Über dieses Pflaster lief er gen Süden
Wandern mit Frankens Maler-Star: Auf dem Dürerweg laufen Sie mit ihm nach Italien
27.4.2023, 11:00 UhrAlbrecht Dürer wird geflucht haben: Wo die Landstraße aus dem Dorf herausführte, gähnte eine endlose Wasserfläche. Die Etsch war wieder einmal über die Ufer getreten und hatte die komplette Talsohle überflutet. Um seine Italienreise 1494 fortzusetzen, blieb dem 23jährigen Nürnberger Künstler nur der strapaziöse Bergweg ins Cembratal – 1000 Meter Aufstieg durch abgelegenste Waldgebiete.
Heute muss man im Etschtal mit Verkehrsstaus, nicht aber mit Überflutungen rechnen – der Fluss ist reguliert und von hohen Dämmen gesäumt. Trotzdem haben wir uns für die Route über den Sauch-Sattel und den Lago Santo entschieden. Spannend dürfte die Spurensuche schon deshalb werden, weil Dürer dort die ersten reinen Landschaftsbilder der europäischen Malerei angefertigt hat. Hat das womöglich mit seinem unfreiwilligen Abenteuer der Gebirgsüberquerung zu tun? Mit dem kleinen Glück, heil in Cembra angekommen zu sein? Im Süden? In Italien?
Im Moment kann von Glücksgefühlen noch keine Rede sein: Das Dörfchen Laag, an dem es damals nicht weiter ging, ist von Apfelplantagen eingekreist und das bergan führende Sträßchen asphaltiert, die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Endlich die erste Abkürzungsmöglichkeit – ein kontinuierlich aufsteigender steingepflasterter Weg mit tief eingefrästen Karrenspuren. Der Sprung in die Vergangenheit kam abrupt.
Mit Nürnberger Kaufleuten zog er nach Venedig
Kein Wunder, dass wir das ausgehende Mittelalter vor Augen haben, als Dürer die erste seiner beiden Italienreisen antrat. Natürlich führte sie nach Venedig, dem damaligen Mekka der Malerei. Dürer wollte den Meistern der italienischen Renaissance auf die Finger schauen und sich ins Gespräch bringen. Vermutet wird, dass er sich dafür Nürnberger Kaufleuten angeschlossen hatte, die am Hafen der Lagunenstadt eine Niederlassung besaßen.
Kein Zweifel, dass wir genau die rundgetretenen Steine unter den Sohlen haben, auf denen die illustre Reisegesellschaft seinerzeit unterwegs war. Und mehr noch: der Gebirgsweg hieß im Mittelalter 'Semita Caroli', Karlssteig – ein Fingerzeig, dass auch Karl der Große auf seinem Weg nach Rom mit dieser abenteuerlichen Route Bekanntschaft gemacht hatte.
Mittlerweile haben wir Buchholz erreicht, die letzte Südtiroler Station vor dem Übergang ins Trentino. Es ist eine typische Einzelhofsiedlung in Traumlage, die allerdings etwas ausgestorben wirkt. Von hier oben betrachtet hat das tief eingeschnittene Etschtal den Charme einer Spielzeug-Eisenbahnanlage: Die Verkehrsströme fließen auf schnurgeraden Linien, der Fluss ist kanalisiert, die Ebene zerfällt in die rechteckigen und quadratischen Parzellen der Agrarindustrie.
Beim Aufstieg zum Sauch-Sattel geht es nochmal eine zeitlang über historisches Pflaster. Einmal mehr dürfte Dürer geflucht haben – schließlich ging es durch einen düsteren Steilhang, der Wegelagerern Zugriff bot. Es war ja kein Geheimnis, dass auf der nahegelegenen Felsnadel der Haderburg Raubritter residierten, die sogar mal eine päpstliche Gesandtschaft überfielen.
Ein Abstieg auf uralter Steintrasse
Auch der Abstieg vom verträumten Lago Santo erfolgt auf einer uralten Steintrasse, die erst kurz vor Cembra unter Beton verschwindet. Das damalige "Zimmern" ist ein Paradebeispiel für die romanische Siedlungsweise – ein Haufendorf mit einem homogenen Ortsbild, das man im 'bajuwarischen' Südtirol so nicht findet. War es diese fremde Szenerie, die Albrecht Dürer so sehr fasziniert hat, dass er sich Motiven zuwandte, die vor ihm noch niemand als bildwürdig betrachtet hatte?
An der Abbruchkante zum Avisio hatte er seinerzeit gesessen, nach Faver und Segonzano hinübergeschaut und die sonnendurchflutete Berglandschaft für die Nachwelt verewigt. Fasziniert von der mediterranen Umgebung nannte er das entstandene Bild schlicht und einfach "Welsch Pirg" ("Italienische Berge").
Am Nachmittag erreichen wir die spektakulären Erdpyramiden, die in der Bildmitte zu erkennen sind. Schade, dass die markierte Route hier zu Ende ist. Allzu gerne wären wir dem ersten Landschaftsmaler noch ein paar Tage gefolgt. Zum Glück sieht das Bruno Pedri, der Architekt des 'Sentiero Dürer', genauso. Wenn es nach ihm geht, wird der Weg bald bis zum tausend Jahre alten Castel Pergine weitergeführt, in dem man übernachten und vorzüglich essen kann – in Gasträumen, die so authentisch erhalten sind, dass niemand sich wundern würde, wenn plötzlich Albrecht Dürer hereinträte.
Mehr Informationen:
www.trentino.com/de/freizeit-aktiv/berge-wandern/wandern-im-herbst/duererweg
38 Kilometer ist er derzeit lang und ganzjährig mit guten Wanderstiefeln zu begehen. Eine professionelle Webseite gibt es bislang nicht.
Übernachten:
Hotel Restaurant Pizzeria Grünwald www.hotel-gruenwald.it
Agriturismo "Le Cavade" https://agriturismo-le-cavade-villa-cembra.hotel-mix.de
Burghotel Castel Pergine www.castelpergine.it/de