Erlangen ist Berlin einen Schritt voraus

12.5.2010, 00:00 Uhr
Erlangen ist Berlin einen Schritt voraus

© Mößler-Rademacher

Ein altmodischer Zug tuckert langsam an den Menschenmassen vorbei. »Zurück aus Berlin« ist auf dem Banner zu lesen. Auf dem letzten Waggon singt und tanzt eine Musical-Truppe. Bei einem alten Volkslied springen auf einmal mit Orden dekorierte alte Männer und Frauen im Publikum vor Freude auf und ab, drehen sich zu den schmissigen Rhythmen. Eine halbe Stunde später laufen dieselben Menschen mit Blumen in der Hand zu pathetischen Klängen durch ein Tor zur ewigen Flamme und Soldatengräbern. Viele weinen nun. »Für uns ist der 9. Mai ein Tag der Freude, den wir mit Tränen in den Augen feiern«, erklärt Irina Chasowa, die Leiterin des »Erlangen Haus« in der russischen Partnerstadt der Hugenottenstadt.

Wer sich rund um den Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Russland aufhält, spürt den Sonderstatus, den dieser Feiertag auch 65 Jahre nach dem 9. Mai 1945 inne hat. Die Straßen der Städte und Dörfer sind beflaggt, auf riesigen Werbetafeln an den Schnellstraßen ist immer wieder das symbolträchtige Foto zu sehen, auf dem die Fahne der UdSSR auf dem Dach des Berliner Reichstags gehisst wird. Wie in der Endlosschleife zeigen die Fernsehsender Kriegsfilme. Oft alte Schinken aus der Stalinzeit, in denen Deutsche hinterhältige, schreiende und mordende Soldaten in Ledermänteln sind.

Dass nun bei der durchinszenierten Parade auf dem Roten Platz in Moskau nicht nur Nato-Soldaten mitmarschieren dürfen und im russischen TV Kanzlerin Angela Merkel mit Wladimir Putin immer wieder in Großaufnahme gezeigt wird, symbolisiert, dass sich trotz ritualisierter Gedenkkultur vieles beim Blick Richtung Westen verändert hat.

In Erlangens Partnerstadt Wladimir sind die russischen Offiziellen in diesem Jahr noch einen Schritt weitergegangen. Bei der Parade vorm martialischen Kriegs-Monument am Platz des Sieges werden die Delegationsmitglieder aus der Hugenottenstadt von Wladimirs Oberbürgermeister Alexander Rybakow als Ehrengäste begrüßt, und bei der anschließenden Veranstaltung am Fürst-Wladimir-Friedhof hält Oberbürgermeister Siegfried Balleis eine Rede.

Neben ihm auf den Stufen zum Friedhofseingang steht Altoberbürgermeister Dietmar Hahlweg, der Mitte der 80er Jahre - also noch vor dem Fall des eisernen Vorhangs - die Weichen für diese ungewöhnliche Städtepartnerschaft stellte.

Staatsmännisch tritt Balleis auf, findet offensichtlich die passenden Worte für dieses jährliche Großereignis, das im Gegensatz zu vielen einst verordneten Feiertagen auch nach dem Ende der Sowjetunion jedes Jahr von den Bürgern mit viel Inbrunst gefeiert wird. Sein Appell, die Kranzniederlegung der Erlanger Delegation »als Zeichen der Trauer um die Gefallenen, aber auch als Zeichen der Zuversicht in eine gemeinsame Zukunft zwischen Russen und Deutschen in Freundschaft, Versöhnung und Frieden« zu sehen, wird nach der Übersetzung mit viel Applaus aufgenommen. Mit am Eingang zum Friedhof stehen übrigens zwei deutsche Veteranen, die mit einer Delegation des Soldaten- und Kriegervereins Möhrendorf angereist sind. Auch dies ist aufgrund der engen Städte-Beziehung keinerlei Problem.

Und so wird der Besuch am Ende auf beiden Seiten als ein Beweis des Vertrauens, das durch die langjährige Partnerschaft zwischen den beiden Städten entstanden ist, gewertet.S. MÖSSLER-RADEMACHER