Sie erobern sich ihre Kultur zurück

Ein Stück Europa in der Südsee: Tahiti ist Tropen-Klischee, wir entdecken lieber Natur und Menschen

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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29.3.2024, 19:00 Uhr
Skipper Thomas Mantay begleitet seine Gäste auf eine einsame Insel mitten in der Südsee.

© Isabel Pogner Skipper Thomas Mantay begleitet seine Gäste auf eine einsame Insel mitten in der Südsee.

Vom Flugzeug aus sehen die Polynesischen Inseln aus wie grüne Farbkleckse im dunklen Ozean. Um jeden Fleck zieht sich ein hellblaues Band, gesäumt von einer filigranen weißen Linie. Das sind Schaumkronen, die sich über dem Riff, das die jeweilige Insel umgibt, auftürmen.

Thomas Mantay bringt seine Gäste bis kurz vor die weiße Linie und lässt sie dann etwa einige hundert Meter vor der Insel Tahaa schnorcheln. Der Skipper verbringt den Großteil seines Lebens auf dem Meer. 20 Tage im Monat ist er mit Touristen auf den Katamaranen des Yachtverleihs unterwegs - das ist nicht genug. Selbst in seiner Freizeit schippert er mit seinem privaten Boot um die Südsee-Inseln Französisch-Polynesiens, das zu Frankreich (aber nicht zur EU) gehört, obwohl es am anderen Ende der Welt liegt. Trotzdem sagt er: „Ich entdecke jeden Tag einen Fisch, den ich vorher noch nie gesehen habe.“

Schorcheln können Urlauber in Französisch-Polynesien mit Fischen, Schildkröten, Rochen und Haien.

Schorcheln können Urlauber in Französisch-Polynesien mit Fischen, Schildkröten, Rochen und Haien. © Isabel Pogner

Ein Viertel aller Meerestierarten lebt in Korallenriffen - Französisch-Polynesien besteht aus ihnen. Rund 100 Inseln und Atolle umfasst das Überseegebiet mit der Hauptinsel Tahiti. Das Meer ist überall. Vor der kleinen Insel Tahaa gibt es hunderte verschiedene Fischarten, auch Haie und Muränen, dazu Schildkröten, Delfine und Buckelwale.

An der Schnorchelstelle ist es für die allerdings zu flach. Marania Teuru, Tourismusmanagerin der Region, kann hier sogar noch stehen. Sie ruft die Tauchcrew zu sich und sagt: „Das Riff schützt uns vor den großen Wellen.“ Und tatsächlich: Vor der steinernen Barriere klatschen große Wassermassen aneinander – dahinter ist die Wasseroberfläche ruhig. So ruhig, dass Mantay vom Motorboot aus die Schildkröten und Doktorfische beobachten kann.

Marania Teuru arbeitet für Tahitis Tourismusbehörde. Jeden Tag, wenn sie das Haus verlässt, pflückt sie eine Blüte und klemmt sie sich hinters Ohr. "Ohne die Blumen fühlt sich mein Outfit einfach nicht komplett an", sagt sie.

Marania Teuru arbeitet für Tahitis Tourismusbehörde. Jeden Tag, wenn sie das Haus verlässt, pflückt sie eine Blüte und klemmt sie sich hinters Ohr. "Ohne die Blumen fühlt sich mein Outfit einfach nicht komplett an", sagt sie. © Isabel Pogner

„Entstanden ist diese Landschaft durch die Vulkane“, sagt Teuru und schiebt sich ihre salzwasserdurchtränkte Mähne aus dem Gesicht. Die Vulkaninseln versinken immer weiter im Meer und drücken dabei die unteren Schichten beiseite, am Rand tauchen die Riff-Ringe dann an der Oberfläche auf. „Je älter eine Insel ist, desto niedriger ist sie und desto weiter ist das Riff vom Festland entfernt“, sagt Teuru. Besonders alte Inseln werden zu Atollen: Der Kern ist längst untergegangen. Übrig bleiben nur die einstigen Bergspitzen und bilden ein ringförmiges Riff.

Wird es die Insel bald nicht mehr geben?

Doch der Ort ist in Gefahr. Marania Teurus Schwimmflossen stehen auf vielen kleinen weißen Korallenstückchen, die sich über den Boden verteilen. „Das sind die Auswirkungen des Klimawandels“, erklärt sie. Aktuell ist das Wasser ungefähr 28 Grad warm. Heizt es sich weiter auf, bleichen die Korallen aus und sterben.

