Hier machen sie gleich ein Festival draus

Halloween, aber im Original: So wild feiern wir die längste Geisterparty bei den Nordiren in Derry

Claudia Weinig

Roth-Hilpoltsteiner Volkszeitung/Hilpoltteiner Zeitung/Schwabacher Tagblatt/ Wochenanzeiger Roth-Sch

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23.9.2023, 06:00 Uhr
Eins trinken gehen im Pub - das gehört in Irland zum Feierabend dazu. An Halloween natürlich mit Maskerade.

© Claudia Weinig Eins trinken gehen im Pub - das gehört in Irland zum Feierabend dazu. An Halloween natürlich mit Maskerade.

Sie sind mystisch, die Geschöpfte der Nacht. Werwolf, Hexe, Vampir, die dunkle Fee. Tagsüber präsentieren sie ihr Jedermann-Gesicht. Freundlich, unverbindlich, unverdächtig. Erst wenn der Tag zur Nacht wird, zeigen sie ihr wahres Antlitz: Einzigartig und charakterstark. Ein vertrautes Szenario für Fans von Fantasyliteratur.
Die fühlen sich wohl in Derry-Londonderry. Mit rund 85.000 Einwohnern ist sie die zweitgrößte Stadt Nordirlands, die viertgrößte auf der grünen Insel und als „Walled City“, wie sich Derry selbst nennt, die einzige in Großbritannien, deren Stadtmauer noch komplett erhalten ist.

Der Alltag hier unterscheidet sich kaum von dem in anderen vergleichbaren Städten. Wäre da nicht Jahr für Jahr der magische 31. Oktober. Ab Sonnenuntergang taucht die Stadt ein in die Welt der Sagen und Mythen. Derry hat Halloween als Event perfektioniert. Massentauglich. Und doch auch individuell und mit Charakter. Gewissermaßen ein Festival-Werwolf, der erst in der Dunkelheit so richtig seine Zähne zeigt. Das mehrtägige Derry-Halloween-Festival ist eine Mischung zwischen Karneval, Kunstbiennale und Kneipenfieber im XXL-Format.

Das „beste Halloween-Ziel der Welt“

Das Festival, das vor über drei Jahrzehnten das Licht der Welt erblickte, wurde in einer Umfrage von USA Today sogar zum „besten Halloween-Ziel der Welt“ gewählt wurde.

Vier Tage und vier Nächte geht es alljährlich rund. Wie selbstverständlich sitzen in der Zeit vor der eigentlichen Halloween-Nacht schaurig-bleiche Skelette in Straßencafés mit am Tisch, wabern Watte-Spinnweben an den Wänden, grüßen Riesenspinnen und fies grinsende Kürbisköpfe aus Schaufenstern.

Lara Kirk (li.) ist als gelernte Make up Artistin eigentlich darin geübt, ihre Kundinnen "schön" aussehen zu lassen. Anders an Halloween. Da geht es um "schaurig-schöne" Maskerade.

Lara Kirk (li.) ist als gelernte Make up Artistin eigentlich darin geübt, ihre Kundinnen "schön" aussehen zu lassen. Anders an Halloween. Da geht es um "schaurig-schöne" Maskerade. © Claudia Weinig

Zum Irish Tea oder Coffee gibt`s frischen „Barmbrack“, das traditionsbewusste Mütter und Omas zu Halloween backen. Sehr ähnlich dem heimischen Weihnachtsstollen. Mit einem Unterschied: Schabernack ist beim Backen erlaubt. Sprich: Zu Rosinen gesellen sich kleine Stofffetzen (bringt Unglück) oder Münzen (verheißt Glück). Wobei sich dann doch die Frage als Außenstehende stellt, ob es nicht unglücklicher ist, auf eine Münze als auf einen Stoff zu beißen...

Die Party verteilt sich auf die Viertel der Stadt

Nun ist es nicht so, dass es in Derry DAS Partyzentrum gibt. Vielmehr verteilt sich das Geschehen in den verschiedenen Vierteln. Sehenswert-phantasievolle Lichtinstallationen im Wald und auf historischen Gebäuden; Stelzenläufer im Edel-Glitzer-Dinosaurier-Outfit und eine tanzende „Puppen“-Kapelle, die durch die Straßen zieht. Parallel dazu schaurig-schöne Aktionen für die Kids. Derry-Halloween ist ein Festival für alle Generationen. Mit einem Höhepunkt, der Halloween-Nacht.

Tausende von Zuschauern säumen dann die Hauptstraße entlang des Foyle Rivers, wenn die „Carnival-Parade“, ein Zug mit mystischen Gestalten, durch das Spalier von blutrünstigen Monstern zieht. Blutrünstig deshalb, weil Make-up Artists wie Lara Kirk (23) in den Stunden zuvor ganze Arbeit geleistet haben. Sie träumt davon „irgendwann bei großen Produktionen wie Game of Thrones in der Maske arbeiten zu können – der zu einem großen Teil in Nordirland gedrehten US-amerikansichen Erfolgsserie.

