"Nicht alle Siemensianer über einen Kamm scheren"

13.2.2019, 10:00 Uhr
Hubert Forscht arbeitet nur noch für Stammkunden und auf persönliche Empfehlung. Als Künstler hat er seine beruflichen Erfahrungen im "Handwerker-Blues" zusammengefasst.

© Udo Güldner Hubert Forscht arbeitet nur noch für Stammkunden und auf persönliche Empfehlung. Als Künstler hat er seine beruflichen Erfahrungen im "Handwerker-Blues" zusammengefasst.

Herr Forscht, zuerst einmal herzlichen Dank, dass Sie überhaupt mit uns sprechen wollen. Wir haben nämlich über ein Dutzend Handwerksbetriebe aus verschiedenen Branchen und Gemeinden des Landkreises gefragt, und keiner wollte sich äußern. Können Sie sich vorstellen warum?

Hubert Forscht: Ich glaube, es ist dem Handwerker grundsätzlich unangenehm etwas Negatives über Bauherren öffentlich in der Zeitung zu äußern, die Sachverhalte sind kompliziert und schwer darstellbar, vielleicht fürchtet man auch Repressalien. Ich bin schon etwas älter und arbeite nur noch für meine Stammkundschaft oder auf persönliche Empfehlung, da ist mir die Außenwirkung wurscht.

Was meinen Sie, wieso hat dieser „Boykott für Besserwisser“ so großes Aufsehen erzeugt?

Hubert Forscht: Bisher war es eher so, dass über Pfusch am Bau berichtet wurde. Da stand stets der Handwerker am Pranger. Es gab und gibt sogar Fernsehsendungen darüber. Jetzt ist endlich einmal der Kunde dran, und es wird klar, dass der auch Fehler macht.

Sie haben ja schon vor knapp 20 Jahren einen Handwerker-Blues geschrieben, der viele Aspekte der Diskussion von heute vorwegnimmt...

Hubert Forscht: In dem Song werden die gängigen Vorurteile gegenüber Handwerkern aufgegriffen. Es gibt aber auch eine letzte Strophe, die ich der Verständlichkeit halber nun in Hochdeutsch sage. Sie lautet folgendermaßen: „Ihr Siemens-Henkel, Lehrer und Beamtenvolk, Ihr Ahnungslosen. Mit dem Tausend-Watt-Strahler die geflieste Badezimmerwand anstrahlen und dann mit der Lupe, mit der ganz dicken Lupe die Fliesen absuchen, ob nicht ein Bläschen in den Fugen zu finden ist. Eine Farbabstufung im Türblatt, ein kleiner Riss im Gipskarton, bloß weil sie wieder ihre Rechnung nicht zahlen wollen.“

Erzählen Sie uns doch einmal einige Höhepunkte aus Ihren 38 Jahren Berufserfahrung.

Hubert Forscht: Ich hatte mal einen Siemens-Ingenieur in Erlangen, für den ich eine Haustür baute, die blau lasiert werden sollte um die Holzmaserung noch sichtbar zu erkennen. Es war gar nicht so einfach, eine Lasur für maßhaltige Bauteile zu finden, das heißt, die das Bauteil nicht verzieht. Ich musste verschiedene Muster anfertigen, die die Architektin den Bauherren vorlegte, die sich dann für eines entschieden. Ich fertigte dann die Türe wie gewünscht an, doch ein halbes oder ganzes Jahr später kam dann die Reklamation, und die Aussage, dass die Bauherren eigentlich schon immer einen deckenden Farbauftrag gewünscht hätten. Jetzt hätte man natürlich ein Riesenfass aufmachen können, mit Anwalt und so. Aber als Handwerker geht man dann hin und bringt die Sache zu Ende, um seine Ruhe zu haben. Ich bin da sehr dünnhäutig und nehme erst einmal an, dass der Kunde mit seiner Kritik recht hat. Schließlich macht auch ein erfahrener Schreiner einmal Fehler – übrigens auch Ingenieure, Lehrer und Beamte auch.

Sonst noch Fälle aus der Praxis?

Hubert Forscht: Ich habe mehr als 1000 Türen eingebaut. Da gab es ganz kuriose Fälle, die eine Fehlersuch-Mentalität offenbaren. Einmal eine Riesenreklamation vom Bauträger: Die Kunden seien völlig unzufrieden mit ihren Zimmertüren, hielten Geld zurück. Ich müsste sofort in das seit längerem bewohnte Anwesen, den Schaden sichten und Stellung nehmen. Ich machte mir einen Riesenkopf und grübelte, was da passiert sein könnte. Kurz und gut: Der Ingenieur reklamierte alle seine Zimmertüren, weil sie angeblich beim Öffnen und Schließen Geräusche machten. Erst einmal war nichts zu hören. Er aber legte das Ohr ans Türband und sagte: Jetzt höre ich es. Ich legte gleichfalls mein Ohr ans Türband, sagte dann: Jetzt höre ich es auch, das ist Reibung. Mit etwas Schmiermittel war das Problem gelöst. Und dann war da noch die Frau, die das Unmögliche wollte. Alle zehn Türen aus Holz mit exakt der gleichen Maserung. Die war richtig unglücklich.

