Von Burgbernheim bis an das Ende der Welt
13.8.2017, 17:34 UhrAm Kap Finisterre befindet sich der letzte Wegweiser des Jakobsweges mit der charakteristischen Jakobsmuschel und der Kilometerangabe 0,0. Vor sechs Jahren nahm Bruno Krug zum ersten Mal bewusst ein kleines, zweifarbiges Schild mit einer solchen Muschel wahr. Da er wenig damit anfangen konnte, begann er sich zu informieren, bereits drei Wochen später machte er sich mit einem Rucksack von Burgbernheim in Richtung Endsee auf, Teil des fränkischen Jakobsweges.
Mit dabei hatte er seinen am Tag zuvor angekommenen Pilgerpass und eine auf das Minimum reduzierte Ausrüstung. Die erste, damals eine Woche lange Etappe bis nach Ulm bezeichnet er als seine Lehrzeit, er spricht aber auch von einer Sucht, die ihn ergriffen hat. Seitdem weiß er, wie mit Hilfe einer Nadel und eines Wollfadens eine Blase am wirkungsvollsten behandelt wird. Er lernte, welche Schuhe die besten sind, warum ein Stoffgürtel beim Laufen dem klassischen Ledergürtel überlegen ist, und machte eine erste Pilgererfahrung: "Jeden Tag passiert eine unglaubliche Geschichte."
Ziel steht fest
Nie habe er danach sein Vorhaben, nach Finisterre zu pilgern, in Frage gestellt, erzählt er, "die Frage war nur, wie lange brauche ich". Weil er zu diesem Zeitpunkt noch berufstätig war, folgte auf den ersten Abschnitt im Herbst 2011 der zweite, ebenfalls einwöchige Abschnitt im Frühjahr 2012. Dieser endete in Konstanz, mit ihm schloss Bruno Krug seine Deutschlandetappe ab. Auf dem dritten Abschnitt nach Einsiedeln südlich des Zürichsees wurde er ein Jahr später von seiner Frau begleitet. Als wunderschön habe sie die Woche erlebt, sagt Bruno Krug, so ganz sei das Pilgern ihre Sache aber nicht gewesen.
Daher machte er sich am 8. Juni 2015 vom Kloster Einsiedeln aus erneut auf den Weg, wieder allein, diesmal vier Wochen lang. Quer durch die Schweiz ging es rund 700 Kilometer nach Le Puy-en-Velay im Süden Frankreichs, einem der zentralen Stationen des Jakobsweges dort.
Tag für Tag hielt der heute 57-Jährige seine Erlebnisse in einem Tagebuch fest, jeweils in den Wintermonaten verfasste er auf dieser Basis seine Reisebücher. Von einer älteren Frau, die ihm ungefragt seine Wasserflaschen auffüllte, ist dort zu lesen. Von einem Ehepaar, das ihm und einem weiteren Pilger spontan das Zimmer der erwachsenen Söhne überließ. Aber auch von einem Herbergsvater auf Zeit, einem Österreicher, der selbst den Jakobsweg gelaufen ist und damals zwei Wochen lang Pilger betreute, ja geradezu bemutterte, wie Bruno Krug erzählt. "Sensationelle drei Tage" habe er mit einem Franziskanermönch auf dem Weg nach Genf erlebt, von dem er zuvor bereits von anderen Pilgern viel gehört hatte.
War er in Deutschland noch viel allein unterwegs, traf er mit zunehmender Entfernung auf verschiedenste Charaktere. "Die Gruppen kommen zusammen und gehen auseinander, wie es sich ergibt." Wichtig war Krug immer, sich, seiner Vorstellung des Pilgerns und seinem Laufstil treu zu bleiben. Stimmte die Chemie, konnte er tagelang mit einem Pilger an der Seite unterwegs sein, oder er ging tagsüber allein, um abends wieder mit Bekannten zusammenzutreffen. Klappte das gemeinsame Laufen, Schweigen und Kochen dagegen nicht, lösten sich die international besetzten Gruppen wieder auf. Ausdrücklich betont Bruno Krug, dass nach seiner Auffassung jeder pilgern kann. Sowohl ambitionierte Sportler, die Tagesetappen von 40 Kilometer planen, wie Wallfahrer, die mit Distanzen von zehn Kilometern zufrieden sind.
An seine persönlichen Grenzen kam Bruno Krug vielfach, etwa in diesem Sommer bei der Durchquerung des spanischen Hochlands bei 38 Grad. Aber auch beim Versuch, in Frankreich zurück in seine Unterkunft zu kommen. Dazwischen lag ein Zahlenschloss, dessen Code er ohne Französischkenntnisse über das Telefon erfragen musste.
Im Sommer vergangenen Jahres folgte die Route von Le Puy-en-Velay über die Pyrenäen in das spanische Roncevaux. "Irgendwie klappt alles", diese Weisheit bewahrheitete sich gleich zu Beginn dieser Etappe. Wegen eines Bahnstreiks gelangte Krug über mögliche und unmögliche Umwege zu seinem Ausgangspunkt. Um 23 Uhr kam er nach seiner Odyssee ohne eine Unterkunft dort an, er traf durch Zufall eine Deutsche, die er zu ihrer Herberge führte, während sie ihm wiederum ein freies Pilgerbett organisieren konnte.
Ein seltsames Gefühl ergriff Bruno Krug, als er Mitte Juli diesen Jahres in Santiago de Compostella und anschließend am Kap Finisterra stand. Jeder der mit ihm gekommenen Pilger suchte sich einen Stein und blickte auf das Meer hinaus, erzählt er, "das war schon ein Punkt, an dem man nachdenkt". Als streng gläubig bezeichnet sich Bruno Krug nicht, zunächst waren es ohnehin sportliche Gründe, die erste Etappe des Jakobsweges anzupacken, wie er sagt.
Auf dem Weg aber, teils mutterseelenallein auf weiter Flur, kam für ihn etwas Mystisches hinzu. Genügend Begegnungen ließen ihn schlucken, etwa als er in einer Kirche, in die er nur gekommen war, da er sich verlaufen hatte, Musiker in Vorbereitung eines Konzertes ein Ave Maria anstimmten. Oder bei der bewegenden Verabschiedung von dem Franziskanermönch. "Man glaubt plötzlich Sachen, da hätte man davor gelacht."
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