„Das ist ein großes Problem, auch weil sie viel CO2 speichern. Und wenn sie das nicht mehr tun, trägt das wiederum zur Erderwärmung bei“, sagt Teuru. Außerdem verschwindet mit den Korallen der Lebensraum der Meeresbewohner. Auch Thomas Mantay beobachtet die ausbleichenden Korallen mit Sorge. „Ich habe Angst, dass es diesen Teil meiner Heimat irgendwann nicht mehr gibt“, sagt er.

Delfine springen um die Boote herum, die durch die flachen Gewässer schippern.

Delfine springen um die Boote herum, die durch die flachen Gewässer schippern. © Isabel Pogner

Das hallt nach. Und bringt die Touristen, die knapp 16.000 Kilometer um die Welt geflogen sind, ins Grübeln. Ist es gerechtfertigt, für einen Urlaub so weit zu fliegen? Wenn es nur darum geht, in Ressorts am Strand zu sitzen und Schnorcheln zu gehen? Das können wir auch am Mittelmeer erleben. Für Mantay sind solche Gedanken aber kein Widerspruch: Gerade ihm ist es wichtig, die kostbare und verletzliche Natur seiner Heimat zu zeigen. Für deren Schutz setzen sich Menschen nämlich dann am ehesten ein, wenn sie die Schönheit des fragilen Paradieses selbst gesehen haben, glaubt er.

Rum mit Ananassaft - beides wird auf den Inseln rund um Tahiti frisch produziert.

Rum mit Ananassaft - beides wird auf den Inseln rund um Tahiti frisch produziert. © Isabel Pogner

Da wäre etwa der Korallen-Kanal direkt neben Bora Bora. Dort können sich die Besucher durch eine Strömung treiben lassen und dabei Fische beobachten. Dann die eine Stelle weit draußen, an der die Mutigen mit Haien schwimmen können. Oder die verlassene Insel, auf die Thomas Mantay seine Gäste zum Strandspaziergang einlädt. Auf dem Weg dahin liefert er sich Rennen mit den Delfinen, die vor dem Bug des Katamarans umherspringen. „Klar gewöhnt man sich an den Anblick“, sagt er. „Satt sehe ich mich daran aber nicht.“

Tahitis wahrer Schatz liegt nicht am Strand

Heute leben die meisten Inselbewohner an den Küsten. An den Stränden trinken die Einheimischen Cocktails mit Blick auf farbenfrohe Sonnenuntergänge, während die Touristen in Bungalows entspannen, die oft auf Pfählen über den Korallenriffen stehen. Doch es ist nicht all zu lange her, da haben die Menschen fernab der Strände zwischen den Vulkanbergen gelebt.

Matahi Tutavae will die Polynesische Kultur wieder aufleben lassen. Denn seit der Kolonialisierung vor 200 Jahren sind Teile der Bräuche und des Glaubens verloren gegangen. Das Volk hatte keine Schriftdokumente - umso schwieriger ist es, die Kultur neu zu erforschen.

Matahi Tutavae will die Polynesische Kultur wieder aufleben lassen. Denn seit der Kolonialisierung vor 200 Jahren sind Teile der Bräuche und des Glaubens verloren gegangen. Das Volk hatte keine Schriftdokumente - umso schwieriger ist es, die Kultur neu zu erforschen. © Isabel Pogner

Wie genau das Leben damals ausgesehen hat, müssen die Tahitianer erst erforschen. Denn durch die Kolonialisierung Frankreichs ging Wissen verloren. In den 1970er Jahren haben die Polynesier angefangen, ihre eigene Kultur zurückzuerobern. Auch Matahi Tutavae möchte den alten Traditionen neues Leben einhauchen. Der Journalist ist auf Tahiti geboren und hilft den Einheimischen, ihre Geschichten zu erzählen.

Im Papenoo-Tal etwa, tief im Hinterland Tahitis, baut Tutavae mit seiner Organisation "Haururu" ein Dorf wieder auf. "Wir waren ein sehr friedliches Volk", sagt Tutavae. Aus der Natur genommen haben die Menschen nur, was sie zum Überleben brauchten. Viele Tiere und Pflanzen waren ihnen heilig und hatten in der Vorstellung der alten Völker eigene Götter. "Wale zum Beispiel haben wir nicht gejagt. " Die Tahitianer glauben, dass die Seelen der Vorfahren auf dem Meeresgrund leben. "Weil die Wale so tief tauchen können, verbinden sie die Geisterwelt mit unserer."

