Wo der Schall tot ist: Selbstversuch im Stille-Raum

Trixi Agatha

8.1.2020, 15:10 Uhr
Trixie Agatha im Akustiklabor der FAU Erlangen. Der gesamte Raum ist mit Schaumstoffkeilen verkleidet.

© Edgar Pfrogner Trixie Agatha im Akustiklabor der FAU Erlangen. Der gesamte Raum ist mit Schaumstoffkeilen verkleidet.

Das Kratzen meiner Augenbrauen erzeugt ein lautstarkes Knistern. Ich atme durch die Nase und bin irritiert von dieser geräuschvollen Deutlichkeit, die an ein Schnaufen erinnert. Und dann ist da noch dieses Dauersirren in meinen Ohren. Ich frage mich, ob das an mir oder meiner Umgebung liegt und plane vorsichtshalber schon den nächsten Besuch bei meinem HNO-Arzt.

Ich sitze in einem reflexionsarmen Raum und nehme meinen Körper bewusster wahr als sonst. Von den Wänden kommt nahezu kein Schall zurück, etwa 35 Zentimeter lange, schwarze Schaumstoffkeile an Decke, Wänden und Boden absorbieren ihn. Heute ist der Boden weitestgehend freigelegt und so wirkt jeder Schritt auf der Spanplatte dumpf. Bei Bedarf sind jedoch genügend Keile vorhanden, um auch den Boden vollständig auszukleiden. Notwendig wird dies, wenn akustische Versuche durchgeführt werden, die keine Störgeräusche erlauben. Im Idealzustand herrscht im Raum ein Geräuschpegel von 0 Dezibel. Das entspricht der Hörschwelle, bei der das menschliche Gehör gerade noch etwas wahrnehmen kann.

Früher war die US-Army in dieser Baracke

Akustiklabor nennen die Forscher des Lehrstuhls für Sensorik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ihren Raum in der Paul-Gordan-Straße in Erlangen. Seit 2003 werden dort in den alten US-Army Barracken aus Ziegelstein verschiedene akustische Probleme gelöst. Eine reflexionsarme Umgebung dient dabei der Isolation des erzeugten Schalls und damit der Vermeidung von Messfehlern.

Der Raum ist eigentlich eine Raum-in-Raum-Konstruktion, bestehend aus einem von außen sichtbaren Metallquader und einem kleinen Vorraum mit Computer-Schaltzentrale und Lagerfläche. Der Quader beziehungsweise reflexionsarme Raum hat eine Grundfläche von 54 Quadratmetern und ist 3,6 Meter hoch. Auf dieser Fläche befinden sich neben einem zusätzlichen Computerarbeitsplatz und den übrigen Schaumstoffkeilen für die Bodenabdeckung auch verschiedene Messinstrumente, ein Strömungskanal sowie etliche weitere Materialien. Den Boden zieren zahlreiche Klebebänder inklusive deren Rückstände. Durch den ganzen Raum verlaufen Kabel, die größtenteils in einem Metallrohr in der Wand verschwinden. Neben der Eingangstür, die ebenfalls mit Absorberkeilen verkleidet ist, befindet sich an dieser Stelle eine ungeschützte Verbindung zur Außenwelt.

Prof. Dr. Stefan Rupitsch, kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Sensorik (Mitte) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Florian Hubert, erklären anhand von Halbkugeln das Verhalten von Fledermäusen im brasilianischen Urwald.

Prof. Dr. Stefan Rupitsch, kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Sensorik (Mitte) und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Florian Hubert, erklären anhand von Halbkugeln das Verhalten von Fledermäusen im brasilianischen Urwald. © Edgar Pfrogner

Im Vorraum brummt es laut. "Das ist der Verdichter für den Strömungskanal", erklärt mir Prof. Dr. Stefan Rupitsch, kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Sensorik. Gemeinsam mit einem seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter, Florian Hubert, zeigt er mir an diesem Morgen den Raum. Selbst kommt Prof. Dr. Stefan Rupitsch gerne zum Musizieren hierhin. Für die Vorbereitung auf anstehende Konzerte findet er im reflexionsarmen Raum die ideale Akustik, um ungestört seine (Bass-)Klarinette zu spielen.

Das Akustiklabor wird auch von den Kollegen anderer Lehrstühle genutzt, etwa dem Lehrstuhl für Strömungsmechanik. Mit Hilfe des Strömungskanals kann die Schallentstehung in Kraftfahrzeugen gemessen werden. Bei zunehmender Geschwindigkeit steigt auch der Geräuschpegel, verursacht durch Luftströmung in Hohlräumen eines Fahrzeugs. Die Wissenschaftler untersuchen, wie diese Hohlräume geschaffen sein müssen, um beispielsweise ein möglichst leises Fahrerlebnis zu ermöglichen.

