Exklusives Interview
Bayerische Verkehrsministerin: "Ich erwarte einen ordentlichen Schub"
12.10.2021, 07:12 UhrFrau Schreyer, Sie sind Diplom-Sozialpädagogin und haben nach dem Studium auch als Therapeutin gearbeitet. Waren Sie im Kabinett schon mal als Streitschlichterin im Einsatz?
Schreyer: Sagen wir mal so: Wir sind alle sehr vielfältig und auch in einen Plenarsaal kommt jeder mit seinen Stärken und Schwächen. Wichtig ist, dass man das große Ganze sieht und - was man in der Sozialpädagogik lernt - sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Ich habe eine Meinung und die vertrete ich, deshalb müssen die anderen nicht immer falsch liegen.
Innenminister Joachim Herrmann als einer ihrer Amtsvorgänger ist ein großer Fan der Bahn, vor allem auch im Kleinen. Können Sie etwas mit Modelleisenbahnen anfangen?
Schreyer: Mit Modelleisenbahnen? Wissen Sie, ich glaube, dass man als Politiker eine Affinität zu den Themen braucht. Aber ich habe 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf diese Fachkompetenz baue ich. Kurz: Ich werde mir keine Eisenbahn in den Keller stellen.
Stichwort Bahn: Die Autobahnen sind voller Lkw. Deshalb lassen sie auch ein Güterverkehrskonzept für Bayern erarbeiten. Aber wie realistisch ist es denn überhaupt, künftig signifikant mehr Gütertransport auf die Schiene zu bekommen angesichts der Mehrkosten im Vergleich zum Lkw?
Schreyer: Ich glaube, dass sich schon aufgrund des wirklich eklatanten Fahrermangels viel in der Speditionsbranche verändern wird und sie sich umstellen muss. Aber vor allem muss der Bund, der für die Schiene zuständig ist, seinen Job machen und die Infrastruktur ausbauen. Ich erwarte, egal wer in einer neuen Bundesregierung wo auf welchem Stuhl sitzt, dass es hier eine maximale Priorität gibt. Denn wenn wir den Umweltschutz so hoch hängen wollen, wie es gesellschaftlicher Konsens ist, dann muss da Geld rein, sonst ist das alles eine Diskussion, die zu nichts führt.
Mit dem Ausbau der Infrastruktur ist es ja so eine Sache. Jeder möchte zwar die Verkehrswende, aber vor der eigenen Haustüre will niemand einen Brenner-Nordzulauf oder ein neues ICE-Werk haben. Macht es sich die bayerische Staatsregierung nicht ein wenig zu leicht, sich hier vor allem erstmal als "Beschützer" auf die Seite der Anwohner zu stellen?
Schreyer: Ich bin immer bereit, mit jedem über alles zu diskutieren, aber man muss am Ende als Politiker sich eine Meinung bilden, entscheiden und dazu stehen. Wenn wir wollen, dass die Menschen eher im ÖPNV und SPNV landen, dann muss ich Schienen haben, eine bessere Taktung, mehr Züge. Die Straße brauche ich trotzdem, der Bus, das Sammeltaxi im ländlichen Raum fahren auf Straßen, fliegen können sie noch nicht...
Raumordnungsverfahren "logischer Weg"
… also muss ihrer Ansicht nach dem Bürger irgendwann klar gesagt werden, dass er ein ICE-Werk akzeptieren muss. Wie werten Sie es dann, dass der Ministerpräsident oder auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Frieser noch bevor ein Raumordnungsverfahren begonnen wurde, öffentlich erklären, dass Werk werde in keinem Fall bei Altenfurt/Fischbach gebaut?
Schreyer: Das Raumordnungsverfahren ist der logische Weg, dabei werden auch alle Meinungen gehört und dann muss die DB vorschlagen, wo sie mit dem Werk hin will. Dass man als Politiker trotzdem eine Meinung dazu haben und ein Grundstück für weniger geeignet halten kann, ist das gute Recht der örtlichen Abgeordneten.
Das Thema Reaktivierung alter Bahnstrecken ist in den letzten Jahren stark in den Fokus gerückt. Seit 1996 wurden aber nur sehr wenige Trassen im Freistaat wiederbelebt, vor allem weil die Hürden hoch sind: Es müssen mindestens 1.000 Reisende pro Tag prognostiziert werden, die Infrastruktur muss ohne Zuschuss des Freistaats instand gesetzt werden. Da müsste sich doch etwas ändern, oder?
