Mobilitätswende gefährdet
Teure Elektroautos: Droht jetzt der Einbruch?
17.9.2022, 16:10 UhrBis 2030 will die Ampel-Koalition 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen sehen. Und tatsächlich hat sich zuletzt ein steiler Aufwärtstrend abgezeichnet. Von über 32.000 neu zugelassenen BEVs (Battery Electric Vehicles) berichtet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in seiner August-Statistik, gegenüber dem Vorjahresmonat 2021 kommt dies einer Steigerung um knapp 11 Prozent und einem Marktanteil von 16,1 Prozent gleich. Damit haben die reinen Stromer inzwischen sogar die Plug-in-Hybride überholt.
"Kritische Situation"
„Momentan läuft alles noch ganz gut“, bestätigt auch Stefan Bratzel - Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach - gegenüber den Nürnberger Nachrichten und der Nürnberger Zeitung. Gleichzeitig spricht der Auto-Ökonom aber eine Warnung aus: „Wir sehen schon, dass wir beim Hochlauf der Elektromobilität in eine kritische Situation hineinlaufen“.
Denn es droht ein Einbruch. Gleich aus mehreren Gründen könnten Elektroautos gegenüber Verbrennern ihre neu gewonnene Attraktivität wieder verlieren. Da ist zunächst der heftige Anstieg der Anschaffungskosten. Alle Neuwagen sind betroffen, doch E-Fahrzeuge mit ihrem hohen Bedarf an knappen und deshalb kostspieligen Halbleitern sowie Elektrokomponenten in besonderem Maße. Laut Handelsblatt ist ein Tesla Model 3 in den vergangenen zwölf Monaten um 8520 Euro teurer geworden, ein Fiat 500e um 6430, ein VW ID.3 um 2600 Euro. Und der ADAC stellt fest, dass sich ein Ford Mustang Mach-E sogar um 10.000 Euro verteuert hat.
Gleichzeitig fährt Deutschland sukzessive die Elektroauto-Förderung zurück. Aktuell schießt der Staat beim Kauf eines reinen Stromers, dessen Nettolistenpreis unter 40.000 Euro liegt, ergänzend zum Herstelleranteil noch 6000 Euro zu, das soll Anfang 2023 auf 4500 Euro und spätestens 2024 auf 3000 Euro sinken. Bei BEVs mit einem Nettolistenpreis zwischen 40.000 und 65.000 Euro reduziert sich die Subvention von 5000 auf 3000 Euro, später fällt die Bemessungsgrenze auf 45.000 Euro. Ab dem 1. September 2023 werden nur noch Privatpersonen bedacht, für Dienstwagen und andere gewerblich genutzte Fahrzeuge schließt sich die Staatskasse. Außerdem wird der Fördertopf gedeckelt, auf 2,1 Milliarden Euro für 2023 und auf 1,3 Milliarden für 2024. Wenn die Mittel ausgeschöpft seien, ende die Förderung durch den Umweltbonus, heißt es aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium.
Unklar bleibt noch, was mit dem Herstelleranteil in Höhe von 3000 beziehungsweise 2500 Euro netto passiert. Bei den meisten Autobauern ist davon auszugehen, dass er vorerst auch weiterhin gewährt wird. Man warte hier noch die finale Entscheidung des Bundes ab, sagt Opel-Sprecher Patrick Munsch. Aufgrund der ungewissen Liefersituation – den aktuellen staatlichen Zuschuss gibt es nur bei Zulassung noch in diesem Jahr – versprechen manche Hersteller auch, unter bestimmten Voraussetzungen in 2023 den gesamten Förderbetrag zu gewähren, also inklusive des Bonus vom Bund.
Verteuerte Ladetarife
Über kurz oder lang wird es aber auch damit vorbei sein. Trost hätten E-Mobilisten eigentlich finden sollen, indem sie mit überlegenem Lächeln an den teuren Tankstellen vorbeifahren. Doch jetzt explodieren auch die Strompreise. Bei Lidl und Kaufmann gibt es keine kostenlosen Lademöglichkeiten mehr, der Ladenetzbetreiber Allego wiederum hat schon zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Preise erhöht. Der Standardtarif für Wechselstrom-Laden steigt von 43 auf 47 Cent pro Kilowattstunde, für Gleichstrom-Schnellladen mit mehr als 50 kW Leistung werden 75 statt 68 Cent fällig. Auch der E-Mobilitätsbetreiber Shell Recharge hat aktuell angekündigt, ab dem 28. September mehr zu verlangen.
