Zeiten oft ihre berufliche Arbeitszeit, was zwar nicht unbedingt ausreicht, um die Mehrarbeit im Haushalt aufzufangen, aber zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen führt: mit der Frau eher zuhause und dem Mann im Beruf.

Stichwort Arbeit. Im Lockdown ist ja mehr denn je Homeoffice angesagt. Ist das ein weiterer Stressfaktor? Oder trägt es umgekehrt sogar zum Stressabbau bei, weil man den Chef und Kollegen nicht mehr jeden Tag um sich hat?

Na ja, wenn beim Video-Call betreuungspflichtige Kinder durch das Bild springen, trägt das sicherlich nicht zur Entspannung bei. Außerdem werden die Kollegen oft nicht als Belastung, sondern als sozialer Support erlebt. Und der entfällt, wenn ich allein im Homeoffice sitze.

Okay, kommen wir zum praktischen Teil. Wie können wird den Corona-Stress reduzieren?

Da wäre erst einmal die Pandemie-spezifische Selbstwirksamkeit zu nennen, dass ich also das Gefühl habe, selbst etwas tun zu können, um sich und seine Familie heil durch die Corona-Krise zu bringen. Was aber noch viel stärker hilft: Die gute alte Solidarität. Sprich: Die Unterstützung durch den Partner. Dass man auf aufeinander Acht gibt und sich gegenseitig unterstützt. Was ja schon allein deshalb in Corona-Zeiten umso wichtiger ist, weil durch das Homeoffice die Unterstützung durch die Kollegen wegbricht.

Man hört aber auch immer wieder davon, dass man seine Achtsamkeit und Resilienz schulen, ein Stressmanagement-Training machen sollte…

Ja, das hört sich alles ganz nett an. Doch das sind alles Dinge, die am einzelnen Arbeitnehmer ansetzen. Sagen Sie mal einer überlasteten Krankenschwester oder einem überlasteten Paketboten: "Weißt du, du musst dir deine Arbeit einfach besser einteilen und danach ein bisschen Yoga machen, und besser ernähren solltest du dich auch noch…" Die werden Sie nur fassungslos anstarren. Denn wenn man die Leute fragt, was sie am meisten stresst, kommen die folgenden Punkte: Erstens zu viel Arbeit. Zweitens Termindruck und Hetze. Drittens zu viele Unterbrechungen. Viertens: Informationsüberflutung und zu viele Emails. Und fünftens schlechte Arbeitsbedingungen. Das sind die Dinge, die laut unserer Studie die Menschen aktuell am meisten stressen, und da hilft kein Yoga und auch kein Achtsamkeitstraining.

Doch was hilft dann?

Die Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass nicht mehr viel zu viel Arbeit von viel zu wenigen Leuten geleistet werden muss. Psychische Erkrankungen sind mittlerweile mit 120 Millionen Krankentagen jährlich Ursache Nr.1 für Arbeitsunfähigkeiten in Deutschland. Das hat etwas mit Personaldecke zu tun, mit Fachkräftemangel, mit der Arbeitsorganisation im Betrieb. Wer den Stress hierzulande reduzieren will, muss daran etwas ändern; und nicht wieder nach altbewährtem Muster den Arbeitnehmer in die Pflicht nehmen, dass er sein Leben anders gestalten muss. Von diesem Narrativ müssen wir uns endlich verabschieden.

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