Die Jeanne d’Arc der Erlanger SPD und der Visionär

23.2.2008, 00:00 Uhr
Die Jeanne d’Arc der Erlanger SPD und der Visionär

Ursula Lanig . . .

«Un dann hammer a Frah, horch die schaud glasse aus … Die is ächd scheh!» Als vor zehn Jahren der «Sozi» derart mundartsprachlich im Erlanger SPD-Organ «Monatsspiegel» spazieren ging, konnte das offensichtliche Pseudonym «Konrad Käswaffel» nicht ahnen, dass die damalige neue stellvertretende Kreisvorsitzende im Jahr 2008 für das OB-Amt kandidieren würde. «Ursula Lanig kommt» schreit es heute aus vielen Plakaten - grad so, als wenn sie nicht schon lange in Erlangen leben würde. Die in der Partei so genannte «Jeanne d’Arc der Erlanger SPD» will nach der verlorenen Bürgermeister-Wahl vor sechs Jahren - als sie im Stadtrat, aufgrund der Stimmenverhältnisse in aussichtsloser Position, ihren Hut in den Ring geworfen hatte - jetzt nach dem höchsten Amt in der Stadt greifen.

Der einstige SPD-Vize und (Noch-)Stadtrat Axel Graemer - wie Ursula Lanig selbst nicht dem linken Flügel des Erlanger Kreisverbandes zuzuordnen - hat seine Kollegin im herausgehobenen Parteiamt anlässlich deren 50. Geburtstags im Mai 2003 porträtiert. Er erinnerte an die damalige schwierige Situation («Die Partei nach dem Machtwechsel im Erlanger Rathaus auf unstabilem Kurs, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Ursachenforschung, betrieben von den bekannten und immer dazu selbst berufenen Experten») und die Fähigkeit auch von Ursula Lanig, «binnen kürzester Zeit die Gräben zu ebnen und aufeinander zuzugehen».

. . . als Jeanne d’Arc . . .

Nicht nur für ihn in der Partei zeigt sich die heute 54-Jährige Gymnasiallehrerin aus Dechsendorf «geradlinig, entschlossen, unglaublich konsequent, kraftvoll und energisch»: «Wenn Du Dir etwas vorgenommen hast, dann wird das Vorhaben in die Tat umgesetzt und dabei gehst Du bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit. Du bist nicht dafür bekannt, dass Du den Weg des geringsten Widerstands wählst, wenn es um Deine Argumente geht.» Und für ihren Kreisvorsitzenden Robert Thaler ist die Arztgattin «hellwach, spontan, belastbar und phantasievoll, nie mit einfachen Lösungen zufrieden und immer auf den Grund gegangen».

Aus der einstigen Quotenfrau für den Kreisvorstand hat sich eine Kämpferin entwickelt - eine «Alternative zum Scheinriesen» auf dem OB-Sessel, wie es der Landtagsabgeordnete und sozialdemokratische Kandidatenvorgänger 2002, Wolfgang Vogel, auf der mit 100 Prozent Zustimmung endenden Nominierungsversammlung formulierte.

. . . und ausgleichende Kraft . .

Diese Einstimmigkeit ist höchst selten bei der Erlanger SPD - und deshalb erstaunlich. Ursula Lanig hat um den Rückhalt «beider Flügel» des Kreisverbandes gekämpft und alle hinter sich geschart - wohl in eindrucksvollerer Weise, als dies bei früheren Wahlen in der SPD geschehen ist. Ihre Karriere dort vollzog sich spät: Schon 1980 erhielt sie das Parteibuch - und musste 17 Jahre lang auf ein herausgehobenes Amt warten. 2002 dann der Einzug in den Stadtrat, praktisch im selben Atemzug - wie einst bei Gisela Niclas - die Kandidatur im Plenum für den Bürgermeisterposten. Heute ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und kulturpolitische Sprecherin. Im Beruf steht die Mutter von drei erwachsenen Kindern ihre Frau als Lehrerin an der Schule für Kranke mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendpsychiatrie, nebenberuflich an den Berufsfachschulen für Kinderkrankenpflege (bis 2001) sowie für Hebammen (seit 2000) an der Friedrich-Alexander-Universität.

