«Es ist wichtig, Visionen zu haben»

12.05.2009, 00:00 Uhr
«Es ist wichtig, Visionen zu haben»

© Alexander Demling

Seine Kollegen nennen Michael Weinhold einen Spinner. Nicht beim konspirativen Tratsch in der Kaffeeküche, sondern vor großem Publikum. Ihm macht das nichts aus, er nennt sich selbst auch so. Während seiner Arbeitszeit denkt er meistens darüber nach, wie die Welt in 25 Jahren aussehen könnte. Normalerweise würde ein solcher Arbeitnehmer als schlecht integrierter Traumtänzer auf die Straße gesetzt werden. Michael Weinhold ist dagegen Entwicklungschef des Energiesektors von Siemens.

Langes und gesundes Leben

«Für einen Entwickler ist es wichtig, Visionen zu haben, wie die großen Probleme der Zukunft gelöst werden können», erklärte der 45-Jährige vor den etwa 200 Besuchern des SiemensForums. Weinholds Abteilung beschäftigt sich damit, wie der wachsende Energiehunger auf der Welt gestillt werden kann, ohne den Klimawandel weiter zu beschleunigen. Dazu müsse man auch bekannte Wege verlassen und Neues ausprobieren.

«Wir können Strom heute mit viel geringeren Verlusten als früher über viele tausend Kilometer transportieren. Man könnte in Afrika Photovoltaik-Anlagen aufstellen und den Strom nach Europa leiten. Vor fünf Jahren wäre man damit noch als Spinner abgetan worden, heute interessieren sich schon Investmentbanker dafür», sagte Weinhold. Auch Heinrich Hiesinger, Vorstandsmitglied des Konzerns, betonte, wie wichtig Visionäre für den Konzern seien: «Wir müssen aufpassen, dass wir immer genug Spinner im Konzern haben. Wenn wir rechtzeitig auf globale Trends reagieren wol- len, brauchen wir Leute, die weit voraus denken, die tendenziell unzufrieden sind, mit der Welt wie sie ist».

Damit stünden sie auch in bester Tradition zum Unternehmensgründer: «Werner von Siemens hat es umgetrieben, dass Leute, die weit voneinander entfernt sind, nicht miteinander kommunizieren können. Darum hat er den Zeigertelegrafen erfunden, der Vorläufer für den Fernschreiber, die E-Mail und schließlich auch unsere SMS war», sagte Hiesinger.

Heute beschäftigen Siemens andere Fragen: Um den Menschen ein möglichst langes und gesundes Leben zu ermöglichen, müsse die Medizintechnik ständig verbessert werden. «Wir haben den ersten Computertomographen mit zwei Strahlern entwickelt. Dadurch verweilen die Patienten kürzer in dem Gerät, was die Strahlenbelastung verringert und genauere Befunde ermöglicht», erläuterte Thomas von der Haar, Entwickler aus dem Bereich «Healthcare».

«Tolles Unternehmen»

Die Entwickler befürchten allerdings, dass ihnen der Nachwuchs an «Spinnern» ausgehen könnte: «Im letzten Jahr fehlten in Deutschland 63 800 Ingenieure, auch bei Siemens sind trotz Wirtschaftskrise 843 Ingenieursstellen frei», sagte Heinrich Hiesinger. Einige mögliche Zukünftige konnten die Forscher aber für ihre Arbeit begeistern: «Siemens ist ein tolles Unternehmen und als Arbeitgeber sehr interessant», meinte der Medizinstudent Lukas Weinberg, der sich die Medizintechnik als Alternative zum Arztberuf vorstellen könnte.

Auch der 23-jährige Physikstudent Christian Weis war von den Vorträgen angetan: «Ich wollte schon immer was in Richtung Medizintechnik machen, aber heute wurde ich darin noch einmal bestärkt. Und ich traue mir definitiv zu, auch so ein Spinner zu werden.» ALEXANDER DEMLING