Tage der gegenseitigen Neugier sind vorbei

25.11.2009, 00:00 Uhr
Tage der gegenseitigen Neugier sind vorbei

Redakteurin Beate Daum zeichnete am 8. September 1990 in den Nordbayerischen Nachrichten ein trübes Bild von Pößneck. Als sie die Pößnecker Kulturreferentin durch die Stadt führt, fällt immer wieder ein Satz: «Wir haben dafür kein Geld.» Marode Gebäude, fehlende Infrastruktur – der Artikel stellte Forchheim ungeschönt die zukünftige Patenstadt vor. Die Kommune in Ostthüringen war nicht annähernd so attraktiv wie etwa die Partnerstadt Le Perreux sur Marne bei Paris und schon gar nicht wie Rovereto im italienischen Trentin.

Aufruf von Ritter von Traitteur

«Es hätte jede Stadt sein können», erinnert sich Andreas Ramisch, Hauptamtsleiter im Forchheimer Rathaus. Denn nach der Wende hatte Forchheims Alt-OB Karlheinz Ritter von Traitteur als Vizepräsident des Weltbundes der Partnerstädte dazu aufgerufen, dass sich jede westdeutsche Stadt eine Kommune in der ehemaligen DDR suche. «Ziel war es, dort eine rechtsstaatliche Verwaltung aufzubauen», sagt Ramisch.

Als die Wahl auf Pößneck gefallen war, überreichten sich die Oberbürgermeister Franz Stumpf und Michael Roland ihre Stadtfahnen. Zweiter Akt war die Vorbereitung einer Amtshilfe: Die Forchheimer Verwaltung entwickelte einen Lehrgang, den sie als Blockschulung in Pößneck und den umliegenden Gemeinden abhielt. Der letzte von 14 Kursen fand 2001 statt, am «letzten Schliff» werde jedoch bis heute gefeilt. «Oberstes Ziel war es, das alte Wissen aus den Köpfen zu streichen», erinnert sich der Amtsleiter. Auf dem Lehrplan standen alle Rechtsfächer, korrekte Amtswege und die Erstellung eines Haushaltsplans. «Die hatten schon auch einen Haushaltsplan, nur mit einer völlig anderen Intention.»

Zwei Welten trafen auch bei der gegenseitigen Hilfe der Sparkassen aufeinander. «Die Hauptstelle dort war dem Ansturm beim Geldumtausch nicht gewachsen, also sind sechs Kollegen mit einer fahrbaren Geschäftsstelle hingefahren», berichtet Hans Adelhardt von der Sparkasse Forchheim. Als Spenden hatten die oberfränkischen Banker ihre alte Büroausstattung im Gepäck: Additions-, Schreib- und Geldsortiermaschinen, Kopiergeräte und Tischrechner.

Im Juli 1990 startete der Tross, ein Jahr später kehrte er zurück, jedoch nicht vollzählig. «Einige Mitarbeiter kündigten in Forchheim und gingen rüber», weiß Adelhardt.

Die Aufbruchstimmung währte nur kurze Zeit. Am 18. Februar 1991 berichtet die NN vom mühsamen Aufbau in Pößneck unter der Überschrift: «Die Stimmung ist mies.» Grund: Die Stadtkasse war leer, die Arbeitslosigkeit lag bei 25 Prozent. Die vielgelobten Kinderkrippen standen vor einer ungewissen Zukunft. Die Enttäuschung der ostdeutschen Kommune war riesig. Erst Stück für Stück erholte sich die Kommune von wirtschaftlichen Rückschlägen wie etwa der Schließung der großen DDR-Druckerei Rotasym.

Stadt des Buchdrucks

Die Sorgen des damaligen Bürgermeisters Michael Roland hat der amtierende Pößnecker Rathaus-Chef Michael Modde (Freie Wähler) nicht. Die aktuelle Arbeitslosenquote liegt bei «nur noch» 9,7 Prozent. «Wir haben einen ordentlichen Branchen-Mix aus Pharmazie, Brauwesen, eine Schokoladenfabrik und die größte Schwarz-Weiß-Druckerei Europas mit 800 000 Büchern pro Tag», zählt der 45-jährige Modde auf.

Eine Herausforderung, die viele ostdeutsche Städte teilten, war die Abwanderung der jungen Bevölkerung: Waren es zur Wendezeit noch 18 000 Einwohner, so sind es derzeit nur noch 13 000. Nicht zuletzt deshalb ist für Modde der Austausch mit der Partnerstadt wichtig: «In Sachen Stadtentwicklung können wir uns nach wie vor etwas von Forchheim abschauen.». Außerdem hat er bereits das Klinikum Forchheim besichtigt.

Die Aufbauhilfe der Verwaltung hat man in Pößneck nach all den Jahren nicht vergessen. «Wir empfinden Dankbarkeit», sagt Modde, weiß jedoch um das abgekühlte Verhältnis: «Kurz nach der Wende war natürlich die Neugier für den Partner auf beiden Seiten größer. Heute ist es eine Herausforderung, den Austausch wieder zu intensivieren.» Die Partnerschaft tragen momentan wenige offizielle Treffen zwischen den Stadtoberen – traditionell besucht die Pößnecker Verwaltung beim Betriebsausflug das Annafest.

Andreas Ramisch kann dies nicht bestreiten. Er, seine damaligen Verwaltungskollegen und auch die Kolpingfamilie pflegen seit 1990 private Freundschaften mit Pößnecker Kollegen. Daher gelobt er: «Wir werden die offizielle Städtefreundschaft mit Pößneck so lange wie möglich pflegen, auch wenn der ursprüngliche Grund dieser Verbindung weggefallen ist.»