. . . der SPD

Als ihre politischen Schwerpunkte bezeichnet Ursula Lanig die Kultur, die Bildung und die Stadtentwicklung - und so recht ist sie aus diesem begrenzten Feld auch nicht herausgetreten. In kulturbeflissenen Kreisen geht die Juristen- und Professorinnentochter ein und aus - so im Förderverein Theater, im Kuratorium Volkshochschule, im Gemeinnützigen Verein, im Kunstverein, im Förderverein Erlanger Kammerorchester, im Stutterheim-Verein, in der Kulturpolitischen Gesellschaft sowie als Vorstandsmitglied im Kultur-Stadtverband. Daneben gehört Lanig noch einem halben Dutzend anderen Organisationen an, zeigt also schon seit langem dauerhafte Präsenz.

Wer aus der Opposition heraus kämpft, wenig eigene Fakten vorweisen kann, muss angreifen. So hat Ursula Lanig ihre Rede für den Etat 2008 ganz auf den Amtsinhaber zugeschnitten, fordert von ihm schlagwortartig - und den realen politischen Alltag eher negierend - «Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um z. B. gemeinsam mit anderen eine Änderung des kommunalen Finanzausgleichs zu Gunsten der Städte oder eine strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips zu erreichen». Den derzeitigen Oberbürgermeister setzt sie gleich mit wenig verlässlicher Politik: «Heute so, morgen so. Keine klare Linie, kein klares Ziel, was und wohin man eigentlich will. Großartig abgesprungen und kleinlaut gelandet.» Die Mitarbeiterin in mehreren Bürgerinitiativen fordert höhere Gewerbe- sowie eine Zweitwohnungssteuer und mehr Verkehrsüberwachung, um einen Sanierungsstau von über 100 Millionen Euro bewältigen zu können. Und statt der Arcaden wäre ihr ein Kongresszentrum lieber gewesen - alles für ein «neues,

freundliches Gesicht» der Stadt.

Ob all das Lob aus den eigenen Reihen und ihre politischen Vorstellungen ausreichen, um das Wahlvolk zu überzeugen und aus Erlangen ein «Erlanigen» zu machen - der Abend des 2. März 2008 wird es zeigen.

Siegfried Balleis . . .

Es mag für einen CSU-Politiker kaum einen unverdächtigeren Zeugen geben als den Spiegel. So berichtete das Hamburger Nachrichtenmagazin im Mai 2005 über die «erstaunliche Stadt Erlangen» mit damals 84 000 Beschäftigten auf 102 000 Einwohnern - «eine Dichte wie aus dem Märchen». Und sie entdeckten mit Oberbürgermeister Siegfried Balleis einen «CSUler neuen Schlags, er ist nicht Lederhose, sondern vor allem Laptop, ein Stadtmanager, der einst selbst bei Siemens war, jung, schnell, sportlich».

Inzwischen ist die Beschäftigtenzahl auf über 90 000 angewachsen, Erlangen zählt die niedrigste Arbeitslosen-, aber auch Sozialhilfequote unter allen 84 Großstädten und gilt laut einer Studie der DekaBank, einer der größten Finanzdienstleister Deutschlands, hinter Ingolstadt als zweitattraktivste Großstadt in Deutschland - also, was erstaunen vermag, selbst im Vergleich zur Weltstadt München oder zum «Schatzkästlein» Nürnberg. Und auch der 4. Platz im Prognos-Zukunftsatlas Deutschlands sowie der Rang 1 beim jüngsten Städte- und Kreisvergleich der IHK Mittelfranken können sich wahrlich sehen lassen.

. . . voller Visionen . . .

Nun ist ein Oberbürgermeister nicht alleinverantwortlich für all diese Großtaten, die zu einem nicht geringen Teil - angesichts einer pulsierenden Universität und des weltweit größten Hochtechnologie-Standorts eines Global Players - fremd verursacht sind.