Gibt es einen Fall, bei dem Sie Vorsatz annehmen?

Hubert Forscht: Da war so ein hinterhältiges Paar. Ich hatte bei einem Mehrfamilienhaus die Wohnungseingangstüren eingebaut. Ein Jahr später kommt der Bauträger und reklamiert, die Türen seien nicht DIN-gerecht. Ein Paar beschwerte sich, die Türe schließe nicht richtig, es käme zu viel Lärm ins Innere. Sogar ein teures Lärmschutzgutachten musste der Bauträger machen lassen. Als ich davon erfuhr, erinnerte ich mich, dass die Frau mich gebeten hatte, die Tür leichtgängiger zu machen, wodurch das Türblatt nicht völlig mit der Dichtung abschließt. Dem Bauträger hatten sie das natürlich verschwiegen. Ich verlangte ein neues Gutachten und die Tür erfüllte die Schallschutznorm.

Woran liegt es denn, dass ausgerechnet die Mitarbeiter eines Großkonzerns bei Malern, Heizungsbauern oder Zimmerern nicht gut gelitten sind?

Hubert Forscht: Es ist wohl ein Mentalitätsproblem. Ich glaube, dass sich Akademiker grundsätzlich mit Handwerkern schwer tun. Da ist viel Misstrauen im Spiel. Maulwerker und Handwerker sind ein Gegensatz. Der Humor ist auch unterschiedlich. Bei den Ingenieuren gibt es ein hohes Fachwissen zu ganz komplizierten Bauwerken. Da herrscht dann mitunter die Meinung vor, wer riesige Kraftwerke in China baue, der durchschaue dieses lächerliche Gschmarri wie unsere „Handarbeit“ sofort. Die „Fachleute“ stehen dann immer hinter einem, weil sie glauben, es sowieso besser zu können, und um später nachweisen zu können, was man falsch gemacht hat. Es macht aber auch nervös und verleitet zu Fehlern, wenn man dauernd beobachtet wird.

Und bei den Kaufleuten?

Hubert Forscht: Da hat mir ein Bekannter, der beim Weltkonzern arbeitet, und der mich seit Jahren beauftragt, die Augen geöffnet. Das sind oft Leute, die im Claim-Management auf den Baustellen unterwegs sind und peinlich genau darauf achten, dass alles dokumentiert wird. Meist sind sie als Qualitäts-Manager getarnt. Wenn dann der Auftraggeber einen Fehler macht, wird der nicht sofort reklamiert, um ihn zu beseitigen, sondern erst nach Abschluss der Arbeiten angeführt. Damit man beim Preis einen ordentlichen Nachlass erzwingen kann. Genauso verfährt man mit Zulieferern. Das ist ein pickelhartes Geschäft und meilenweit vom Denken eines Handwerkers entfernt, der erst einmal Vertrauen in seinen Kunden hat. Wenn man länger in einem solchen Großkonzern beschäftigt ist, wird man von solchem Denken geprägt und kann es zu Hause auch nicht ablegen.

Haben diese besonderen Kunden vielleicht einfach zu viel Zeit?

Hubert Forscht: Möglicherweise. Und sie haben durch das Internet viel mehr Möglichkeiten als früher, sich theoretisches Halbwissen anzueignen. Sie sind dann sehr skeptisch, ob man die optimale Lösung findet.

Es gibt aber auch vernünftige Menschen...

Hubert Forscht: Man darf nicht alle Siemens-Leute über einen Kamm scheren. Besserwisser, Klugscheißer und omnipotente Alleskönner gibt es überall, es ist vielleicht auch typisch deutsch. Der Siemenskonzern ist nunmal der größte und wichtigste Arbeitgeber unser Region, der gute Gehälter bezahlt, sodass viele seiner Angestellten es sich leisten können zu bauen. Aber es ist beileibe nicht so, dass jeder Siemenskunde ein notorischer Nörgler ist. Ich habe viele Freunde und Bekannte bei „die Siemens“ und einer meiner besten Kunden arbeitet dort. Für den habe ich auf einem ehemaligen Bauernhof schon ganz viel getan. Man muss allerdings dazu sagen, dass er ein Einheimischer ist. Die von überall her Zugezogenen haben vielleicht grundsätzlich Misstrauen gegenüber hiesigen Handwerkern, weil sie hier niemanden kennen und einschätzen können. Dabei blühe ich auf, wenn man in meine Fähigkeiten vertraut.

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