Ungleich vor dem Naturschutzgesetz: Rollstuhlfahrer aus der Fränkischen Schweiz wehrt sich

1.3.2021, 06:37 Uhr
"Menschen im Rollstuhl haben in der bayerischen Natur nicht die gleichen Rechte wie Fußgänger", sagt Dom Herrmann aus Trainmeusel.

© Lukas Reinhardt "Menschen im Rollstuhl haben in der bayerischen Natur nicht die gleichen Rechte wie Fußgänger", sagt Dom Herrmann aus Trainmeusel.

Dom Herrmann steht in der Fränkischen Schweiz dort, wo er mit seinem Rollstuhl eigentlich nicht stehen dürfte: abseits des Wanderweges, umringt von meterhohen Buchen und bemoosten Felsbrocken, inmitten der Natur. „Ein mystischer und beruhigender Ort, dieser Druidenhain“, sagt er und legt die Hand auf die Rinde eines Baumes, der aus einem Fels heraus zu wachsen scheint. Doch eine neue Verordnung zum Bayerische Naturschutzgesetz verbietet ihm eigentlich, hier zu sein. Dagegen wehrt sich der 32-Jährige – mit erstem Erfolg.

Der 32-Jährige will diese Ungleichheit ändern.

Der 32-Jährige will diese Ungleichheit ändern. © Lukas Reinhardt

Herrmann, seit einem Motorradunfall 2012 vom Bauch abwärts gelähmt, lebt im Markt Wiesenttal, genauer: in Trainmeusel, einem Dorf mit rund hundert Einwohnern.

Näher als den Städten im Umland sind die Bewohner hier den Wäldern sowie den Bergen und Hügeln aus Kalk- und Dolomitfelsen. Überreste des Weißen Jura, über Jahrmillionen hinweg geformt von Wetter und Witterung. Der Druidenhain ist ein solch urzeitliches Relikt, es zieht Wanderer aus der gesamten Region an, auch jene im Rollstuhl, auch Dom Herrmann.

"Ist dieser Weg hier geeignet?", fragt Herrmann – und fügt lachend hinzu: "Ich weiß es nicht." 

"Ist dieser Weg hier geeignet?", fragt Herrmann – und fügt lachend hinzu: "Ich weiß es nicht."  © Lukas Reinhardt

Eine Stunde zuvor steht er mit seinem Auto auf einem Wanderparkplatz. Nur wenige hundert Meter sind es von hier bis in den Hain. „Menschen im Rollstuhl haben in der bayerischen Natur nicht die gleichen Rechte wie Fußgänger“, sagt er, während er sich in den Rollstuhl hebt und ein eigens entwickeltes Vorderrad befestigt, das seinem Gefährt auf unebenen Wegen mehr Stabilität verleiht.

"Ein mystischer Ort, dieser Druidenhain", sagt Hermann und legt die Hand auf die Rinde eines Baumes, der aus einem Fels heraus zu wachsen scheint. 

"Ein mystischer Ort, dieser Druidenhain", sagt Hermann und legt die Hand auf die Rinde eines Baumes, der aus einem Fels heraus zu wachsen scheint.  © Lukas Reinhardt

Herrmann spricht neben dem Naturschutzgesetz aus den 1970ern auch die neue Ausführungsverordnung, die am 16. Dezember 2020 in Kraft trat. Sie verursacht bei ihm Frust: „Diese Vorschrift war und ist in meinen Augen diskriminierend“, sagt er. „Ich verstehe nicht, wie so etwas heutzutage überhaupt noch zustande kommen kann.“

Tatsächlich ist in der Verordnung festgehalten, dass Fußgänger sich zu jeder Zeit und ohne räumliche Einschränkung in der Natur aufhalten dürfen. Ihr Betretungsrecht ist nicht begrenzt auf Wege. Rollstuhlfahrer hingegen werden in der Vorschrift mit Radfahrern und Reitern gleichgesetzt. Querfeldein fahren ist ihnen verboten. Sie dürfen sich ausschließlich auf „geeigneten Wegen“ fortbewegen. „Ist dieser Weg hier geeignet?“, fragt Herrmann und schiebt lachend hinterher: „Ich weiß es nicht.“ Mit kräftigen Stößen wuchtet der er seinen Rollstuhl weiter über den laubigen Pfad, der tiefer hinein führt in den Wald.

Stabilität auf unebenen Wegen ist eine der großen Herausforderungen.

