Atomausstieg lässt Areva kalt
27.08.2011, 07:00 Uhr
Das Erbe wiegt schwer. Rund 110 Tonnen bringt der riesige Deckel eines Reaktordruckbehälters auf die Waage, ursprünglich hergestellt für Block C des hessischen Atomkraftwerks Biblis. Dieser aber wurde nach der Katastrophe in Tschernobyl nie gebaut, der Deckel also nicht gebraucht. Heute lagert er wie eine Art Denkmal auf dem Forschungsgelände Süd des Atomkonzerns Areva in Erlangen, von den Mitarbeitern mit Ehrfurcht betrachtet: „Das ist ein Unikat“, sagt Ingenieur Thomas Kumpf nicht ohne Stolz, „es gibt weltweit keinen weiteren nicht kontaminierten Reaktordruckbehälterdeckel aus KWU-Zeiten.
Inzwischen finden an dem Relikt Trockenübungen statt: Schlosser, Maschinenbauer und Ingenieure proben hier für ihren ersten ernsten Einsatz in einem Atommeiler. Auch das Gebäude selbst ist ein Stück Vergangenheit: Vor Jahrzehnten führte Siemens im Inneren Versuche durch, um Öl von Sand zu trennen. Im Erlanger Volksmund heißt der Ort seither etwas mythenumwoben „Berstbunker“ oder „Bunker“.
Von den Hinterlassenschaften der Siemens-Kraftwerkunion (KWU) zur Areva-Gegenwart ist es nur ein technischer Sprung. An der Geschäftsidee hingegen hat sich nicht viel geändert. Auch die modernen Einrichtungen gehören ganz der nuklearen Forschung. Wie etwa das radio-chemische Labor. Die abgeschirmte Abteilung dient zur Überwachung von Atomkraftwerken und deren Umgebung. So untersucht das Team zum Beispiel Tiere oder Gemüse auf mögliche Kontamination. Materialien aus den Atomanlagen werden dort ebenfalls auf erhöhte Werte geprüft.
Ein besonderes „Aushängeschild“ ist eine Großversuchsanlage, die einen Druckwasserreaktor in Originalhöhe abbildet. Noch bis Ende dieses Jahres teilt sich Areva mit 15 anderen Ländern ein Projekt, das unter verschiedenen Bedingungen der Frage nachgeht, wie ein Reaktorkern immer ausreichend mit Wasser gefüllt bleibt. Begeistert erklärt Leiter Klaus Umminger Maßnahmen und Methoden, zeigt anhand von Schaubildern die unterschiedlichen Modelle.
Zweifel an der Zukunftsfähigkeit lässt der Ingenieur nicht aufkommen. Das Interesse an Atomkraft sei im Ausland nach wie vor hoch: „Im internationalen Rahmen haben wir gute Perspektiven“, sagt der 55-Jährige, den die klassische Laufbahn über Siemens und KWU zu Areva geführt hat. Der in Deutschland beschlossene Atomausstieg und die eingeleitete Energiewende spielen für Umminger offenbar keine Rolle. Ebenso wenig wie für die meisten seiner Kollegen.

Denn die zumindest öffentlich geäußerte Meinung der Areva-Mitarbeiter ist einhellig: Die Atomkraft stelle eine bewährte, nützliche und auch notwendige Form der Energieerzeugung dar. Den Glauben an die hohen Sicherheitsstandards haben die verheerenden Ereignisse in Fukushima nicht erschüttert. Daher will auch niemand von Angst sprechen. Aber umso mehr vom verantwortungsbewussten Umgang mit der Technik. Das Wort „Respekt“ hat jeder Mitarbeiter sofort parat: „Wir müssen an die Arbeit mit Respekt herangehen – und mit Sinn und Verstand“, meint Schulungsorganisator Thomas Kumpf.
Der 30-Jährige ist in in- und ausländischen AKWs immer wieder bei Umbau- oder Revisionstätigkeiten aktiv. Sorge wegen radioaktiver Strahlen hat er dennoch nicht. Sogar der Nachwuchs hat die Firmen-Diktion schon gut drauf, wie Benjamin Drebert beweist. Der 28-Jährige Ingenieur ist vor neun Monaten von Siemens zu Areva gewechselt und mit der Entscheidung zufrieden: „Ich habe keine Bedenken, ein Kraftwerk mit unserer Technik zu betreten.“ Auch er betont, die Technik sei sicher.
