"Aktiv entgegenwirken"
Ukraine-Krieg: Wie gehen wir mit unserer Angst um? Das rät ein Psychotherapeut
2.3.2022, 11:05 UhrHerr Pittig, welche Ängste entfacht Krieg?
Prof. Dr. Andre Pittig: Das können verschiedene Ängste sein: Von der Angst, dass der Krieg tatsächlich zu uns kommt, bis hin zu Sorgen darüber, was die Sanktionen und andere politische Entscheidungen für uns in Deutschland bedeuten. Das Ausmaß an Angst und Furcht hängt sehr davon ab, für wie nah wir eine Bedrohung einstufen. Da wir über die Medien den Krieg so unmittelbar erleben und die Ukraine geografisch nahe ist, kann es zu starkem Angstempfinden kommen.
Warum empfindet der Mensch überhaupt Angst? Was ist der biologische Zweck dahinter?
Pittig: Angst ist zunächst einmal ein sehr nützlicher Mechanismus, der uns hilft, Gefahren einzuschätzen und uns zu schützen. Die körperlichen Reaktionen wie schnelles Herzschlagen, Schwitzen oder Zittern bereiten uns darauf vor, möglichst schnell auf Bedrohung zu reagieren. Schwierig wird es für unsere Psyche, wenn die Bedrohung nicht greifbar ist wie in der aktuellen Lage. In solchen Fällen fühlen viele Menschen eine innere Unruhe. Problematisch wird Angst, wenn sie im Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung zu intensiv und anhaltend ist, und wir beginnen, unser Leben danach einzuschränken.
Was passiert mit uns, wenn wir Angst haben?
Pittig: Wenn wir Angst haben, scannt unser Informationsverarbeitungssystem permanent die Umgebung nach Bedrohungen. Wir suchen nach Inhalten, die uns helfen, den Grad der Bedrohung einzuordnen. Das Gehirn verarbeitet grundsätzlich Informationen über Gefahren schneller. Das ist eigentlich ein sinnvoller Mechanismus. Bei der Flut an Bildern, die wir aktuell über die sozialen Medien erfahren, können wir allerdings in eine Art Teufelskreis kommen: Wir suchen immer mehr Informationen, die unsere Angst weiter befeuern.
Und wie entkomme ich diesem Teufelskreis?
Pittig: Wir haben nie völlige Sicherheit, das wird uns durch die Lage in der Ukraine noch einmal schmerzlich bewusst. Die direkte Situation können wir nicht ungeschehen machen, so sehr wir es auch wünschen. Wir können jedoch beeinflussen, wie wir mit unseren Ängsten umgehen. Zum einen hilft soziale Unterstützung, mit anderen sprechen, sich austauschen. Eine kurzfristige Lösung wäre auch, den Inhalten ein Stück weit aus dem Weg zu gehen. Ich kann mir vielleicht eine bestimmte Zeit am Tag festlegen, zu der ich mich gezielt informiere. Vermeiden und Ablenken können also kurzfristig helfen, langfristig aber auch zum Problem werden: Wenn wir allem, was uns Angst macht, aus dem Weg gehen, können wir nicht lernen, dass wir eine Bedrohung überschätzen. Dann macht es Sinn, sich gezielt mit unseren Ängsten auseinanderzusetzen. Sollten Ängste Betroffene dauerhaft überwältigen, kann eine Psychotherapie unterstützen.
Und langfristig?
Pittig: Man sollte sich klar machen, dass Angst an sich nicht gefährlich ist, sie ist eine normale körperliche Reaktion bei empfundener Bedrohung. Viele Menschen fühlen sich aktuell hilflos. Dem kann ich jedoch aktiv entgegenwirken, indem ich im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas unternehme:
Spenden oder auf eine Demonstration gehen beispielsweise. Wir haben das Gefühl, etwas bewirken zu können. Selbstwirksamkeit nennen wir das in der Psychologie, das unterstützt auch in der langfristigen Angstbewältigung. Der Vorteil hierbei: Ich helfe nicht nur mir, sondern auch anderen.Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter der 0800 111 0 111 erreichbar. Auch die Krankenkasse Barmer hat eine kostenlose Telefon-Hotline eingerichtet, an die sich Menschen wenden können: 0800 84 84 111.
Prof. Dr. Andre Pittig ist Inhaber der Professur für Translationale Psychotherapie an der FAU Erlangen-Nürnberg sowie Psychologischer Psychotherapeut. In seiner Arbeit befasst er sich unter anderem mit Angst und Angststörungen.
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