"Dreegsau" unterm Weihnachtsbaum
02.02.2011, 15:00 Uhr
Doch aus der Befremdung erwuchs rasch der Ehrgeiz, und zusammen mit der in Nürnberg aufgewachsenen Sprecherzieherin Claudia Sendlinger gelang es, aus hochdeutschen Staatsschauspielern glaubwürdige Fränkisch-Sprecher zu machen.
Nicola Lembach etwa zeigt in ihrer Rolle als Babs recht schnell, dass sie ihre Konsonanten im Griff hat: „Brigidde“ heißt die große deutsche Frauenzeitschrift natürlich, und als das Publikum das hört, geht schon fast so etwas wie ein anerkennendes Raunen durch die Kammerspiele. „Das haben wir aber auch sehr intensiv geübt“, meint die Sprecherzieherin dazu.
Auch das „R“ rollt ganz ausgezeichnet
Auch die anderen Akteure, die meisten von ihnen ohne jegliche fränkische Wurzeln, haben nach einer intensiven und langen Probenarbeit mit Claudia Sendlinger den fränkischen Zungenschlag gut unter Kontrolle. „Du Dreggsau, du dreggerde“ tönt es da über die Bühne, und das „R“ rollt meistens auch ganz vortrefflich. „Wichtig ist, dass das Ganze keinen bemühten Beigeschmack bekommt“, unterstreicht die Sprecherzieherin. Ähnliche Aufgaben hat sie schon vorher gemeistert, etwa als sie den Akteuren des König-Ludwig-Musicals in Füssen – die zum Teil nicht einmal des Deutschen mächtig waren – Bayrisch beibringen musste.
„Das Publikum merkt natürlich, dass wir keine Franken sind, aber sie sehen auch, wie wir uns damit richtig abarbeiten – das hat durchaus Charme“, meint die aus Berlin stammende Nicola Lembach im Gespräch mit der NZ. Mit jeder Vorstellung spiele sich das Gefühl für die Mundart auch immer besser ein. „Natürlich gibt es aber immer wieder Situationen auf der Bühne, wo wir uns unwillkürlich in die Augen schauen.“ Erst vor kurzem sei ihr etwas herausgerutscht, was sich dann doch eher nach Ungarisch oder Polnisch als nach Fränkisch anhörte.
Es gibt so viele verschiedene Formen des Fränkischen, dass es nicht leicht ist, sich zu orientieren“, berichtet Claudia Sendlinger von den Vorbereitungsarbeiten. Auch das Stück liegt in mehreren Fassungen vor: In Hochdeutsch und zwei fränkischen „Härtegraden“.
Die Nürnberger Inszenierung ist eine Mischung aus gemäßigtem Fränkisch, „Hardcore“-Fränkisch und einigen individuell erarbeiteten Elementen. Das Thema des Stücks – die total aus dem Ruder laufende Weihnachtsfeier einer modernen Patchwork-Familie – ist ohnehin kein speziell fränkisches Phänomen, weshalb auch schon eine hessische Fassung des Stücks erfolgreich in Frankfurt läuft.
„Die Beschäftigung mit Dialekten hat mir schon immer große Freude bereitet“, bekennt Philipp Niedersen, der in „Lametta“ den Sohn des gebeutelten Patchwork-Familienvaters spielt. Allerdings ging es für den in Wilhelmshaven geborenen Schauspieler da eher um Berlinerisch oder Hamburger Platt. Nun hat er also auch noch das Fränkische „drauf“ und kann sich der Rolle des dauerfrustrierten Sohnes Sebastian damit auch besonders intensiv nähern.
„Bei mir hat die Beschäftigung mit dem Dialekt wieder ein Fass aufgemacht.“ Claudia Sendlinger findet es nach dem intensiven Fränkisch-Training auch wieder schön, einmal im Originalton in der Kantine „Wärschdla mit Kardofflsolod“ zu bestellen. Die Schauspieler nutzen derweil etwa Fahrten in der U-Bahn, um ihr Fränkisch-Repertoire noch zu festigen.
Angst davor, dass ihnen nach solch intensiver Annäherung in Zukunft auch einmal bei Lessing oder Schiller ein „haddes D“ herausrutschen könnte, haben sie keine. Rätselhaft erschienen ihnen dagegen bei den ersten Vorstellungen manche Lacher im Publikum, auf die sie sich zuerst keinen rechten Reim machen konnten. Zumindest eine der Ursachen scheint nun geklärt zu sein: Die Rolle der Natascha, einer körperlich sehr anziehenden und dafür geistig etwas unterbelichteten Schönheitskönigin, erinnert offenbar viele Zuschauer frappierend an die Beinahe-Dschungelcampbewohnerin Tatjana Gsell.
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