Der «Nacht der Schande» gedacht

10.11.2008, 00:00 Uhr
Der «Nacht der Schande» gedacht

© Marc Johnston

Auf dem Schlossplatz waren am späten Sonntagnachmittag rund 400 Bürger und Bürgerinnen zusammengekommen, um gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde Erlangen, mit ihren Pfarrern und Vertretern des öffentlichen Lebens der Reichspogromnacht 1938 - dem ersten brutalen Höhepunkte der Judenverfolgung im Dritten Reich - zu gedenken.

Auf dem Schlossplatz sprach der katholische Dekan Josef Dobeneck von einem «ersten, unfassbaren Höhepunkt der Judenverfolgung», zu dem eigentlich die Worte fehlten. Umso wichtiger sei es, Worte gegen das Erstarken neonazistischer Umtriebe wie bei den Auftritten der Rechten in Gräfenberg und Weißenohe zu finden - ein Gedanke, den auch Bürgermeisterin Elisabeth Preuß in ihren Dankesworten an die Versammlung fand.

Nach einem Ausschnitt aus Hans Peter Richters Erinnerungsbuch an die Reichspogromnacht («Damals war es Friedrich»), vorgelesen von seiner Tochter Ulrike Werner, schilderte Pfarrer Johannes Mann die Geschehnisse in der Nacht zum 10. November in Erlangen, als man über 50 jüdische Familien aus Erlangen, Forth und Baiersdorf zusammentrieb, sie inhaftierte, misshandelte, ihre Wohnungen und Geschäfte plünderte und verwüstete sowie die Synagogen schändete. Der Geistliche beklagte das Versagen der großen Kirchen - nur einzelne Pfarrer und Priester hätten sich gegen das Unrecht gestellt.

Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Erlangen, Ester Klaus, schilderte den letzten Gottesdienst einer Gemeinde der Ostjuden, die genau wusste, was auf sie zukam. Der Rabbiner aber habe - voller Gottvertrauen - seine Gemeinde aufgefordert, auch ihre anrückenden Häscher nicht zu hassen und bekräftigt, dass man menschliches Leben auslöschen könne, nicht aber Worte und Erinnerungen: «Worte haben Flügel und bleiben bis in alle Ewigkeit.»

Leider, so Ester Klaus, habe die Pogromnacht bewiesen, dass Integration nicht vor Verfolgung schütze - die jüdischen Erlangerinnen und Erlanger seien bestens integriert gewesen, was sie aber nicht vor dem braunen Mob und der zustimmenden Gleichgültigkeit der restlichen Bevölkerung bewahrt habe. Sie, wie auch Pfarrer Matthias Haag, nannten den Staat Israel einen Garanten dafür, dass jüdisches Leben weltweit existieren könne. Haag nannte es «ein Geschenk», dass Deutschland nach dem Holocaust wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen worden sei. Es sei auch ein Geschenk, wieder mit jüdischen Gemeinden geschwisterlich zusammenleben zu können in einer bunten Welt «jenseits der geistigen Monokultur» (Ester Klaus).

Klagegesang des Rabbiners

Machtvoll und eindringlich gerieten das Gebet und der Klagegesang von Rabbiner David Goldberg aus Hof, der der sechs Millionen getöteten Juden gedachte, eindrucksvoll musikalisch begleitet von der Klarinette des Musikers Leonid Henkin und der Querflöte von Reka Juhasz. Beindruckend auch das Werk der Klasse 10 d des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, die mit ihrer Kunstlehrererin Barbara Gewalt einen Davidstern aus Platten mit den 34 Namen getöteter Erlanger Juden geschaffen hatte - ein Kunstwerk, das als Mahnmal Bestand haben soll und am Palais Stutterheim eingelassen wird.

Schon am Vormittag hatte Oberbürgermeister Siegfried Balleis auf dem jüdischen Friedhof am Holocaust-Mahnmal einen Kranz der Stadt niedergelegt und «das öffentlich verübte Unrecht» angeprangert, das damals herrschte. Beschämt müsse man noch heute sein, wenn man höre, dass sich damals Schüler des Gymnasiums Fridericianum damit gebrüstet hätten, bei der Plünderung jüdischer Geschäfte (zynisch «Kauf durchs Fenster» genannt) zu neuen Fotoapparaten gekommen zu sein. Auf dem Friedhof verlasen Schülerinnen und Schüler des Marie-Therese-Gymnasiums, assistiert von ihrem Lehrer Peter Barta, die Namen der über 50 Shoa-Opfer aus Erlangen und Umgebung - erschütternde Schicksale zwischen kaltem Mord, brutaler Totschlägerei, Euthanasie und Freitoden. Dort hatte auch der Vorbeter der jüdischen Gemeinde in Erlangen, Awraham Rosenzweig, in einem Gebet «Frieden und Toleranz» angemahnt.

Bereits am Samstag hatte im Erlanger Musikinstitut das Figurentheater Heppstädt von und mit Stefan Kügel sein beeindruckendes Figurentheater-Stück «Der letzte Zug» gezeigt, das das Schicksal der Millionen Deportierten in den Mittelpunkt stellt, die in die Konzentrationslager verschleppt und dort meist grausam umgebracht wurden.

In Baiersdorf fand zum 70. Jahrestag der Reichpogromnacht ein Erinnerungsgang quer durch die Altstadt zu jenen Gebäuden statt, die einen Bezug zu früheren jüdischen Bürgern haben. Die rund 50 Teilnehmer begleitete der Historiker Horst Gemeinhardt, der durch seine Aufarbeitung der Geschichte der Juden in der Region viele Details gerade in seiner Heimatstadt Baiersdorf kennt und zwanzig Häuser ansteuerte. «Es hätten auch 100 sein können,» sagte er, denn das jüdische Leben war ausgeprägt in der Meerrettichstadt, bis es vom nationalsozialistischen Regime beendet wurde. Schon am 9. November 1938 lebten nur noch drei jüdische Mitbürger in Baiersdorf: Ludwig und Lina Kohn in der Hauptstraße 10 - 1942 kamen sie im Konzentrationslager Izbica um. Die drit- te verbliebene Jüdin war Maria Schübel. Sie habe, berichtete Horst Gemeinhardt, einen Christen geheiratet und sei deshalb der Verfolgung entgangen.

Wohltätige Juden

Halt machte der Rundgang auch an der Sparkasse in der Judengasse, wo einst die 1711 errichtete Synagoge stand. Sprengversuche nach der Plünderung im Jahre 1938 schlugen fehl, deshalb wurde sie 1939 abgebrochen. Innegehalten wurde ebenso an den beiden Häusern Judengasse 1 und Waaggasse 11, in denen Landesrabbiner Samson Salomon lebte, sowie am Haus der Seligmanns in der Hauptstraße 49/51.

Die Seligmanns hatten insgesamt fünf Stiftungen, von denen unter anderem 1904 der städtische Kindergarten errichtet wurde. Dort in der Seligmannstraße begann der einstündige Erinnerungsgang, und auf dem jüdischen Friedhof, wo Bürgermeister Andreas Galster am Gedenkstein einen Kranz niederlegte, endete er. P.MILLIAN/K.D. SCHREITER