Die Brotfrucht galt in Tahiti lange als Hauptnahrungsmittel. Einheimische legen die Frucht ins offene Feuer, schälen anschließend das Fruchtfleisch heraus und genießen die kartoffelähnliche Speise.

Die Brotfrucht galt in Tahiti lange als Hauptnahrungsmittel. Einheimische legen die Frucht ins offene Feuer, schälen anschließend das Fruchtfleisch heraus und genießen die kartoffelähnliche Speise. © Isabel Pogner

Tutavae führt seine Gäste durch den Dschungel zu einer gepflasterten Fläche auf einer Wiese. Die Steine sind mit Moos und Farnen überzogen. "Die sind angelegt wie ein Kanu", sagt Matahi. "Kanu deshalb, weil dich dieser Ort von dieser in die Geisterwelt verschiffen soll. Bei den Gebets-Zeremonien fungiert der Priester wie ein Kapitän, der seine Crew führt."

Der heilige Brotbaum verbindet alle

Ein paar Meter hinter dem Betplatz steht eine Gruppe knorriger Bäume mit zerfransten Blättern. "Das sind Brotbäume", sagt Tutavae. Tahitianer fühlen eine starke Verbundenheit zum Brotbaum. Dessen melonengroße Frucht legen die Einheimischen ins Feuer und rösten sie wie Backkartoffeln. Die diente bis zur Kolonialisierung als Hauptnahrungsmittel.

Die alten Völker haben ihre Gebetsstätten aufgebaut wie Kanus. Die sollten ihre Passagiere von der realen in die Geisterwelt schiffen.

Die alten Völker haben ihre Gebetsstätten aufgebaut wie Kanus. Die sollten ihre Passagiere von der realen in die Geisterwelt schiffen. © Isabel Pogner

Auch Tutavae hat eine besondere Verbindung zum Brotbaum: In Tahiti ist es Tradition, die Plazenta nach einer Geburt mit einem Baum zusammen einzupflanzen, der Früchte trägt. Für seinen Sohn hat er einen Brotbaum direkt an den Ortseingang gesetzt. Auf Tahitianisch heißt Plazenta "pu-fenua", was auch "Kern der Erde" bedeutet. Im Glauben der Einheimischen gehören die Menschen dem Land - nicht umgekehrt. "Heute ist der Gedanke doch oft: Die Welt kann froh sein, dass ich da bin. Aber wir sehen das andersrum: Du solltest froh sein, dass du auf dieser wundervollen Welt bist."


Mehr Informationen:
Tahiti Tourisme, das Fremdenverkehrsamt für das Land Französisch-Polynesien, hält auf der Website https://tahititourisme.de alle wichtigen Reise-Infos rund um die Inselgruppe bereit. Das Land ist besonders für Reisen in die Flitterwochen bekannt – Tahiti Tourisme hilft bei der Organisation. Wer die Inseln vom Wasser aus erkunden möchte, kann bei www.tahitiyachtcharter.com Bootsausflüge buchen – mit oder ohne Skipper und Koch.
Anreise:
Internationale Flüge landen am Faa’a Flughafen in Papeete, der Hauptstadt Tahitis. Die Fluglinie Air Tahiti Nui steuert internationale Ziele an, bringt die Urlaubsgäste aber auch von Insel zu Insel. Infos zu den Flügen gibt es unter www.airtahitinui.com. Wer von Deutschland nach Tahiti fliegt, hat eine lange Reise vor sich. Direktflüge gibt es nicht – die schnellste Verbindung geht über Paris und Los Angeles. Dennoch sind Reisende mindestens 25 Stunden unterwegs. Abgesehen davon ist die Einreise aber recht unkompliziert: Europäer können mit ihrem Personalausweis über die Grenze. Aber Vorsicht: Wer über die USA einreist, muss für die Zwischenlandung das amerikanische Visum namens „Esta“ beantragen.

Wohnen:
Le Tahiti by Pearl Resorts, www.letahihi.com, Tel.: 00689-40488800 (ab 390 Euro). Cook's Bay Hotel & Suites, www.mooreacooksbay.com, Tel.: 00689-40552200 (ab 430 Euro), Pension Les Trois Cascades, www.pesionles3cascades.com, Tel.: 00689-40661090 (ab 70 Euro).

Beste Reisezeit: Mai bis Oktober.

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