Blitz-Prototyp 1.5-23 COE
"Sensationswert": Opel findet nach 85 Jahren verschollenen Lieferwagen wieder
8.9.2022, 10:21 UhrUnter Oldtimer-Fans sorgen immer wieder sogenannte Scheunenfunde für glückhafte Momente. Sie entstehen dann, wenn unverhofft automobile Schätze auftauchen, die jahrzehntelang ein Dasein im Verborgenen geführt haben. Ihr Zustand ist oft ein betrüblicher, einen kostbaren Rohstoff für Restaurateure geben die Fundstücke aber dennoch ab.
Nicht in einer Scheune oder Garage, sondern auf einer Auktion haben Experten der Classic-Abteilung von Opel unlängst eine Entdeckung gemacht, die für sie Sensationswert besitzt. Kein leibhaftiges Auto zwar. Aber eine Bilderserie von insgesamt acht Fotos, die Classic-Chef Leif Rohwedder als „automobilhistorischen Paukenschlag“ bezeichnet.
Was die Bilder zeigen, ist ein fertig entwickelter und offenkundig fahrbereiter Lieferwagen aus den 1930er-Jahren, von dessen Existenz nicht einmal die kundigen Unternehmenshistoriker etwas geahnt haben. „Die Bilder waren im Archiv nirgendwo vorhanden“, staunt Rohwedder, „nach heutigem Kenntnisstand hat keine einzige Publikation dieses Fahrzeug je erwähnt“.
Frontlenker statt Haubenwagen
„Lieferwagen, nun ja“, mag man nun achselzuckend einwerfen. Doch der Blitz-Transporter auf den Fotos ist etwas sehr Besonderes. Denn: Er entspricht nicht dem zu seiner Zeit gängigen Haubenwagen-Design mit langer Motorhaube und zurückgesetzter Fahrerkabine. Stattdessen verkörpert er eine Frontlenkerbauweise mit flacher Front. Für Vorkriegsverhältnisse ein revolutionäres Konzept, das sich damals nur sehr wenige Nutzfahrzeuge – etwa von Goliath oder Magirus – zu eigen gemacht haben.
Der Fortgang der Geschichte gab den Prototypen-Entwicklern aus den 1930er-Jahren indes recht. Die Vorteile des Frontlenkers gegenüber dem Haubenwagen – gleich großer Laderaum, aber kompaktere Abmessungen, wendigeres Fahrverhalten, wirtschaftlicherer Betrieb – hat dazu geführt, dass sich die neue Bauweise durchgesetzt hat und heute gängiger Standard ist. Ob Mercedes Sprinter, VW Crafter oder die aktuellen Opel-Transporter Movano beziehungsweise Vivaro: Im Grunde folgen alle modernen Lieferwagen dem Prinzip des Prototypen Blitz 1.5-23 COE.
1.5-23 COE - just diesen Namen hatte die Fotoabteilung von Opel (nebst ihrem Stempel) auf der Rückseite der nun gefundenen Bilder hinterlassen. Dechiffriert gibt das Hinweise auf Hubraum (1488 ccm), die ungefähre Länge des Radstands (2400 mm) und das „Cab-Over-Engine“-Frontlenker-Konzept, mit einem unter oder kurz vor der Sitzbank verbautem Motor.
Im Lichte der neuen Erkenntnisse durchforsteten die Classic-Experten einmal mehr das Opel-Archiv und fanden doch noch Spuren des 1.5-23 COE. So gaben auf einmal fünf Zeichnungen Sinn, die Derivate wie einen Pritschenwagen oder einen 15-sitzigen Kleinbus zeigten. Und aus einer englischsprachigen Informationsbroschüre für das Modelljahr 1937 ging hervor, dass der moderne Lieferwagen nicht nur als Eintonner, sondern auch als 1,5-Tonner mit Sechszylinder und Zwillingsbereifung angeboten werden sollte.
Rückkehr im Kleinformat
Warum aus all diesen Plänen letztlich nichts wurde und der Blitz 1.5-23 COE niemals gebaut wurde, lässt sich wohl mit dem heraufziehenden Zweiten Weltkrieg erklären. Opel war damals bewusst, dass leichte Nutzfahrzeuge nicht als kriegswichtig eingestuft werden würden, als Konsequenz drohte ein zwangsweise verordneter Produktionsstopp für das neue Modell. Die Sorge war berechtigt, dann genau das widerfuhr 1940 dem Blitz-Eintonner mit Haube. Und als der Krieg vorbei war, stand zunächst die Entwicklung von Personenkraftwagen im unternehmerischen Fokus der Opelaner.
Zumindest im Kleinformat durfte der 1.5-23 COE aber doch wieder Gestalt annehmen: Die Classic-Abteilung hat die alten Bilder hergenommen und auf deren Basis ein maßstabsgetreues Miniaturmodell anfertigen lassen.
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