Schreyer: Die Hürden sind nicht hoch, sie sind klug. Leere Züge produzieren ökologisch und wirtschaftlich ein Minus. Was wir brauchen ist eine intelligente Verkehrsplanung und die unterscheidet sich in Bayern sehr, je nachdem, wo sie stattfindet. Das kann die Reaktivierung sein, weil wir wissen, dass das ein Zuzugsgebiet ist, weil dort Gewerbe entsteht. Es kann aber genauso sein, dass man ein ausgeklügeltes Bus-System hat, das die Menschen abholt und genau dorthin bringt, wo sie hinwollen. In der Regel fährt der Bus häufiger und passgenauer, weil der Bahnhof oft nicht im Ortskern ist, sondern weiter draußen. Wir werden nicht jeden Weiler mit einer Schiene anschließen können. Ich tue mich immer schwer, wenn es Gruppen gibt, die das Heil nur in einer Sache sehen. Was wir schaffen müssen, ist, dass die Menschen weniger Auto fahren und mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dafür benötigen wir die entsprechende Infrastruktur und Taktung. Das ist das Entscheidende.
Insgesamt fahren auf über der Hälfte der rund 6.000 Kilometer Schiene in Bayern noch Dieselloks und -züge. Ausbauprojekte wie die Franken-Sachsen-Magistrale werden seit Jahrzehnten diskutiert und geplant, aber nicht umgesetzt. Die Finanzierung ist die Aufgabe des Bundes, aber was kann und muss die Staatsregierung tun, damit Schwung in das Thema Elektrifizierung kommt?
Schreyer: Oft scheitert der Ausbau am zu niedrigen Nutzen-Kosten-Faktor. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass man von den bisherigen Kriterien weg muss. Wir sind ein Flächenland. Die Elektrifizierung muss schleunigst vorangetrieben werden und da bin ich sehr gespannt, ob das eine Priorität in der nächsten Bundesregierung hat. Der Bund wird sich hier massiv bewegen müssen. Ebenso wie mit Blick auf den barrierefreien Ausbau der Bahnhöfe. Denn natürlich kann ich rechnen und sagen, 80 Prozent der Reisenden steigen bereits barrierefrei ein. Das hilft aber niemandem etwas, wenn er nicht in der Großstadt sondern in einer kleineren Gemeinde wohnt, wenn man selber eine Gehbehinderung hat oder den Kinderwagen die Treppen hochschleppen muss. Deshalb erwarte ich nochmal einen ordentlichen Schub, auch wenn es richtig viel Geld kostet.
"Komplexe Sachverhalte"
Aber Sie hatten doch jetzt über Jahre die Gelegenheit, einen Bundesverkehrsminister aus den eigenen Reihen in Berlin zu haben. Da haben doch auch Sie Chancen verstreichen lassen, oder?
Schreyer: Andreas Scheuer hat gerade erst ein 1.000-Bahnhöfe-Programm ins Leben gerufen. Insgesamt fließt da rund eine Milliarde Euro, vor allem in die Barrierefreiheit. Da gab es in den letzten Jahren schon etliche Projekte, die mit viel Geld hinterlegt waren. Aber natürlich ist es so, dass wir zu viele Bahnhöfe haben, die eben nicht barrierefrei sind. Es geht ja auch nicht nur darum, dass der Bahnhof selber barrierefrei ist, sondern dass der Einstieg des Zugs zur Bahnsteighöhe passt. Das sind komplexe Sachverhalte, die auch nicht so schnell zu lösen sind, wie ich persönlich es gerne hätte.
Man kann sich dennoch fragen, warum es mit dem Ausbau der Bahn in den letzten zwölf Jahren, in denen die CSU einen Bundesverkehrsminister gestellt hat, nicht so recht vorangegangen ist…
Schreyer: Das kann man fragen, aber es geht an der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit vorbei. Noch vor 15 Jahren war für die weit überwiegende Mehrheit nicht die Bahn das große Thema, sondern die Straße. Heute zu sagen, was wir hätten machen müssen, erfordert, dass wir auch die damalige Stimmungslage mit einbeziehen. In den letzten fünf Jahren hat sich das verändert, entsprechend muss man die Weichen stellen.
