Deutsche Einheit als Partnerschaftsgeschichte
2.10.2015, 18:00 UhrERLANGEN – Ein Vierteljahrhundert wiedervereinigtes Deutschland sind gleichzeitig 28 Jahre der die Ländergrenzen überschreitenden Partnerschaft, die selbst eine lange Vorgeschichte hatte, die bis in die 70er Jahre zurück reicht. Nach ersten Gelände-Erkundungen durch den damaligen FDP-Stadtrat und Querdenker Claus Uhl war es schließlich Erlangens einstiger sprachgewaltiger SPD-Landtagsabgeordneter Karl-Heinz Hiersemann, der einen gemeinsamen Termin mit dem ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker nutzte, die Städtepartnerschaft aufs Gleis zu setzen.
Dass die Geschichte die Partnerschaft nicht nur einholen, sondern sogar überholen würde, war 1987 noch Prophetie oder Hoffnung, keineswegs aber ausgemacht. Dem Hegelschen Weltgeist und der Vernunft in der Geschichte gefiel es, das politisch wie wirtschaftlich abgewirtschaftete System des „realen“ Sozialismus zur Disposition seiner immer mutiger werdenden Untertanen zu stellen – 1989 fiel die Mauer, das Sowjetreich brach zusammen und KPdSU-Generalsekretär Michael Gorbatschow entließ die DDR friedlich aus dem Machtbereich des großen Bruders UdSSR.
Beispiele dafür, dass dem objektiven Zerfall der Macht der sich kommunistisch nennenden Nomenklatura die zunehmende Stärke des Freiheits- und Emanzipationswillens der DDR-Bevölkerung nachhalf, gab es auch in Jena. Und die neuen Freunde aus Erlangen hätten wohl gerne mitgeholfen, den Zerfall der alten Strukturen zu befördern. So konnten Vertreter der im Erlanger Stadtrat vertretenen Parteien – es gab eine Ost-CDU und Ost-„Liberale“, die Sozialdemokraten mussten nach Gesinnungsresten in der Einheitspartei SED suchen – zwar persönliche Kontakte knüpfen, oppositioneller Funken ließ sich daraus aber kaum schlagen.
Zum System auf unversöhnlichen Gegenkurs zu gehen, blieb anderen vorbehalten – über den aus Jena stammenden Bürgerrechtsaktivisten Roland Jahn (heute Beauftragter für die Stasi-Unterlagen) und seinen verhinderten Auftritt vor dem Erlanger Stadtrat berichteten die EN in ihrem Regionalteil in der Donnerstagausgabe. Und auch an der Opposition hatte die SED ihren Anteil, sorgte sie doch dafür, dass – auch und gerade in Jena – Probleme geleugnet oder schöngeredet wurden. Vor allem im Bereich Umwelt wollten die Stadtgewaltigen in der Zeiss-Stadt nicht wahrhaben, dass das Müllproblem zum Himmel stank, das Wasser der Saale extrem dreckig war und die Böden vor allem im Bereich der russischen Kaserne stark belastet. Aus der sich 1988 gründenden Gruppe „Stadtökologie“ sollten später die Jenaer Grünen entstehen – eine für die DDR ebenso neue wie ungewohnte politische Kraft. Das wurde seitens der Erlanger Freunde kräftig unterstützt. Dieter Argast, Mitglied der Grünen Liste und im Bund Naturschutz, gehörte zu diesen Aktivisten ebenso wie die spätere Kreis- und Landesvorsitzende Doris Tropper. Auf der Jenaer Seite waren es keineswegs „Aufrührer“, wenn auch – in der Gestalt des Geologen Jens Götze oder der Stadtökologie-Mitbegründerin Cornelia Bartlau (sie ist heute Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Jena) –in der Sache unversöhnlich. Der damalige SED-Oberbürgermeister Hans Span sah das Treiben der Stadtökologen (und späteren Grünen) mit Misstrauen, konnte aber letztlich deren Sacharbeit auf Dauer nicht ignorieren. So wurden die Stadtökologen neben den Friedensaktivisten und Bürgerrechtlern zum dritten Sargnagel für das verkommene System.
Dass auch heute noch Erlanger Umweltaktivisten wie Dieter Argast und Grüne wie Heiner Grillenberger oder Gudrun Bußmann persönliche Kontakte nach Jena pflegen, liegt auch an den vielen gemeinsamen Momenten der turbulenten Wende-Ära. Das wurden Computer, Drucker und Kopierer samt dem in Jena ebenfalls fehlenden Papier an die Saale geliefert – ein kleiner subversiver Beitrag zum Umsturz.
Der aber kam bereits ein Jahr vor der Einheit, als am 9. November 1989 nach monatelangen Protesten auf der Straße und zunehmendem politischen Druck ein offensichtlich überforderter DDR-Funktionär namens Günter Schabowski die Grenze nach Westberlin öffnete und den Mauerfall einläutete. Die DDR-Straßenprotestparole „Wir sind das Volk!“ wandelte sich zur Parole „Wir sind ein Volk!“ – und 17 Millionen DDR-Bürger setzten die deutsche Einheit durch. Nach 25 Jahren soll dies und eine 28 Jahre währende Freundschaft erneut gefeiert werden (siehe gesonderter Artikel).
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