Ein bisschen wie deutscher Karneval

Wenige Stunden später: Tanzende Kinder, wummernde Musik aus Beatboxen, Motivwagen und grimmig dreinblickende Darsteller – die Carnival Parade ist ein farbenfrohes, lautes, fröhliches Spektakel – ein Karnevalszug. Mit dem Unterschied, dass die irische Version mit Fantasygestalten aufwartet.

Schön anzuschauen und nicht zu überhören - diese Straßenkapelle mischt das Halloween-Völkchen ordentlich auf.

Schön anzuschauen und nicht zu überhören - diese Straßenkapelle mischt das Halloween-Völkchen ordentlich auf. © Claudia Weinig

Ein Hochfeuerwerk über dem Foyle River und der markanten Friedensbrücke, die über ihn Derry mit Londonderry verbindet, beschließt das Festival. Offiziell zumindest. Inoffiziell geht es auf den Straßen und in den wenig später rappelvollen Pubs noch hoch her. Wenn es bei uns beim närrischen Faschings-Völkchen am 11.11. gerade erst dämmert, sind beim nordirirschen Gruselvölkchen erst einmal die Lichter aus. Kurzzeitig. Denn dann holt Derry schon wieder Luft fürs nächste „Derry Halloween“.

Wer Derry an Halloween besucht, erlebt eine fröhliche und gut gelaunte Stadt. Aber Fakt ist auch, dass Irland bittere, brutale und blutige Zeiten erlebt hat. Abseits vom Festivalrummel erinnert Derry daran. Schließlich bleiben neben dem Grusel-Ausnahmezustand Ende Oktober noch gut 360 „normale“ Tage übrig. Zeit für eine Erkundungstour mit ganz anderem Charakter.

Bedrückendes aus der Geschichte des Landes

Beeindruckend ist die „Peoples‘s Gallery“ in der Bogside, einem überwiegend katholischen Stadtteil Derrys. Hier finden sich mehrere großflächige Wandbilder („Murals“), die an die Bürgerrechtsbewegung, den Bloody Sunday und Ereignisse aus der Zeit des Bürgerkrieges, „The Troubles“ erinnern.

Wer mehr wissen will, dem sei das „Museum of Free Derry“ empfohlen. Kaum vorstellbar, dass in den Straßen von Derry oder auch im rund zwei Stunden entfernten Belfast sich Protestanten und Katholiken über Jahrzehnte hinweg unversöhnlich gegenüberstanden.

Gerade in den Tagen vor der eigentlichen Halloween-Nacht macht Derry und sein Halloween-Festival dem Ruf, familiengerecht zu sein, gerne und gruselig-originell gerecht. Zwar mögen manche Kinder vor Schreck erstarren, wenn dieser Dino auf sie zukommt. Die meisten allerdings finden`s einfach spannend.

Gerade in den Tagen vor der eigentlichen Halloween-Nacht macht Derry und sein Halloween-Festival dem Ruf, familiengerecht zu sein, gerne und gruselig-originell gerecht. Zwar mögen manche Kinder vor Schreck erstarren, wenn dieser Dino auf sie zukommt. Die meisten allerdings finden`s einfach spannend. © Claudia Weinig

Hier nimmt dieses grausame Geschichtskapitel plastisch Gestalt an. Zum Glück ist es für die Menschen heute genau das: Geschichte. „Im Alltag spielt das für uns keine Rolle mehr“, antwortet Gästeführer Harry Mathews, ein Anfang 30-Jähriger, nach kurzem Nachdenken.

Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, dass Derry und Belfast, diese so lebendigen, prosperierenden und vibrierenden Städte über drei Jahrzehnte lang Schauplatz von Terror, Angst und Gewalt waren. Heute ist der Brexit – Nordirland hängt hier voll mit drin – ein Thema, über das die Iren kaum ein Wort verlieren wollen. Danach gefragt, ist eine wegwerfende Handbewegung oft der einzige Kommentar.

Mehr Informationen:

Nordirland: www.irland.com;

Derry: www.visitderry.com

Halloween in Derry: www.derryhalloween.com

Anreise:

Ab Nürnberg gibt es Direktflüge nach Dublin. Dauer: ca. 2:15 Stunden. Ab dem Flughafen Dublin verkehren Express-Busse in die großen Städte Irlands; die Fahrt nach Derry dauert etwa 3,5 Stunden; nach Belfast ca. 2 Stunden.

Wetter im Oktober/November:

Temperatur: 8-14º C bei durchschnittlich 14 Regentagen.

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