Doch auch in der nahen Noris sieht man das Wirken des gebürtigen Nürnbergers mit Respekt. Bayerns neuer Ministerpräsident Günther Beckstein klassifiziert seinen Parteifreund als «einen der stärksten Oberbürgermeister in Bayern», der straff in die Clusterpolitik führt. Ins gleiche Horn stößt Nürnbergs IG Metall-Chef Gerd Lobodda mit einem Seitenhieb gegen den eigenen OB: «Balleis hat es vorgemacht, wie es geht.»

Immerhin: Die Visionen, die Balleis jeweils vor den Wahlen 1996 (Sieger mit 52,2 Prozent) und 2002 (Bestätigung mit 58,3 Prozent) in die Welt gesetzt hat, weiß er zu bestätigen. Den von ihm postulierten inoffiziellen Anspruch einer Bundeshauptstadt für den Bereich Medizin - ein Dauerbrenner von nach wie vor unschätzbarer Wirkung mit unzähligen Synergieeffekten - hat Erlangen in den letzten zwölf Jahren untermauern können, auch wenn der Balleis-Anteil am Erhalt der MRT-Fabrik und damit der eigentlichen Basis nicht überbewertet werden darf.

Und die vor sechs Jahren eingeläutete Offensive für die «kinder- und familienfreundlichste Großstadt in Bayern» hat sich inzwischen durch den offiziellen «Familienatlas 2007» des entsprechenden Bundesministeriums bestätigt.

Die ökonomischen Erfolge fußen auch auf die von Balleis inszenierte enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft - dokumentiert 2006 durch die Helmut-Volz-Medaille, höchste Auszeichnung der Technischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität, die Balleis als einziger Wirtschaftswissenschaftler und Politiker unter allen bisher 17 Geehrten überreicht bekommen hat. Es blieb dabei dem Erlanger Ehrenring-Träger Prof. Dieter Seitzer vorbehalten, die Rolle von Balleis als «Visionär, Moderator und Gestalter, als Brückenbauer und Wegbereiter» aufzuzeichnen.

. . . und voller «Action» . . .

Das Marketing, das Werben heute für seine Stadt hat Balleis bei der Siemens-Verkehrstechnik gelernt. Der Startschuss für seine politische Karriere fiel weit früher. Am Hardenberg-Gymnasium in Fürth Kollegiatensprecher, im Nebenjob Mitarbeiter des Nürnberger MdB Peter W. Höffkes, sechs Jahre im Landesvorstand der Jungen Union, von 1978 bis 1988 Stadtrat in Zirndorf und Kreisrat in Fürth-Land, zuletzt jeweils als stellvertretender Fraktionschef, im März 1988 Erlanger Wirtschaftsreferent, dann im ersten Anlauf 1996 gleich OB - der 54-Jährige hat nie einen erkennbaren Rückschlag erlebt. In der CSU ist er inzwischen sogar ins Präsidium aufgestiegen, auf Augenhöhe mit Bayerns Mächtigen.

Und auch seine «Jobs» als Lehrbeauftragter am Institut für politische Wissenschaften, Präsidiumsmitglied im Deutschen Städtetag, Verwaltungsrat beim Bayerischen Rundfunk, Mitglied der Entbürokratisierungskommission von Herbert Henzler und Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmodernisierung (KGSt) haben für erheblichen Einfluss und Erfahrungszuwachs gesorgt.

Die Dynamik kollidiert allerdings zuweilen mit dem Alltag. Sein Faible für irritierende «Action» hat er inzwischen abgelegt, auch der schroffe Umgang mit der Rathaus-Opposition ist seltener geworden. Mit Unverständnis erinnert man sich aber im Rückblick auf die zweite Amtszeit an manchen Wettbewerbs-Flop («Stadt der Wissenschaften»), an den Reinfall mit der WM-Südkurve, an das Rückzugsgefecht beim Stadt-Logo, an den speziellen Nachtragshaushalt für die Rathaus-Chefgehälter und vor allem an die Impulsivität bei der Namensgebung für die Hannah-Stockbauer-Halle.

. . . in die dritte Amtszeit?

Mit dem Anspruch einer «zukunftsfähigen Stadt» und dem Schwerpunkt «Bildung» will Siegfried Balleis die dritte Periode angehen. Es liegt an den Wählern, zu beurteilen, ob er die Akzente richtig gesetzt hat - in der Vergangenheit und für die Zukunft.