Im Mai haben Sie eine Ausbaustrategie für die S-Bahn Nürnberg angekündigt. Ein Gutachterkonsortium soll bis 2025 prüfen, welche Maßnahmen und Projekte Sinn machen und notwendig sind. Bis Ergebnisse vorliegen, wird es also noch sehr lange dauern, von konkreten Planungen, Planfeststellungsverfahren und schließlich Inbetriebnahmen ganz zu schweigen. Was erhoffen Sie sich also davon?
Schreyer: Planungsprozesse dauern sehr lange, gerade wenn es um ein komplexes System wie die S-Bahn in Nürnberg oder München geht. Dann muss man das auch anschauen, wo ein Ausbau logisch und klug ist. Es macht keinen Sinn, dass ich da hektisch mit dem Filzstift irgendwelche Schienen einzeichne. Solche Konzepte dauern, es muss alles sauber geplant sein. Nürnberg hat bereits eine sehr gute Infrastruktur mit Blick auf die S-Bahn, da schauen andere Städte wesentlich schlechter aus. Das heißt nicht, dass man es nicht weiterentwickelt, aber wir müssen uns dafür die nötige Zeit nehmen. Meinem persönlichen Naturell entsprechen die Planungszeiten auch nicht.
Zum Thema Wohnen: Berlin hat seinem Ärger über die Situation am Wohnungsmarkt vor zwei Wochen mit einem Votum für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne Luft gemacht. Wie lange werden die bayerischen Mieterinnen und Mieter noch stillhalten, bis auch sie radikalere Maßnahmen fordern?
Schreyer: Ich weiß nicht, ob es hier um ein Stillhalten geht. Wir müssen einfach kluge Politik machen und das heißt am Ende des Tages: Bauen, bauen, bauen. Alles andere macht keinen Sinn. Ich bin als Sozialpädagogin eher für Belohnsysteme und nicht fürs Bestrafen. Vielen, die gerne Wohnraum schaffen würden, auch aus dem privaten Bereich, sind einfach die Regularien zu steif. Wenn ich denen sage, ich gehe zur Not an euer Eigentum, dann werden die nicht bauen. Und wir haben es ja auch schon am Mietendeckel in Berlin gesehen: Eine direkte Folge davon waren massive Einbrüche im Bereich Neubau von Wohnungen. Außerdem war er verfassungswidrig. In Bayern haben wir dagegen 78.000 Genehmigungen für Wohnungsbau erteilt im vergangenen Jahr, das ist ein Rekord. Ebenso haben wir 64.000 Wohnungen in Bayern geschaffen, ebenfalls ein Rekord. Das heißt nicht, dass ich damit zufrieden bin. Ich will damit nur sagen, dass wir in Bayern ohne Ende anschieben.
Fehlender Baugrund
An welchen Schrauben muss Ihrer Ansicht nach zuerst gedreht werden, damit mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht?
Schreyer: Das eine ist die Frage, wo kann man überhaupt noch bauen. Das andere die Genehmigungsverfahren der Städte. Ich nehme Nürnberg ausdrücklich aus, hier läuft das nämlich. Aber etwa in München dauert es oft Jahre, bis die Baugenehmigung erteilt wird. Das muss schneller werden.
Wie groß ist ihrer Meinung nach denn der Anteil der Staatsregierung an der Wohnungskrise? Der Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft WBG und die damit erfolgte Privatisierung von 33.000 Wohnungen im Freistaat unter dem damaligen Finanzminister Markus Söder wirkt immer noch nach.
Schreyer: Wenn Wohnungen verkauft werden, sind sie immer noch da und stehen zur Verfügung und es wurde auch nicht einfach so verkauft. Bayern war dazu aufgrund von europarechtlichen Vorgaben gezwungen…
… es ist mehr als umstritten, ob es ein Verbot der EU-Kommission gab oder ob der Freistaat nicht doch hätte versuchen können, seiner Landesbank die Wohnungen abzukaufen…
Schreyer: Ich kann dazu nur sagen, dass die Staatsregierung immer gebaut hat, immer. Und wir haben mittlerweile mit dem Siedlungswerk Nürnberg, mit Stadibau und Bayernheim drei staatliche Wohnungsbaugesellschaften. Ja, wir können immer noch besser werden. Aber die Kommunen sind mindestens in gleichem Maße zuständig, wenn es um den Wohnungsbau geht.
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