Manchem wird hier drinnen übel

Beim Betreten des reflexionsarmen Raumes wird es plötzlich ganz leise. Das Brummen des Verdichters weicht einer Stille, die für manche Personen unangenehm erscheint. So sollen bereits mehrere Studierende den Raum sofort wieder verlassen haben, dem einen oder anderen sei gar übel geworden. Warum Stille für manche Personen so beunruhigend sein kann, erklärt mir der Psychologe Dr. Markus Müller vom Klinikum Nürnberg Nord: "In dem Moment, in dem die Stille einsetzt, werden bestimmte Gehirnregionen aktiviert, die vorher nicht aktiv waren. Wenn wir das nicht gewöhnt sind, dann ist das fast wie ein Alarmsignal, das mir sagt: 'Ok, jetzt pass auf. Jetzt ist nichts mehr, jetzt muss ich aufpassen'. Und diese Alarmhaltung kann sich bei manchen so auswirken, dass es für sie unangenehm wird."

In mir macht sich dagegen ein beruhigendes Gefühl breit. Ich sitze im Schneidersitz in einer Ecke des Labors und fokussiere auf mich. Denn um mich herum ist nichts, zumindest nichts Akustisches. Die Schallabsorption im reflexionsarmen Raum weist eine veränderte Raumakustik auf. Schall, der normalerweise in geschlossenen Räumen reflektiert wird, wird hier von der Schaumstoffwandverkleidung geradezu in sich aufgesogen. Mit meiner schwarzen Oberbekleidung scheine ich zusätzlich mit dem Raum zu verschmelzen. Ich fühle mich wie ein Chamäleon, das seine Umgebung adaptiert. Ich werde eins mit meiner Umgebung und fühle mich wohl.

Die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers und der umgebenden Stille wird auch in der Meditation oder dem Floating eingesetzt, bei dem man in einer Art Badewanne mit blick- und schalldichter Kabine an der Salzwasseroberfläche treibt. In einer Welt, die von zunehmenden Lärm geprägt ist, unterstützt die Ruhe nachweislich die eigene Erdung. "Ich persönlich denke, dass wir die Stille bewusst suchen müssen. Sozusagen ist Stille eine Entscheidung. Dann ist sie uns mit der Zeit auch nicht mehr fremd, sondern wird uns vertraut und wir merken, dass wir dann ruhiger werden", sagt Dr. Markus Müller.

Fledermäuse werden über Ultraschall von Blüten angezogen

Neben der Schallentstehung im Kraftfahrzeug spielt auch das Verhalten von Fledermäusen eine Rolle im Akustiklabor. Die Flattertiere orientieren sich anhand von Ultraschall, der von Objekten in der Umgebung reflektiert wird. Das geht auch über eine bestimmte Blütenform, wie ein Beispiel aus dem brasilianischen Urwald zeigt. Dort lebt eine spezielle Fledermausart, die über Ultraschall von bestimmten Blumen angezogen wird. Das gesendete Signal wird von der Blüte an sie zurückgespielt. Als Folge fliegt die Fledermaus diese Blüte an, ernährt sich von ihrem Nektar und bestäubt die Blüte.

Die Forscher versuchen dieses Verhalten für sich nutzbar zu machen. Mit Halbkugeln in unterschiedlichen Größen wollen sie das natürliche Phänomen auf technische Anwendungen übertragen. Das geschieht im reflexionsarmen Raum, um das Verhalten der Fledermäuse möglichst störungsfrei nachzuempfinden. Bioinspirierte Navigations- und Ortungssysteme nennt das Prof. Dr. Stefan Rupitsch. Das Ziel könnte die Fortbewegung von Robotern sein, die mithilfe der Schallreflexion etwa die Richtung wechseln könnten.

Die Stille vollständig aufgesaugt

Von links aus Richtung des metallenen Kabelrohrs höre ich ab und an ganz leise, wie eine Tür geöffnet oder geschlossen wird, jemand hustet. Es ist der wissenschaftliche Mitarbeiter Florian Hubert, der während meiner Zeit in Stille im Vorraum arbeitet. Ich schließe die Augen, um die viele Ablenkung um mich herum auszublenden. Nach etwa zehn Minuten habe ich das Gefühl, die Stille vollständig in mich aufgesaugt zu haben. Ich stehe auf und öffne die Tür zur Außenwelt. Hallo brummender Verdichter.

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