Per Fernbus, per Zug, per pedes

Warum reisen wir und wie geht es besser? - Eine Spurensuche in fünf Etappen

Markus Wanzeck

8.7.2023, 06:00 Uhr
Urlaub im Miet-Campingbus: Wenn man nur Hin- und Rückweg betrachtet ist ein Campervan zu zweit nicht klimafreundlicher als ein Flug

© imago images/Westend61 Urlaub im Miet-Campingbus: Wenn man nur Hin- und Rückweg betrachtet ist ein Campervan zu zweit nicht klimafreundlicher als ein Flug

Wir verreisen immer öfter, weiter, rastloser. Manchen gilt gar: Ich reise, also bin ich. Ein Selbstverständnis, für das Reisen selbstverständlich geworden ist. Doch was ist es, das uns wieder und wieder hinauszieht in die weite Welt? Und was macht das mit dieser Welt?

Um Antworten zu finden, werde ich selbst auf eine Reise gehen. Eine Reise zu Profis für nachhaltiges, naturnahes, umweltbewusstes Reisen. Eine Reisereise sozusagen, die sich selbst zum Gegenstand hat.

Erste Etappe. Eine Wanderung zu Wüstenwanderer Achill Moser, der in Hamburg wohnt. Ein sonniger Sonntagnachmittag. Die Tür fällt ins Schloss. Die Reisereise beginnt.

Reisen – klingt positiv. Da schwingt Weltoffenheit mit, Neugier, interkulturelles Interesse. Andererseits befeuert es, insbesondere bei Flügen und Kreuzfahrten, den Klimawandel. Der Tourismus, so die University of Sydney, ist verantwortlich für acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.

Eine knappe Stunde laufe ich nun schon durch Hamburg. Knirschen unter den Wanderschuhen. In dieser Gegend ist der Gehweg unplaniert. Hier irgendwo muss der Wüstenwanderer wohnen.

Er empfängt mich vor einer steil aufragenden Bücherwand. In der Zimmerecke knistert ein Kaminfeuer. Achill Moser war 17 bei seinem ersten Ausbruch aus dem Alltag. Für die Sommerferien hatte der Schüler auf ein Interrail-Ticket gespart. "Und das weiteste Ziel, was du damals damit erreichen konntest, war Marrakesch. Marokko." Von dort trampte er weiter, in die Wüste. Begegnete Beduinen, durfte einige Tage mit ihnen verbringen. "Das hat mich berührt. Dieses Unterwegssein. Das Reduzieren auf das Wesentliche."

Mal abgesehen davon, dass Wandern die umweltfreundlichste Weise des Reisens ist, worin liegt sein Wert? "Es schafft hautnahe Erlebnisse. Man hat ein Auge für die kleinen Dinge. Dinge am Wegesrand." Außerdem sei Gehen gesund – für Körper und Geist. "Beim Wandern nimmst du auch Sorgen und Probleme mit", sagt Moser. "Den Kopf hat man ja nun mal immer dabei." Mit den Kilometern kämen Gedanken ins Fließen. "Was uns so beutelt entschwindet ein bisschen."

Wer mit knappem Budget reist und dennoch umweltfreundlich unterwegs sein möchte, sollte Busverbindungen eine Chance geben.

Wer mit knappem Budget reist und dennoch umweltfreundlich unterwegs sein möchte, sollte Busverbindungen eine Chance geben. © Stefan Sauer/dpa

Weiter zum Zentralen Omnibusbahnhof. Dort fährt um 21 Uhr mein Flixbus ab. "Wer mit knappem Budget reist und dennoch umweltfreundlich unterwegs sein möchte, sollte Busverbindungen eine Chance geben!", habe ich im Buch "Green Travelling" gelesen, Untertitel: "Einfach nachhaltig reisen". Mein Bus ist der N33, Endstation Luzern. Ich fahre mit bis Hannover (zwei Stunden Fahrt, 11,99 Euro). Dort treffe ich Julia-Maria Blesin, die Autorin des Buchs.

Zweite Etappe. Der Weg ist das Ziel. "Diese Weisheit ist etwas in Vergessenheit geraten", sagt Julia-Maria Blesin, Mitte 30, als wir vor einem Café sitzen. "Viele Leute wollen möglichst schnell am Ort der Entspannung ankommen." Was ironischerweise in Stress ausarten kann.

