Gibt es noch Liebe auf den ersten Blick?

13.06.2020, 21:00 Uhr
Gibt es noch Liebe auf den ersten Blick?

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Herr Esmann, glauben Sie noch an die Liebe auf den ersten Blick?

Daran glaube ich, das habe ich auch erlebt – im ersten Moment zu wissen, das passt. Aber es ist auch ein Fehler, den man machen kann: zu glauben, das muss so sein.

 

Sondern?

Eine Partnerschaft kann sich auch mit langem Anlauf entwickeln. Eine andere falsche Erwartung ist, dass bei den ersten fünf oder sechs Menschen, die man trifft, der oder die Richtige dabei ist. Laut Statistik braucht man rund 200 Kontakte, bis man auf die Liebe seines Lebens trifft. Wenn Sie sich erinnern: In der Jugend, in der Schulklasse und der Ausbildung – da hatten Sie so viele Kontakte. Da kommt was zusammen und man kann sich ausprobieren.

 

Was ändert sich bei Erwachsenen?

Der Kreis der Kontakte – privat wie beruflich – wird kleiner, dazu kommt eine Risiko-Scheu. Aber es ist so: Von nix kommt nix. Man muss die Augen offen halten. Ich saß einmal mit meinem Vater in einem Restaurant und ein paar Tische weiter zwei Frauen. Eine von beiden hat sich immer bewegt, wenn ich mich bewegt habe. Mir war klar: Da ist was. Obwohl ich nichts mit Partnersuche am Hut hatte. Als ich beim Auto war, habe ich gedacht, wenn ich jetzt nichts tue... Ich habe ein paar Zeilen auf ein Blatt geschrieben, meine Telefonnummer dazu, und die Notiz der Bedienung gegeben. Zwei Tage später hat sich die Frau gemeldet.

 

Wer eine solche Gelegenheit beim Schopf ergreift, braucht doch eigentlich keinen Kurs besuchen?

Eigentlich nicht. Aber viele haben Angst. Denn wer sich öffnet, wird verletzlich. Ich halte dagegen: Wer sich einkastelt, bleibt allein!

 

Früher ging man zum Ehe-Institut. Die Zeiten sind endgültig vorbei, oder?

Das gibt es schon noch, wenn auch seltener. Das läuft unter dem Stichwort "Vermögender Witwer sucht". Meine jetzige Lebenspartnerin hatte das auch versucht und viel Geld bezahlt. Unter den sieben Vorschlägen war nur einer, der mit gutem Willen in etwa dem Raster entsprach, das sie angegeben hatte. Ich rate, sehr, sehr vorsichtig zu sein. Die Leute wollen Ihr Bestes, das Geld. Das gilt auch für vieles, was mit dem Internet zu tun hat. Wer sich dort bewegt, muss wissen, wie das funktioniert und was passieren kann. Auch dass man brutal abgezockt werden kann.

 

Dating-Apps versprechen eine schnelle Begegnung, auch sexuell. Ist das schlimm?

So ist das Leben. Aber wenn zwei wirklich zusammenleben wollen, müssen sie Vertrauen haben können. Mir hat damals eine Frau geschrieben, die auf dem beigelegten Bild wie Juliette Greco aussah. Sehr attraktiv. Aber das Bild war schon mehrfach benutzt worden, der Brief ging ohne Marke an die Zeitung. Geschrieben aber hat sie, als wäre ich der Einzige – und als beim Treffen die Stunde der Wahrheit schlug, war sie auch fünf Jahre älter als auf dem Bild. Das kann nicht Basis einer Partnerschaft sein. Ehrlichkeit gehört dazu, von Anfang an.

 

Plattformen im Internet sind, zumindest für die jungen Menschen, ein gängiger Weg der Partnersuche. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Mein Eindruck ist: Das nimmt ab. Und das erste Telefonat, das erste Treffen – das findet ja trotzdem weiterhin analog statt. In meinen Kursen sind auch schon 25-Jährige dabei gewesen, weil sie keinen Partner finden.

 

Nils Peter Esmann

Nils Peter Esmann © Foto: Privat

Was machen die falsch?

Sie halten oft starr an ihren Vorstellungen fest. Man glaubt gar nicht, wie fest Klischees sitzen. Ein Mann sollte groß und stattlich sein, die Frau blond mit guter Figur. Wenn das nicht gegeben ist, beißen die nicht an. In einem Kurs war eine gutaussehende Frau aus der Nähe von Augsburg, die sagte, ich gehe aus meinem Ort nicht weg. Obwohl dort die guten Männer vergeben waren und sie von den anderen nichts wissen wollte. Keine Chance also? Sie hätte bestimmt die Kraft, habe ich sie bestärkt, einen Münchner zu überzeugen, zu ihr zu ziehen!