Beim stellvertretenden Strahlenschutzbeauftragten Ulrich Hudezeck kehren die Begriffe ebenfalls wieder: „Wir haben nicht Angst, sondern machen unsere Sache respektvoll“. Ohnehin schwört der Chemie-Ingenieur auf die zahlreichen Möglichkeiten, sich im Normalfall vor radioaktiver Strahlung zu schützen: „Mit dem Dosimeter kann man Strahlung gut messen“. Falls ein Mensch nun doch kontaminiert sei und „ein paar Bröselchen hängen bleiben“, sei auch das nicht so schlimm: „Man kann die Kontamination gut beseitigen, auch durch Waschen“.
Sogar die Entsorgung stellt für den 58-Jährigen kein Problem dar: „Das Endlagern ist bei bekannten radioaktiven Stoffen harmloser als bei unbekannten giftigen“. Dass die Furcht vor Radioaktivität in der Bevölkerung so groß sei, liege allein an der psychologischen Wahrnehmung und der öffentlichen Haltung: „Diese beruht oft nicht auf Kenntnis der Fakten, sondern auf Emotionen.“
So ganz emotionslos geht es aber auch bei Areva nicht. Das ehemalige Partnerunternehmen Siemens ist die legendäre Familie; das will auch Areva für sich erreichen. Der Konzern mit ehemaligen Siemensianern und Areva-Mitarbeitern soll gerade in der Deutschland-Zentrale Erlangen zusammenwachsen: „Viele Mitarbeiter sind stolz darauf, dass wir den 1.FCN unterstützen“, sagt Standortleiter Manfred Erve, „das trägt zum Wir-Gefühl bei“. Außerdem mache das Sponsoring das Unternehmen bekannter. Am liebsten präsentiert sich der Atomkraft-Spezialist als Förderer kultureller und sozialer Einrichtungen.

Als Image-Aufbesserung für einen eher umstrittenen Atomkonzern will Standortleiter Erve das Engagement aber nicht verstanden wissen: „Wir nehmen unsere Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und der Region ernst“, betont der 61-Jährige, der 1976 bei Siemens als Werkstoffwissenschaftler begonnen hat. Wenn an dem Sponsoring plötzlich Kritik geübt wird (siehe Kasten oben links), kann der Ingenieur das nicht verstehen: „Wir sind beim Poetenfest schon seit 2005 aktiv, und bisher hat sich darüber noch niemand beklagt.“
Die Gemeinschaft wird in der eigenen Areva-Welt zelebriert: Mitarbeiter tragen T-Shirts mit dem Firmenlogo, am Eingang wehen schon von weitem sichtbar Fahnen mit der Marke. Das riesige Areal, das sich Areva mit Siemens teilt, gleicht einer Stadt in der Stadt – mit Dutzenden Häusern, Gebäuden und Straßennamen wie Einsteinweg oder Leibnizstraße.
An diesem Tag können die Angestellten vergünstigt Club-Karten für das Spiel gegen den Bayernligisten FSV Erlangen-Bruck am 2.September in der Universitätsstadt erstehen. Auch solche Angebote sollen die Corporate Identity, die Unternehmensidentität, weiter ausbauen. Einige Mitarbeiter nehmen den Service wahr, andere strömen zur Mittagszeit in Richtung Kantine.
Gerade Ingenieure am Berufsanfang interessierten sich für eine Stelle bei Areva, berichtet Erve. Aber hat die Arbeit in einem Atomkonzern heute noch Zukunft? Hochqualifiziertes Personal wie der 28-jährige Ingenieur Drebert oder sein 30-jähriger Kollege Kumpf sorge sich nicht um seine Perspektive.
Zwar müsse der für 2013 geplante Erweiterungsbau in Eltersdorf erst einmal aufgeschoben werden, zu Personalabbau aber werde die Berliner Politik nicht führen, verspricht Erve. Im Ausland sei die Nachfrage steigend, sowohl was die Instandhaltung angeht als auch den Neubau.
Den Atomausstieg der Bundesregierung könne er nicht nachvollziehen: „Das Vorgehen nach dem Tsunami in Japan war hektisch und irrational“, sagt Erve. Auch in Deutschland sei die Kompetenz des Unternehmens in den nächsten Jahren noch weiter gefragt – etwa beim Rückbau der Anlagen und der Entsorgung.
Schon heute stellt Areva Windkrafträder und Solarkraftwerke her. Dieser Bereich werde für den Konzern immer wichtiger, räumt Erve ein, lässt aber keinen Zweifel daran: „Auf die Atomkraft kann man weltweit künftig nicht verzichten.“ Daran hat auch Fukushima für ihn nichts geändert.
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