Was den Landarztberuf wieder attraktiv machen könnte

22.06.2014, 20:07 Uhr

Anna Schlenz muss man nicht erst überzeugen. Die 21-Jährige studiert im 6. Semester Medizin in Erlangen. Sie kommt aus Weilersbach und sagt selbstbewusst: „Ich bin ein Landkind.“ Die Aussicht, irgendwo im Landkreis in einer Gemeinschaftspraxis als Landärztin einzusteigen, war für sie ein Grund, weshalb sie sich fürs Medizinstudium entschieden hat. Ihr gefällt das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Hausarzt und Patient. An die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf als niedergelassene Ärztin glaubt sie sowieso.
 

Glaubt man den Referenten der Tagung von Oberfranken Offensiv ist sie damit eine Ausnahme. Nur rund ein Zehntel der abgelegten Facharztprüfungen in Bayern entfielen auf die Allgemeinmedizin, sagte die Bezirksvorsitzende des Bayerischen Hausärtzeverbands Dr. Petra Reis-Berkowicz. Famulaturen (so heißt das Pflichtpraktikum im Medizinerjargon) oder gar ein Praktisches Jahr in einer Hausarztpraxis seien selten.
Das liegt nicht nur daran, dass der nicht oder nur gering honorierte Ausbildungsabschnitt auf dem Land schwieriger zu organisieren ist: Während Krankenhäuser Zimmer im Schwesternheim zur Verfügung stellen, können niedergelassene Ärzte oft keine Unterkunft gewährleisten. Manche bieten freie Kost und Logis deshalb selbst an.

Schwerer wiege aber wohl ein verzerrtes Bild der Allgemeinmedizin, waren sich die Referenten einig. „Beim Hausarzt füllst du doch eh nur Überweisungsscheine aus“, zitierte der Heiligenstadter Allgemeinarzt Dr. Peter Landendörfer eine gängige Studentenmeinung. Seine letzte Famula war Linda Gräßel, die nach ihrem Praktikum in Heiligenstadt folgendes Fazit gezogen hat: Hier stünden „Menschen statt Diagnosen“ im Vordergrund. Anders als im anonymen, theorielastigen Studium könne man sich in der Praxis endlich einmal „praktische und menschliche Fähigkeiten abschauen“.


Die „technikintensiven Organfächer“ seien beliebter, sagte Reis-Berkowicz, die statt von Allgemeinmedizin lieber von Familienmedizin spricht und sich Familienärztin nennt. Dabei liege beim Hausarzt das gesamte Fallmanagement, er sei der „Filter“, der für den Patienten den weiteren Verlauf der Krankengeschichte bahne.


Es gehe darum, „mit seinen fünf Sinnen zu einer Diagnose zu kommen“, und nicht für jedes Symptom sofort die Maschinerie bildgebender Verfahren anzuwerfen. In der Allgemeinmedizin lerne man mit „Unschärfen“ umzugehen, sagte Landendörfer. „Ist jemand akut krank, chronisch krank, hat er überhaupt was?“ Dieses Wissen diene auch den Spezialisten: „Auch die müssen wissen, wie der Allgemeinarzt arbeitet.“

Zwar würde Spezialistentum heute besser bezahlt, gab Reis-Berkowicz zu. Doch das geringere Einkommen könne man durch eine bessere Work-Life-Balance und größere Freiräume kompensieren, sagte sie und warb für den Arzt als Unternehmer.
Landärzte seien gegenüber Hausärzten in der Stadt privilegiert: auf dem Land herrsche ein geringerer ökonomischer Druck und weniger Wettbewerb um Patienten.


Der neue Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung erschwere zwar vielerorts die Niederlassung. Doch könne man mittels Job-Sharing einen Fuß in die Tür bekommen, sagte sie.


Schon jetzt sei jeder dritte Allgemeinarzt über 60 Jahre alt, ergänzte Melani Huml, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege und Vorsitzende von Oberfranken Offensiv. „Wir können aber nicht einfach den ,Landarzt’ in Rente schicken und durch kultig-zynische ,Dr. Houses’ in der Großstadt ersetzen“, sagte die Ministerin in Anspielung auf Arztserien im Fernsehen. Die Staatsregierung setze deshalb finanzielle Anreize: So gebe es für angehende Mediziner, die sich verpflichten, ihre Facharztweiterbildung auf dem Land zu absolvieren und mindestens fünf Jahre lang dort tätig zu sein, ein Stipendium (300 Euro im Monat, vier Jahre lang).


Niederlassungen in Gemeinden unter 20000 Einwohnern würden mit bis zu 60000 Euro Startkapital gefördert, Filial-Praxen mit bis zu 15 000 Euro. Ärzte, die neue Kooperationsmodelle aufbauen, könnten ebenfalls auf finanzielle Unterstützung setzen. 60 Stipendien wurden bereits vergeben und 90 neue Niederlassungen bezuschusst.
 

Dennoch zeigte sich Huml, die selbst Ärztin ist und ihre Famulatur in einer Hausarztpraxis leistete, überzeugt: „Am Geld allein liegt es nicht.“ Anna Schlenz sieht das übrigens genauso: „Wenn man seinen festen Entschluss erst einmal gefasst hat, findet sich der Rest von selbst.“
 

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