Ein großes Thema 2019: Forchheim und die Altersarmut

Jana Schneeberg

Nordbayerische Nachrichten Forchheim-Ebermannstadt

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28.12.2019, 11:00 Uhr
Ein großes Thema 2019: Forchheim und die Altersarmut

© Ina Fassbender/dpa

Neulich saß ich mit den Schülern einer achten Klasse in der Montessori-Schule zusammen, um ihnen von meinem Beruf und von meinem Arbeitsalltag zu erzählen. „Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem Beruf“, wollte eine Schülerin wissen. Ich brauchte nicht lange zu überlegen: „Der Blick über den Tellerrand. Das tägliche Dazulernen. Der Einblick in Zusammenhänge, die einem nicht so präsent sind“, antwortete ich ihr.

Persönliche Schicksale machen abstrakte Nachrichten nahbar. Ich sehe es als eine meiner Aufgaben, Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, auf diese Weise das große Ganze näher zu bringen. Auf der anderen Seite sind es genau solche Geschichten, die meinen eigenen Horizont erweitern.

Sagt, was Euch nervt

So wie beim Thema Altersarmut: Trotz der Diskussionen um die Grundrente und den Kompromiss, den die Große Koalition im November dazu ausgehandelt hat, war das Thema längst nicht so präsent wie andere im Jahr 2019. Und doch ist es ein so wichtiges.

Einige persönliche Botschaften rückten im Frühjahr diesen Jahres das Thema stärker in meinen Fokus: Zum Frauentag hatten die Nordbayerischen Nachrichten einen Fragebogen mit der Überschrift „Frauen – sagt, was Euch nervt!“ abgedruckt. In einigen der Antworten, die daraufhin auf meinem Schreibtisch landeten, spiegelte sich das Thema Altersarmut wider. „Habe selbst 305 Euro Rente“, offenbarte eine Leserin.

Eine andere machte darauf aufmerksam, dass sie deutlich mehr Rente bekommen würde, wäre sie nicht zu Hause geblieben, als ihre Kinder klein waren. Eine weitere Dame forderte von der Politik schließlich mit emotionalen Worten „endlich für die durch Krankheit verarmten Menschen und armen Senioren ein menschenwürdiges Auskommen zu verschaffen und sie nicht an den Tafeln abzuspeisen.“

Es überraschte mich, als meine Recherche ergab, dass fast jeder fünfte Rentner in Deutschland als arm oder armutsgefährdet gilt. Dass das oft auf die Lebensumstände oder Schicksalsschläge zurückzuführen ist, wurde mir spätestens dann klar, als ich mit einer älteren Dame ins Gespräch kam.

Sie arbeitete als Abteilungsleiterin, war verheiratet, hatte zwei Kinder. Doch erst kam die Scheidung, dann eine schwere Krankheit, die sie nie wieder an ihren Arbeitsplatz zurück kehren ließ. Mit Kindern in der Ausbildung und der Hoffnung, doch wieder irgendwann arbeiten zu können, machte sie Schulden – und landete schließlich in der Privatinsolvenz. Nun ist sie 64 Jahre alt und muss mit einer Rente von 967 Euro zurecht kommen. Zu viel, um staatliche Grundsicherung zu erhalten, zu wenig, um als alleinstehende Seniorin große Sprünge zu machen. Immerhin sind allein die Mietkosten in den vergangenen Jahren enorm gestiegen.

Verlust der Arbeit, Krankheit, Scheidung, Tod des Partners oder der Verlust der Wohnung sind tatsächlich die häufigsten Fälle, die in die Altersarmut führen. Und in den meisten Fällen schämen sich die Betroffenen für ihre Situation. Auch das lernte ich bei meiner Recherche.
Denn auf den ersten Artikel hin meldeten sich Egon Landgraf, ehemaliger Schuhfabrikant aus Forchheim und zusammen mit seiner Frau Gabriele Gründer der Anton-Landgraf-Stiftung, die genau diese in Not geratene Senioren unterstützen will. Bei einem Pressetermin wollten sie noch einmal auf das Anliegen der Stiftung hinweisen – und den Betroffenen Mut machen, sich für Hilfeleistungen zu bewerben.

Erfreut rief ich nochmals bei der Dame an, die mir so bereitwillig Auskunft über ihre Situation gegeben hatte und erzählte ihr vom Hilfsangebot. Vor einigen Wochen meldete ich mich erneut bei ihr und fragte nach, ob sie es in Anspruch genommen habe. „Nein“, erklärte sie mir, „ich traue mich nicht.“ Ich bekräftigte sie nochmals, sich bei der Stiftung zu melden. Zwingen kann ich sie nicht.

Genauso wenig wie ein jeder gezwungen werden kann, in Zeiten der Erwerbstätigkeit für seine Rente vorzusorgen. In eine private Rentenversicherung einzuzahlen, sich Immobilien zu kaufen oder ein Sparbuch anzulegen. Denn ich kann nachvollziehen, dass der monatliche Lohn bei vielen gerade einmal zum Leben reicht. Da brauchen die Kinder neue Turnschuhe, da muss die Klassenfahrt finanziert werden und der Computer gibt vielleicht auch irgendwann seinen Geist auf.

Teilzeit-Jobs, 450-Euro-Beschäftigungen, befristete Arbeitsverträge und Löhne, die so niedrig sind, dass sie vom Amt aufgestockt werden müssen; für das Jahr 2039 prognostizieren Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auch aus diesem Grund einen Anstieg der Altersarmut auf 21,6 Prozent. Die beschlossene Grundrente würden diesen zwar auf 18,4 Prozent begrenzen, doch ist sie das Allheilmittel? Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber eben nur einer.

Ich muss gestehen, ich beschäftige mich genau einmal im Jahr mit dem Thema Rente. Nämlich dann, wenn die jährliche Rentenauskunft im Briefkasten liegt. Bisher habe ich mir um den Betrag, der dort stand, nicht viele Gedanken gemacht. Du musst mindestens bis 67 arbeiten, das ist im Jahr 2047. Bis dahin ist noch viel Zeit. Doch auch ich arbeite Teilzeit, auch ich habe nach der Geburt meiner drei Kinder für jeweils ein Jahr ausgesetzt. Werde ich vor diesem Hintergrund meinen Lebensstandard aufrecht erhalten können? Ich hoffe es und werde wohl doch nochmal über die private Vorsorge nachdenken.

Mein Vorteil: Das kann ich mir leisten. Viele jedoch nicht. Nicht nur für sie habe ich mir vorgenommen, im nächsten Jahr an dem Thema dran zu bleiben – und denen eine Stimme zu geben, die sonst vielleicht nicht gefragt werden. Auch wenn sie anonym bleiben wollen.

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