An den rund 850 Ladesäulen der Nürnberger N-Ergie hat sich seit April zwar nichts geändert, im regulären Tarif tanken E-Auto-Fahrer im Ladeverbund+ für 42 Cent/kWh. Dabei dürfte es aber nicht bleiben. „In der aktuellen Situation müssen wir leider damit rechnen, dass sich die Energiepreise weiter erhöhen und wir die Mehrkosten auch an unseren Ladesäulen weitergeben müssen“, heißt es auf Anfrage. Zeitpunkt und Höhe seien „aus heutiger Sicht noch offen“.
Nun stellen die Preise an den Ladestationen gar nicht das eigentliche Problem dar. Denn: Die meisten Ladevorgänge finden zuhause statt. Doch auch da steigen bekanntermaßen die Kosten. Das Vergleichsportal Verivox hat die günstigsten Preise der örtlichen Grundversorger beobachtet und für Anfang September einen bundesweiten Durchschnitt von 51,58 Cent/kWh festgehalten – im Vergleichsmonat 2021 waren es noch 31 Cent. Auch beim „Hausstrom“ hat die N-Ergie zwar noch nicht auf die aktuellsten Entwicklungen reagiert, rechnet aber analog zur Situation an den Ladesäulen mit Preissteigerungen, die zeitverzögert noch auf die Kunden zukommen werden.
Um auf das Allego-Wechselstrom-Beispiel zurückzukommen: Für einen VW ID.3, dessen Normverbrauch 16,3 kWh/100 km beträgt, käme die Distanz auf 7,66 Euro. Ein Golf 2.0 TSI (6,5 l/100 km) schlüge bei 1,95 Euro pro Liter Super E10 mit 12,68 Euro zu Buche.
Noch fällt der Vergleich also zugunsten des Elektroautos aus. Ob das so bleibt, ist ungewiss. Mit den Spritpreisen ist es nicht so schlimm gekommen, wie man es nach dem Wegfall des Tankrabatts befürchtet hat. Längerfristig müsse man sich den Preisunterschied zwischen Strom und den Kraftstoffpreisen an der Tankstelle schon anschauen, sagt Stefan Bratzel: „Wenn sich die Nutzungskosten durch die erhöhten Strompreise weiter erhöhen, wird der Nutzungsvorteil von E-Autos im Vergleich zum Verbrenner kleiner und verschwindet möglicherweise sogar“.
Alarm schlägt man auch beim Verband der Automobilindustrie (VDA). „Die hohen Strompreise belasten aktuell sehr stark“, sagt ein Sprecher. Blieben sie dauerhaft so hoch, „wären auch sie Gift für die zuletzt erfreulichen Zahlen beim Hochlauf der Elektromobilität“. Der Verband fordert, die Stromsteuer „schnellstmöglich auf das europäische Mindestmaß“ abzusenken. Gleichzeitig findet es der Verband bedauerlich, dass „die Politik kein ausreichendes Signal für eine Fortführung der Elektroauto-Förderung gibt“. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Prämien wirken und den – im Übrigen politisch gewollten – Umstieg auf Elektromobilität beschleunigen.
Bonus für Elektroautos, Malus für Verbrenner
Stefan Bratzel hingegen findet es „richtig, dass die Kaufförderung schrittweise reduziert wird“, Subventionen sollten keine Dauereinrichtung werden. Bratzel plädiert stattdessen für ein Bonus-Malus-System. Zwar sind E-Autos schon heute für bis zu zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit. Diesen Bonus allein hält aber auch das Umweltbundesamt nicht für ausreichend. Ohne eine grundlegende Änderung der Besteuerung sei eine Dekarbonisierung des Verkehrs nicht denkbar, heißt es. Nach dem Vorbild anderer EU-Mitgliedsstaaten könnte der Verbrenner-Malus etwa in Form einer CO2-basierten Zulassungssteuer erhoben werden, die beispielsweise in den Niederlanden durchaus in fünfstellige Bereiche führen kann.
Aber auch an der Stellschraube „Anschaffungskosten“ muss wohl gedreht werden. Dass E-Autos noch immer deutlich teurer sind als vergleichbare Benziner oder Diesel, liegt vor allem an den hohen Batteriekosten, die laut Bratzel etwa 40 bis 50 Prozent des Fahrzeugpreises ausmachen. Vielen E-Mobilisten würde vermutlich auch ein Stadt-Stromer mit kleinem Akku und einer vergleichsweise kurzen Reichweite ausreichen. An solch günstigen Modellen hapert es noch. Selbst der künftige E-Kleinwagen ID. 2 von VW dürfte an die 25.000 Euro kosten. Und: Für die Kurzstrecken-Elektriker bräuchte es einen forcierten Ausbau gerade der innerstädtischen Ladeinfrastruktur.
Es gibt also noch viel zu tun, damit – wie es vonseiten des VDA heißt – das eingangs erwähnte Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 „keine politische Wunschvorstellung bleibt“.
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