Darf sich der Stadtrat selbst entmachten?
29.05.2011, 17:00 Uhr
Darf der Oberbürgermeister das: Eine Entscheidung von der Tagesordnung des Stadtrates einfach absetzen? Weil er merkt: Er bekommt keine Mehrheit für seine Position? Die Antwort ist klar: Die institutionelle Macht als Vorsitzender des Stadtrates stattet ihn mit dieser Kompetenz aus. „Er ist Herr über die Tagesordnung“, sagt Elfriede Vittinghoff, die Leiterin des Rechtsamtes.
„Mehrheit klappte nicht“
Bei der Diskussion über das Gewerbegebiet G6 hat Oberbürgermeister Siegfried Balleis diese Macht eingesetzt. Im September des vergangenen Jahres hatte er die Abstimmung über das Gewerbegebiet, die eine Ablehnung gebracht hätte, von der Agenda des Stadtrates genommen. Die Versuche danach, im Stadtrat noch eine Mehrheit zusammenzukratzen, waren gescheitert. „Ich habe mich bemüht“, hatte die CSU-Fraktionsvorsitzende Birgitt Aßmus im Januar gesagt, „aber es hat nicht geklappt“. Mit einem Ratsbegehren, das die FDP initiiert hat und das am Donnerstagabend beschlossen worden ist, soll nun doch gerettet werden, was schon verloren schien: Die neue Gewerbefläche in Tennenlohe.
Dass dies den Stadträten, die auf diese Weise ausgebootet werden, überhaupt nicht gefällt, ist keine Überraschung. „Ich fühle mich vergackeiert“, schimpfte Anette Wirth-Hücking (Freie Wähler). „Die Stadtratsmehrheit ist ausgehebelt worden“, lautete ihre deutliche Kritik, „nur weil nicht die richtige Mehrheit herausgekommen ist“. Eckart Wangerin, der Fraktionschef der Linken, argumentierte ähnlich: Dass in der wichtigen Frage noch keine Entscheidung, die die Befürworter des G6 ja so vehement fordern, gefallen sei, habe einen banalen Grund: „Die Entscheidung ist ja auch nicht abgefragt worden.“
Harald Bußmann (Grüne Liste) sprach von einer Beschädigung des politischen Instruments der direkten Demokratie. Deshalb verweigerte seine Fraktion auch die Zustimmung zu dem Ratsbegehren, selbst wenn die Grüne Liste sonst eine Beteiligung der Bürger stark befürwortet.
Frank Höppel (ÖDP) monierte, dass die Stadtspitze keine Alternativen vorgelegt habe. Er sagte schon jetzt der Tennenloher Initiative gegen das G6 die Unterstützung seiner Partei zu. Mitglieder der Initiative hatten während der Stadtratssitzung mit Schildern, auf denen sie „Ratsbegehren = legale Trickserei“ oder „Demokratiemissbrauch“ geschrieben hatten, erneut ihre Meinung kund getan.
Lars Kittel (FDP) hatte als Initiator des Ratsbegehrens den Vorwurf des „Demokratiemissbrauchs“ zurückgewiesen. „Jede Entscheidung ist besser als keine Entscheidung“, meinte er. Zudem betonte Kittel: „Auch bei einem Votum im Stadtrat wäre es zu einem Bürgerbegehren gekommen. Das sei halt nun mit dem Ratsbegehren vorweggenommen worden“.
Birgitt Aßmus (CSU) unterstützte diese Position: „Es wird Zeit, dass wir aus der Warteschleife herauskommen“, erklärte die CSU-Fraktionsvorsitzende. „Wir fragen doch die Bürger: Das ist keine Trickserei!“
Florian Janik sagte für die SPD (die sich — wie mehrfach berichtet — zwar inhaltlich gegen das G6 ausgesprochen hatte, aber dem Ratsbegehren zustimmt): „Das ist der richtige Schritt.“ Die Frage betreffe nicht nur die Tennenloher. Deshalb sei es richtig, wenn alle Bürger diese Entscheidung träfen.
Kittel hatte in seiner Rede noch auf einen weiteren Punkt dezidiert hingewiesen. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende will bei der Vorbereitung des Ratsbegehrens Gegner und Befürworter intensiv miteinbeziehen: Jede Seite solle bei der Vorlage des Ratsbegehrens „offen und klar Stellung beziehen können“, sagte er.
Die Vorbereitungen für ein Ratsbegehren laufen nun an. Im Herbst soll es — so die aktuelle Planung — durchgeführt werden.