 

Wie wichtig ist dann das Aussehen?

Es ist wichtig, aber menschliche Eigenschaften und der Wille, die Partnerschaft zu pflegen und Kompromisse einzugehen, sind wichtiger.

 

Können das alle Suchenden annehmen und umsetzen?

Bei manchen denke ich, sie schaffen es nie. Aus einem meiner Kursteilnehmer, einem Mann Ende 30, platzte es nach zwei Stunden heraus. "Ich brauche eine Frau", sagte er. Die sollte 36 oder 37 Jahre alt sein, noch kein Kind haben, aber mit ihm zwei Kinder kriegen – und noch ein ganzer Katalog. Die anwesenden Frauen haben laut herausgelacht. "Die Frau musst du dir erst backen."

 

Welche Tipps geben Sie?

Ich gebe weniger Tipps als Impulse. Pass auf! Werde sensibler! Lerne, Dinge zu sehen! Das fängt beim Lesen einer Anzeige an, geht über die Antwort auf eine Kontaktanzeige bis zur Wahl des Ortes für das erste Treffen. Beispiel Antwortbrief: Es ist doch etwas ganz anderes, ob ich die abgerissene Seite eines DIN A6-Blocks erhalte oder einen Brief, der auf Büttenpapier von Hand geschrieben und vielleicht noch mit einem Tropfen Parfüm beduftet ist. Wenn ich schreibe, muss ich wissen, wo mein Brief landet – auf einem Tisch mit vielen anderen.

 

Also doch Lehrbuchregeln?

Nein, was ich vermittle, muss in der Praxis tauglich sein. Für das erste Treffen sollte man einen Ort wählen, wo man Zeit hat und wo das Drumherum hilft, die erste Nervosität abzumildern. In eine Speisekarte schauen, hilft. Ich würde nie in ein extrem teures Lokal gehen, aber auch nicht an die Frittenbude. Auch bei der Kleidung sollte zu spüren sein: Das ist ein besonderer Anlass. Man muss nicht piekfein mit Einstecktuch erscheinen, aber sauber und geschmackvoll und passend. Auch die Kleidung soll nichts vorspiegeln, was die Person nicht hält. Das Wichtigste aber ist, ins Gespräch zu kommen miteinander.

 

Soll man beim ersten Treffen schon küssen – und noch weiter gehen?

Ich würde sagen, nein – es sei denn, ich will Sex. Der erste Kuss kann ja auch ein vorsichtiger Abschiedskuss sein. Das Gleiche gilt für das "Du".

 

Soll man von Anfang an duzen?

Damit nehme ich mir die Chance auf einen Verbrüderungskuss. Und übersehe vielleicht, dass das Duzen bei der Ikea-Mitarbeiterin einen anderen Stellenwert hat als beim Bank-Angestellten. Ich sage gern: Werde vom Gehirnbesitzer zum Gehirnbenutzer!

 

Enttäuschen Sie mit dem pragmatischen Ansatz nicht die romantischen Gemüter?

Das muss ich. Denn Alltag ist Alltag, das muss jeden Tag gehen. Nicht alle mögen das. Als Erstes will ich von den Kursteilnehmern wissen: Was ist das Motiv, jemanden zu suchen? Was erwarten sie von einem Partner? Und welche dieser Eigenschaften erfüllen sie selbst?

 

Aha, es beginnt mit Selbsterkenntnis. Fällt das den Teilnehmern schwer?

In unserer Gesellschaft folgen wir einem Mechanismus: Wir legen Geld hin und bekommen dafür ein Brötchen, ein Buch oder sonst etwas. Wer sich bei Tinder oder Parship anmeldet, glaubt das auch. Aber das funktioniert anders. In die Partnersuche muss ich mich selbst einbringen – und muss begreifen, dass dieses Projekt Ausdauer braucht: Man sucht schließlich den Partner für den Rest des Lebens.

 

Corona macht es nicht leichter. Kann man mit Mundschutz und Abstandsregeln überhaupt den Partner fürs Leben finden?

Das halte ich durchaus für möglich, aber es wird schwieriger. Sicher kann man telefonieren und sich mit Skype oder WhatsApp auch sehen, aber das ersetzt die persönliche Begegnung nicht. Man muss den anderen ja auch riechen können, nicht nur im übertragenen Sinne. Aber inzwischen dürfen wir ja wieder mit fremden Menschen spazieren gehen!

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