Für sich und ihre Familie hat sie eine Form des Reisens gefunden, die den Weg zu würdigen weiß: Urlaube im Miet-Campingbus. "Diese Art zu reisen hat uns begeistert – vor allem, wenn man kleine, naturnahe Campingplätze oder Bauernhöfe ansteuern kann."

Allerdings bedeutet Naturnähe nicht notwendigerweise Klimafreundlichkeit. "Ich war überrascht: Wenn man nur Hin- und Rückweg betrachtet ist ein Campervan zu zweit nicht klimafreundlicher als ein Flug", sagt Blesin. Die Pro-Kopf-Klimabilanz verbessere sich, je mehr Leute im Campingbus mitfahren. Und je länger der Urlaub dauert.

Dritte Etappe. Mein Verkehrsmittel der Wahl ist der ICE, laut Bahn-Eigenwerbung "Deutschlands schnellster Klimaschützer". Von Hannover nach Freiburg. Hier wohnt Jana Strecker.

Die Ingenieurin, Schwerpunkt erneuerbare Energien, ist Mitgründerin von Terran. Im Name des Vereins steckt das lateinische "terra", Erde, er setzt sich für flugfreies, erdnahes, "terranes" Reisen ein. Wir treffen uns direkt am Hauptbahnhof mit Blick auf die stadtnahen Schwarzwaldausläufer.

Bis vor ein paar Jahren sei sie geflogen "ohne darüber nachzudenken – was ja irrwitzig ist, wenn man sich beruflich mit der Energiewende beschäftigt". Doch dann bekam sie die Klimabilanz von Flugreisen detailliert vorgerechnet. "Wie schädlich das Fliegen ist, hat mich geschockt." Und so stieß sie 2019 mit anderen zusammen Terran an.

"Wir wollen das Fliegen nicht verbieten", sagt Strecker. "Aber wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, was es für das Klima bedeutet – und wie einfach und schön oft die Alternativen sind."

Vierte Etappe. 6:46 Uhr. Der IC 267 rollt an. Auf der Zugfahrt schmökere ich im Buch "Lovely Planet" der Reisejournalistin Maria Kapeller – eine kluge Reflexion, was wir machen, wenn wir reisen, und was es mit uns macht. Wir sind zu Kaffee und Kuchen in der Salzburger Altstadt verabredet.

Bei ihren Reisen, als Touristin, als Journalistin, habe sie immer öfter ein ungutes Gefühl verspürt, erzählt Kapeller. "Dieser Öko-Urlaub in Costa Rica: Ist der wirklich nachhaltig? Oder lügen wir uns dabei in die Tasche?" Diese Gefahr sieht sie auch beim "Kompensieren" von Flügen, beispielsweise durch spendenfinanziertes Bäumepflanzen. Gut gemeint, immerhin mache das Kompensieren einem die CO2-Emissionen des Fliegens bewusster. Ungeschehen aber mache es sie nicht. Und: "Wer Kompensationszahlungen als Rechtfertigung dafür sieht, noch öfter zu fliegen, schadet dem Klima mehr, als er es schützt." 2018 hat sie daher mit dem Flugfasten begonnen.

Fünfte Etappe. Der vorletzte Tag meiner Reisereise führt mich weit in den Südosten. In Wien möchte ich jemanden treffen, der sich mit terranem Reisen auskennt wie wenige andere: Elias Bohun, Mitgründer des Zugfernreisebüros Traivelling. Es entstand aus Bohuns eigener Erfahrung , wie kompliziert es sein kann, flugfrei in die Ferne zu reisen. 2018 fuhr er per Zug nach Ostasien und zurück.

Bohun erzählt, wie er, Umweltschützer seit Teenager-Tagen, nach dem Abitur einen Flug nach Sri Lanka buchte – nur, um ihn kurz darauf schlechten Gewissens wieder zu stornieren. Stattdessen buchte er eine Bahnreise, Wien – Vietnam. Zug um Zug, bis die letzte Lücke auf der Strecke geschlossen war. "Umweltschutz heißt Verzicht", mit diesem Gedanken habe er die Reise angetreten, sagt Bohun. "Aber dann war dieser vermeintliche Verzicht einfach der coolste Teil der Reise."

Sechste und letzte Etappe. Mein Nachtlager wartet am Wiener Hauptbahnhof auf mich. Gleis 8. Nightjet 490, Wien – Hamburg. Um kurz nach acht mache ich es mir in meinem Nachtzug-Liegewagen gemütlich, getreu dem Terran-Slogan: "Lieber chillig liegen als billig fliegen!"

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