Stabilität auf unebenen Wegen ist eine der großen Herausforderungen. © Lukas Reinhardt

Dass Kritik an der neuen Verordnung durchaus berechtigt ist, hat inzwischen auch das bayerische Umweltministerium eingeräumt. Jüngst traf sich deshalb der Umweltminister aus Pinzberg, Thorsten Glauber, mit Herrmann in Muggendorf zum Gespräch. Zuvor hatte Herrmann seinem Ärger auf einer Videoplattform im Internet öffentlich Luft gemacht. Glauber zeigte Einsicht und versprach, zügig zu handeln. Noch in den kommenden Wochen sollen die Ausführungsverordnung zum Naturschutzgesetz überarbeitet und klarstellende Hinweise veröffentlicht werden. „Rollstuhlfahrer haben keine Benachteiligungen zu befürchten“, heißt es hierzu auf Nachfrage aus dem Ministerium.

Ein erster Erfolg für Herrmann, dem nun auch Verbände und Vereine zur Seite springen. So begrüßt der Sozialverband VdK die Änderungen der aus seiner Sicht „diskriminierenden“ Formulierungen. Der bayerische Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter bezeichnet Teile der Verwaltungsvorschrift gar als „rechts- und verfassungswidrig“. 

Auch der gemeinnützige Verein Sozialhelden teilt auf Nachfrage schriftlich mit: „Im Gegensatz zu Fahrrädern und Reittieren sind Rollstühle keine alternative Fortbewegungsmöglichkeit, sondern die einzige mögliche. Wir fordern deshalb in allen Bereichen eine rechtliche Gleichstellung von Fußgänger/innen und Rollstuhlfahrer/innen.“ Und der Bund Naturschutz fügt an, dass es aus Sicht des Naturschutzes keinerlei Gründe gebe, Rollstuhlfahrer bei ihrem Naturerlebnis zu benachteiligen.

Inzwischen steht Dom Herrmann vor der Felslandschaft des Druidenhains. „Ich war nie ein Stubenhocker“, erzählt er. „Es gab Zeiten, da hing ich jeden zweiten Tag in irgendeiner Felswand. In der Natur zu sein, war und ist mir auch heute unglaublich wichtig.“ Im Hain aber, wo die Wurzeln der Buchen den Weg durchziehen, stößt auch Hermanns modifizierter Rollstuhl an seine Grenzen. Er arbeitet deshalb an einem neuen, handbetriebenen Modell, das ihm das Vorankommen in unwegsamen Gelände erleichtert.

Im Gesetz, so Herrmanns Wunsch, soll ein Nachteilsausgleich verankert werden. 

Im Gesetz, so Herrmanns Wunsch, soll ein Nachteilsausgleich verankert werden.  © Lukas Reinhardt

Herrmann hofft deshalb auch auf eine Überarbeitung des Naturschutzgesetzes aus den 1970ern, in dem Fußgänger Rollstuhlfahrern gegenüber als „vorrangig“ bezeichnet werden.

"Auch das ist ein Ziel von mir, Wanderwege in der Fränkischen Schweiz zu erschließen, sie zu kategorisieren", sagt er.

"Auch das ist ein Ziel von mir, Wanderwege in der Fränkischen Schweiz zu erschließen, sie zu kategorisieren", sagt er. © Lukas Reinhardt

Im Gesetz, so sein Wunsch, solle ein Nachteilsausgleich verankert werden. „Um die Natur in einem ähnlichen Umfang wie Fußgänger genießen zu können, wäre die Möglichkeit wichtig, auch andere, nichtmotorisierten Fahrzeuge ohne Einschränkungen nutzen zu können“, sagt er. Darunter fielen auch Handbikes mit Elektromotor.

Der Rückweg führt Herrmann an einer Holztafel vorbei, darauf eine Karte. Sie zeigt den Druidenhain, nur ein Weg schlängelt sich hindurch. „Auch das ist ein Ziel von mir, Wanderwege in der Fränkischen Schweiz zu erschließen, sie zu kategorisieren“, sagt er. Zu selten wüssten Rollstuhlfahrer, auf welche Bedingungen sie stoßen.

Eingeladen zu einem Pilotprojekt hat ihn Umweltminister Glauber. „Aber nicht, dass ich am Ende nur noch diese kategorisierten Wege befahren darf“, sagt Herrmann.

Hier geht es zu Dom Herrmanns YouTube-Kanal.

LUKAS REINHARDT

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